Der Hofheimer Bürgermeister Wolfgang Borst ist auch im Ausland kein Unbekannter. Vielerorts hält er Vorträge über den richtigen Umgang mit der demographischen Entwicklung und der Landflucht. Denn die politischen Verantwortungsträger im Hofheimer Land scheinen Lösungen für viele Probleme des ländlichen Raums gefunden zu haben. Darum schickt das Land Bayern nun die Gemeinde-Allianz ins Rennen um den europäischen Dorferneuerungspreis. Der steht im Jahr 2020 unter dem Motto "Lokale Antworten auf globale Herausforderungen".
"In der Hofheimer Allianz hat man nicht lange theoretisiert, sondern sofort angepackt", sagte Landrat Wilhelm Schneider am Donnerstag in einer Pressekonferenz zur Teilnahme an dem europäischen Wettbewerb. Da Schneider vor seinem Amtsantritt als Landrat selbst Bürgermeister von Maroldsweisach und damit auch stellvertretender Chef der Gemeinde-Allianz war, stellte Hofheims Bürgermeister Borst heraus, Schneider sei "von Anfang an in den Prozessen dabei" gewesen.
Kommune will die Bürger nicht alleine lassen
Die Hofheimer Allianz ging dabei konsequent einen Weg, den viele andere Kommunen nicht durchhalten. Das Problem: Überall fordern sowohl Neubürger als auch Alteingesessene Bauplätze für Wohnhäuser – sei es, um in den Ort zu ziehen oder um bei den Eltern auszuziehen. Viele Bürgermeister kennen das Problem: In Bürgerversammlungen wird ihnen an den Kopf geworfen, der Ort werde aussterben, wenn es kein neues Baugebiet gibt, und die Wiederwahl könnten er und seine Stadträte sich abschminken, wenn sie nicht bald für Baugrund sorgen.
Gleichzeitig stehen aber in den gleichen Städten und Dörfern oft zahlreiche Häuser im Ortskern leer. Und für die wollen Borst und seine Bürgermeisterkollegen aus den anderen Orten der Allianz erst einmal neue Bewohner finden, bevor der Ort nach außen hin wächst. Denn, so ihre Befürchtung: Wenn bei gleichbleibender oder sogar sinkender Einwohnerzahl die Fläche des Ortes größer wird, stirbt der Ortskern immer mehr aus. "Jeder Bau auf der grünen Wiese erzeugt einen Leerstand im Altort."
So geht es der Gemeinde-Allianz vor allem darum, Anreize zu schaffen, die Altorte wieder mit Leben zu füllen. "Bauen im Bestand muss billiger sein als auf der grünen Wiese", sagt der Bürgermeister. Zudem gibt es finanzielle und planerische Unterstützung für die Bauwilligen. Für die Bürger soll greifbar sein, dass die Kommune sie nicht alleine lässt.
Einkauf und Mobilität
Konsequenter als viele andere Kommunen haben es Hofheim und seine Nachbarn auch durchgezogen, entgegen zahlreicher Forderungen der Bevölkerung keine neuen Baugebiete auszuweisen. Im Gegenteil: "Wir haben sogar genehmigte Baugebiete wieder zurückgenommen." Auch andere Ideen tragen im Hofheimer Land zur Belebung der Ortskerne bei, von der Förderung von Einkaufsmöglichkeiten wie Dorfläden und Supermärkten bis hin zu neuen Mobilitätskonzepten wie den Mitfahrbänken.
Ein weiteres Thema, das die Verantwortlichen in der Pressekonferenz herausstellten, war die Integration von Flüchtlingen und Zuwanderern im Hofheimer Land. In Abstimmung mit dem Landkreis wurden die Menschen in Kleingruppen untergebracht, soweit möglich auch getrennt nach Herkunft und Religion, um Spannungen zu vermeiden. Von Anfang an gab es engagierte Helfer sowie Hilfe bei der Beschaffung von Wohnraum und Arbeitsplätzen.
Beatrix Drago vom Amt für Ländliche Entwicklung erinnerte bei der Pressekonferenz an das Motto des Dorferneuerungswettbewerbs: "Ich bin der Meinung, dass das Hofheimer Land sich die lokalen Antworten auf globale Fragen schon lange auf die Fahnen schreibt."
Ein Preisgeld gibt es für den Sieger des Dorferneuerungspreises nicht, dennoch könne eine Kommune oder – wie im Fall des Hofheimer Landes – eine Gemeinde-Allianz die Auszeichnung durchaus für sich nutzen. Beispielsweise lasse es sich auch gut vermarkten, beispielsweise um den Tourismus anzukurbeln, wenn die Region vor der Jury gut abschneidet, zeigt sich Drago überzeugt.
Aus einer schwierigen Situation gestartet
Wer die anderen Bewerber sein werden, steht noch nicht fest. Doch wenn es so läuft wie in den letzten Jahren, wird sich Hofheim wohl gegen rund 25 bis 30 Mitbewerber durchsetzen müssen, erzählt Beatrix Drago, die mit dem Wettbewerb schon einige Erfahrung hat. Aus Ländern wie Frankreich oder Spanien kommen üblicherweise keine Teilnehmer, stattdessen schicken vor allem verschiedene deutsche und österreichische Bundesländer ihre Kommunen ins Rennen. Dazu kommen oft Bewerber aus der Schweiz, den Benelux-Staaten und aus Osteuropa.
"Hofheim ist aus einer schwierigen Situation gestartet", meint Drago. Zu Zeiten der deutschen Teilung war die Stadt Zonenrandgebiet, mittlerweile hat sie, wie viele ländliche Regionen, mit der Landflucht und dem Demographischen Wandel zu kämpfen. Im Wettbewerb könne das aus Beatrix Dragos Sicht auch Vorteile bringen. Denn ein häufiger Kritikpunkt im Wettbewerb sei, dass die verschiedenen Regionen mit ihren sehr unterschiedlichen Ausgangssituationen kaum vergleichbar seien. Würde Bayern eine reiche, von Touristen überlaufene Gemeinde in Oberbayern ins Rennen schicken, könnten die Konkurrenten aus Osteuropa darauf verweisen, dass sich dieser Ort nicht erst "hocharbeiten" musste. Im Vergleich zum Hofheimer Land sei es dagegen nicht so leicht, einen unfairen Wettbewerb anzumahnen.
"Hier wurden die Zeichen der Zeit immer schneller erkannt als anderswo", sagt Beatrix Drago abschließend. "Es reicht nicht, dass nur Arbeitsplätze da sind. Ich muss mich auch wohlfühlen."