
Die Vorfreude der Haßberge-SPD auf ihre Bayern-Vorsitzende und Spitzenkandidatin Natascha Kohnen war groß, als diese am Donnerstagabend im Saal der Gaststätte Hartleb in Maroldsweisach auftrat. Doch die wirklich dicke Überraschung des Abends erlebte eine andere SPD-Politikerin, die dort ein Heimspiel hatte: Susanne Kastner.
Als frühere Bundestagsvizepräsidentin und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestags hat die 71-jährige Kastner manch großen Auftritt erlebt. Doch an diesem Abend blickte sie sichtbar erstaunt in die Runde im Hartleb-Saal, als alle anwesenden Politikgrößen die Bühne betraten.
Landtagskandidat René van Eckert stellte in einer Laudatio die großen Verdienste der Politikerin für die SPD und das deutsche Volk heraus. „Trotz ihrer hohen Ämter verlor Susanne nie die Bodenhaftung und den Kontakt zur Basis“, sagte er. Um die Anerkennung ihrer Verdienste hervorzuheben, erhielt Kastner die höchste Auszeichnung, die die SPD an ihre Mitglieder vergibt. Zusammen mit einer Urkunde überreichte Kohnen die Willy-Brandt-Medaille an die sichtlich gerührte Maroldsweisacherin, die sich auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag noch heute sehr „in ihrer“ SPD engagiert.
„Ich habe mit allem gerechnet, nur nicht mit dieser Medaille“, bedankte sich Kastner, nachdem die Zuschauer mit minutenlangem Applaus die Verdienste der SPD-Politikerin aus Maroldsweisach gewürdigt hatten. „Alleine kann man das überhaupt nicht schaffen, sondern nur in der sozialdemokratischen Gemeinschaft“, meinte Kastner und stellte klar: „Wir machen in den nächsten sieben Wochen einen Wahlkampf, um die Menschen von unseren Ideen zu überzeugen.“
Meinungsaustausch
Der Landtagswahlkampf spielte natürlich auch während des restlichen Abends eine Rolle für den Besuch von Kohnen in Maroldsweisach. Im Rahmen der Reihe „Kohnen Plus“ bittet die 50-jährige SPD-Spitzenkandidatin in ganz Bayern regionale Größen zum Meinungsaustausch. An diesem Abend, noch vor deren Ehrung, war Kastner Kohnens Gesprächspartnerin. René van Eckert, der als Kandidat für den Stimmkreis Rhön-Haßberge der Gastgeber des Abends war, begrüßte daneben Bundestagsabgeordnete Sabine Dittmar, die Landtagsabgeordnete Kathi Petersen, Bezirksrat Bernhard Ruß sowie SPD-Kreisvorsitzenden Wolfgang Brühl.
Während des rund 45-minütigen Gesprächs zwischen Kohnen und Kastner erfuhren die über 100 Zuhörer viel über den Werdegang der beiden Sozialdemokratinnen. Als Schlüsselmoment für ihren Eintritt in die SPD nannte Kastner ein persönliches Gespräch mit einer alten Frau, die trotz harter Arbeit nur eine minimale Rente erhielt. Für die jetzige Landesvorsitzende Kohnen waren es seinerzeit die Demonstrationen in Wackersdorf, bei denen sie erleben musste, wie mit Gewalt gegen die Protestler vorgegangen wurde. Diese Augenblicke waren für die beiden selbstbewussten Frauen ausschlaggebend, in die Politik einzusteigen, um etwas verändern zu wollen.
Für beide SPD-Politikerinnen hatte die Politkarriere jeweils im Gemeinderat begonnen, ehe Kastner im Jahr 1989 als Nachrückerin in den Bundestag einzog beziehungsweise Kohnen 2008 in den Bayerischen Landtag gewählt wurde. Einig waren sich beide, dass man die Vorkommnisse in Chemnitz nicht akzeptieren könne. „Wir müssen laut werden und Weiteres verhindern“, forderte Kohnen auf, „damit die Grundrechte der Demokratie, insbesondere die Presse- und Meinungsfreiheit, gewahrt bleiben.“ Weiter forderten sie für Bayern die kostenfreie Kitaplätze, damit nicht weiter Kinder ausgegrenzt würden.
„In dieser Form habe ich es in ganz Bayern noch nicht gehört, dass es keinen öffentlichen Personennahverkehr gibt“, war die Reaktion Kohnens, als sie erfuhr, dass es insbesondere im nördlichen Landkreis Haßberge außer den Schulbussen so gut wie keine annehmbaren Busverbindungen gäbe. Es müsse flächendeckend einen funktionierenden öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) im Stundentakt geben, damit der Umstieg vom privaten Auto auf die öffentlichen Verkehrsmittel gelänge. Dass es stattdessen in manchen Orten Mitfahrerbänke gebe, auf denen die Bürger warten können, bis sie jemand mit dem Auto mitnimmt, empfand Kohnen als grotesk und sagte: „Das ist noch ein Grund mehr am 14. Oktober SPD zu wählen.“
Der bayerischen Staatsregierung warf die SPD-Politikerin vor, überhaupt keine Landesplanung zu betreiben. Aus ihrer Sicht sei es längst überfällig einen kostenfreien ÖPNV für junge Leute einzuführen, die eine weite Strecke zu ihrem Ausbildungsplatz zurücklegen müssten.
In der fast einstündigen Fragerunde kamen aus dem Publikum unter anderem die Forderungen, nicht einheitliche Feiertage, wie Maria Himmelfahrt, für alle gleich zu gestalten und den ländlichen Raum zu stärken. Auf eine Frage, warum die SPD in der Vergangenheit so viel an Stimmen verloren hätte, räumte Kohnen ein, dass schon damals mit der Hartz-IV-Reform viel Vertrauen der Wähler verloren gegangen sei. Um wieder erfolgreich zu sein, brauche es „eine klare Haltung aus unseren Werten heraus, die fühlbar für die Menschen ist, und sich auch wieder um die alltäglichen Dinge kümmere“.