
So lange wie möglich ein selbstständiges Leben führen und selbstbestimmt wohnen können: Dies ist für die ältere Generation ein zentrales Anliegen. Im Landkreis Haßberge wünschen sich laut Umfrage des Basis-Institutes durchschnittlich 78 Prozent der Befragten, bei Rüstigkeit in den eigenen vier Wänden alt zu werden. Doch die meisten Wohnungen oder Eigenheime genügen nicht den Anforderungen älterer Menschen.
Weder die alten Gebäude in den Ortskernen noch die in den vergangenen fünfzig Jahren in den Siedlungen entstandenen Einfamilienhäuser sind so altersgerecht gestaltet, dass sie auch bei gesundheitlichen Einschränkungen problemlos bewohnt werden können. Viele Treppen, zu hohe Schwellen, zu geringe Türbreiten und zu enge Bäder behindern den Alltag, führen vermehrt zu Stürzen oder erschweren die Pflege zu Hause.
„Ziel unserer Wohnberatung ist es, mit möglichst wenig Aufwand ein Leben im eigenen Haus zu ermöglichen“, sagt Tina Lenhart vom Pflegestützpunkt Haßberge. Die Wohnberatung im Landkreis Haßberge bildet einen Baustein im seniorenpolitischen Gesamtkonzept, mit dem der Landkreis versucht, die Folgen des demografischen Wandels zu meistern. Lenhart koordiniert den Einsatz von acht ehrenamtlichen Wohnberatern. „Alle Mitarbeiter haben eine Grundlagenschulung erhalten und bilden sich ständig weiter“, erläutert sie. Außerdem stünden der Beratungsstelle professionelle Partner zur Seite, wie beispielsweise das Bauamt oder die Energieberatung des Umweltbildungszentrums (UBiZ).
Gibt es finanzielle Hilfen?
„Oft bitten uns die Kinder von älteren Bürgern um Hilfe“, sagt Lenhart. Diese wüssten zwar meist schon, was zu tun sei. Doch die Älteren seien von notwendigen Veränderungen durch eine sachliche Beratung von Außenstehenden eher zu überzeugen. „Manchmal muss nur der Teppich weg, über den man ständig stolpert“, lacht die Beraterin, „oder das Schlafzimmer muss vom ersten Stock ins Erdgeschoss verlegt werden.“
Neben der Beseitigung von Hindernissen und dem Einsatz von Hilfsmitteln, die den Alltag erleichtern, ist natürlich auch das dafür notwendige Kleingeld Thema der Beratung. „Für das Wohnumfeld verbessernde Maßnahmen kann bei bestehender Pflegestufe ein Antrag bei der Pflegekasse gestellt werden“, erklärt Lenhart. Bis zu knapp 2600 Euro seien hier als Zuschuss möglich.
Das vielfältige Angebot der Wohnberatung stehe allen Bürgern im Landkreis kostenlos zur Verfügung. „Jeder, der einen Neu- oder Umbau plant, sollte dabei schon ans Alter denken und sich beraten lassen“, empfiehlt Lenhart.
Selbstversuch
„. . . Türschwellen, Absätze, Treppen? – Reichlich vorhanden!“ Keinen Gedanken verschwendeten die Autorin und ihr Mann an künftige Altersprobleme, als sie vor 18 Jahren zu den Schwiegereltern in den ehemaligen Bauernhof zogen. Der Kuhstall wurde zur Werkstatt, der Schweinestall zum Wohnzimmer und aus Mehl- und Mägdekammer im ersten Stock wurden Schlafzimmer und Bad. Wohnlich ja – aber altersgerecht geht wohl anders.
„Inzwischen bin ich Mitte 50 und habe ,Rücken‘. Werde ich in diesem Hause alt werden können?“ Ich wage den Selbstversuch und rufe die Wohnberatung. Die ehrenamtliche Wohnberaterin Renate Vogt strahlt Kompetenz und Zuversicht aus. „Hier würde ich als erstes rechts und links ein Geländer anbringen“, zeigt sie auf die drei Stufen, die zum Hauseingang führen. In dem Ornament über der Haustür sind die Anfangsbuchstaben des Erbauers und die Jahreszahl 1845 im Sandstein zu lesen. Eine feste Rampe über die drei Stufen würde bis auf die Straße reichen, schätzt die Expertin. Will man die Schräge mit einem Rollstuhl selbst befahren, soll die Steigung nicht mehr als sechs Prozent sein. Das hieße bei meinen drei Stufen mit einer Gesamthöhe von 42 Zentimeter eine Rampe von sieben Metern! Eine mobile faltbare Rampe sei hier sinnvoller, rät Vogt. Oder im Falle eines Rollstuhles auch ein sogenannter „Treppensteiger“, den ein Helfer bedienen muss.
Vorhang statt Duschwand
Beruhigend wiederum: Alle Absätze und Stufen im Erdgeschoss lassen sich kostengünstig und mit wenig Arbeitsaufwand mit schrägen Holzkeilen ausgleichen. Im Gästebad im Erdgeschoss empfiehlt die Beraterin, die Duschkabine mitsamt der erhöhten Wanne zu entfernen. Stattdessen solle die Dusche bodeneben und rutschhemmend verfliest werden. So könnten wir im Erdgeschoss ein altersgerechtes Bad schaffen.
„Ein Duschvorhang ist wesentlich pflegeleichter und praktischer als eine feste Kabine“, ist Vogt überzeugt. Ein flexibler Duschhocker oder -stuhl sowie diverse Haltegriffe sorgen für Sicherheit. Eine Sitzerhöhung für die Kloschüssel und Haltegriffe erleichtern den Gang zur Toilette. Meistens ginge es bei der Beratung um das Bad, so Vogt. „Viele haben Probleme mit der Wanne und kommen auch mit einem Wannenlifter nicht zurecht.“ Die einfachste Lösung sei hier oft: Wanne raus und ebenerdige Dusche rein. Wenn irgend möglich sollte die Badezimmertür nach außen aufgehen, empfiehlt Vogt. In Notfällen könne es schwierig werden in das Bad zu kommen, wenn der Gestürzte hinter der Tür läge.
Als größte Herausforderung erweist sich die Treppe in den ersten Stock zu Schlafzimmer, Bad und Büro. „Zunächst würde ich Handläufe auf beiden Seiten empfehlen“, sagt Vogt. Sollte das Treppensteigen nicht mehr möglich sein, habe man die Wahl zwischen einem eher kostenintensiven Treppenlift oder aber die Verlagerung des Schlafzimmers in das Erdgeschoss.
Test bestanden
„Was es alles gibt!“, erstaunt schüttele ich den Kopf über die unzähligen Hilfsmittel, die mir Renate Vogt in den mitgebrachten Prospekten zeigt. Fixierbretter, Sitzmöbelerhöhungen, Greifhilfen, Strumpfanzieher und viele nützliche Dinge mehr, die den Alltag vereinfachen. Manches zahle die Krankenkasse, manches die Pflegeversicherung und für manches gäbe es günstige Darlehen – die Finanzierung sei im jeweiligen Einzelfall zu prüfen. „Unser Ziel ist es, den Menschen mit günstigen und einfach realisierbaren Mitteln zu ermöglichen, möglichst lange und möglichst angenehm zuhause leben zu können“, bringt Vogt ihr Bestreben auf den Punkt.
„Bei Ihnen kann das Alter getrost kommen“, verabschiedet sie sich lachend, „Sie können in ihrem Haus bleiben.“
Alttag in den Haßbergen
Der Bote vom Haßgau beschäftigt sich in dieser Serie mit Fragen zum demografischen Wandel und zum Altern. Wie sieht er aus, der „Goldene Herbst“ im Landkreis? In loser Folge werden wir über das Altwerden und den Alltag von Senioren berichten. Wir beleuchten die Wohn- und Lebenssituationen und fragen nach Problemen und Wünschen. Hierzu nehmen wir gerne Anregungen unserer Leser an, Tel. (0 95 23) 92 21 34, E-Mail: red.hofheim@mainpost.de