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HAßBERGKREIS
„Hierzulande erben nur die Reichen“
Mit dem Thema Altersarmut befassten sich beim Parlamentarischen Nachmittag der Freien Wähler im Landtag in München (von links) die Landtagsabgeordneten der Freien Wähler Dr. Peter Bauer und Dr. Hans-Jürgen Fahn, Katharina Mayer von „Kuchentratsch“, die Europaabgeordnete Ulrike Müller, Prof. Gerhard Naegele und Aidhausens Bürgermeister Dieter Möhring.
Foto: Sabine WEinbeer | Mit dem Thema Altersarmut befassten sich beim Parlamentarischen Nachmittag der Freien Wähler im Landtag in München (von links) die Landtagsabgeordneten der Freien Wähler Dr. Peter Bauer und Dr.
Von unserer Mitarbeiterin Sabine Weinbeer
 |  aktualisiert: 15.12.2020 15:16 Uhr

„Viele örtliche Projekte müssen ineinandergreifen, auskömmliche Löhne und eine Reform der Rentenversicherung, all das ist nötig, um heutige Altersarmut zu mindern und künftige Altersarmut zu verhindern“, so MdL Hans-Jürgen Fahn zum Auftakt eines parlamentarischen Nachmittags der Freien Wähler zum Thema „Altersarmut im reichen Bayern – das darf es nicht geben“ im Landtag. Dort stellte auch Aidhausens Bürgermeister Dieter Möhring verschiedene Ansätze seiner Gemeinde vor.

Professor Gerhard Naegele definierte in seinem Impulsreferat zunächst, was Armut im Alter bedeutet. Unter den aktuellen Rentenbeziehern seien die allermeisten nicht ausschließlich auf die gesetzliche Rente angewiesen. Derzeit sei das Armutsrisiko für Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Migranten deutlich höher als bei den Rentnern, von denen drei Prozent Grundsicherung beziehen. Allerdings gebe es auch eine nicht unerhebliche Dunkelziffer.

Wer aktuell zum Mindestlohn beschäftigt sei, immer nur Projektverträge mit entsprechenden Pausen habe, oder aus gesundheitlichen Gründen, für Kinder oder Pflege längere Zeit aus dem Erwerbsleben ausscheidet, werde aber künftig weder ausreichend gesetzliche Rente erhalten noch die Chance haben, sich eine private Altersvorsorge oder Wohneigentum zu schaffen, so der Professor. „Diese Leute können der Altersarmut nur durch Lottogewinn oder Erbschaft entfliehen – aber hierzulande erben nur die Reichen“.

Im Blick auf die finanzielle Armut machte Prof. Naegele deutlich, dass neben den statistisch erfassten prekären Arbeitsverhältnissen vier Millionen Selbstständige mit niedrigen Einkommen gar nicht erfasst seien. Die Problematik verschärfe sich durch die „Entnormalisierung von Arbeitsverhältnissen“. Es sei höchste Zeit, dass alle in die Rentenversicherung einzahlen und versicherungsfremde Leistungen aus Steuermitteln und nicht aus der Rentenversicherung bezahlt werden.

Finanzielle Armut sei aber nur eine Facette, denn damit einher gehe auch der soziale Ausstieg, die Vereinsamung, die nachgewiesen auch früher zu Pflegebedürftigkeit führe.

Auch wenn die großen Stellschrauben in der Renten- und Arbeitsmarktpolitik und damit bei Bund und Ländern liegen, sieht Prof. Naegele auch vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten für die Kommunalpolitik „wenn das Problem als Problem anerkannt ist“. Dazu beitragen könne ein regionalisierter Armuts-Bericht wie in Nordrhein-Westfalen. Die Kommunen könnten den sozialen Wohnungsbau fördern, ebenso behindertengerechte Umbauten.

Dazu gehören Bürgernetzwerke, Fahrdienste, vergünstigte Eintrittskarten, aber auch die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Pflege. Um passgenau und individuell handeln zu können, bräuchten die Kommunen aber auch die personelle und finanzielle Ausstattung.

Was alles möglich, aber auch notwendig ist, zeigte die Podiumsdiskussion, die von MdEP Ulrike Müller moderiert wurde. Sie stellte in der Vorbereitung der Veranstaltung fest, dass es 2011 in Brüssel zwar einen Initiativbericht zur Altersarmut gegeben habe, von einer Umsetzung sei aber nichts bekannt. Sie werde nachhaken, versprach sie.

Ein sehr kreatives Unternehmen gegen soziale Isolation stellte Katharina Mayer mit der Backstube „Kuchentratsch“ in München vor. Trotz vieler Vorschriften gelang ihr die Gründung dieses Unternehmens, in dem Senioren auf 450-Euro-Basis beschäftigt sind. Sie backen Kuchen „Wie bei Oma“ und haben gleichzeitig einen Treffpunkt. „Viele Freundschaften sind schon gewachsen und ein Teil unserer Senioren können die 450 Euro als Ergänzung zur Rente sehr gut brauchen“, erzählte Mayer.

Alt werden in der Großstadt hat vordergründig den Vorteil eines guten öffentlichen Nahverkehrs, doch gerade hier ist die Gefahr der Vereinsamung groß und die Mieten können auch von etwas besseren Renten oft nicht mehr bestritten werden.

Ein Konzept, dem zu entgehen, ist das Wohnprojekt Friesenhausen, initiiert von Christian Wittmann und unterstützt von der Gemeinde Aidhausen. Obwohl als Pilotprojekt anerkannt, gebe es noch hohe bürokratische Hürden für solche individuell zugeschnittenen Konzepte, so Bürgermeister Dieter Möhring.

Er kam nach München, um aufzuzeigen, welche Möglichkeiten es auf dem Land gibt, „auf dem Land alt zu werden: barrierefrei, gesund und in guter Gesellschaft“, aber auch welche Unterstützung kleine Kommunen dabei brauchen. Aus der Generationen-Werkstatt der Bürgerinnen und Bürger seien viele Ideen gewachsen vom bereits existierenden Dorfladen bis zum Bürgerdienst, der gerade im Aufbau sei.

Ohne finanzielle Förderung sei aber sozialverträgliches Seniorenwohnen auch auf dem Land nicht darstellbar. „Senioren-Wohngemeinschaften für Reiche“ seien nicht das Maß, betonte auch Professor Naegele. Dennoch gibt es viele Ansätze für Wohnformen, die nicht nur günstiger sind als im Pflegeheim, sondern auch näher am Menschen.

In der Diskussion zeigte Susanne Enders auf, dass nicht nur Pflegebedürftige in Not geraten, sondern auch Pflegende. Die OP-Schwester, Stadt- und Kreisrätin erklärte, dass viele Kolleginnen keine Altersvorsorge aufbauen können. „Aber sie könnten in einer Senioren-WG ihre Kenntnisse und Fähigkeiten mit einbringen“.

MdL Peter Bauer blieb die Zusammenfassung eines sehr lebendigen Diskussionsprozesses. Nachdem das Thema derzeit in allen Medien intensiv bearbeitet werde, sprach er die Hoffnung aus, dass einige der vielen abgelehnten Anträge der Freien Wähler vielleicht noch einmal auf das Tapet kommen.

„Bisher sind wir mit unseren Forderungen zu den Sozialsystemen und einer besseren Finanzausstattung der Kommunen leider nicht durchgekommen im Landtag. Aber wir werden das Thema nicht aufgeben“, versprach er.

Auch wenn Dieter Möhring als Bürgermeister von Aidhausen weder die Rentenversicherung verändern noch im großen Stil sozialen Wohnungsbau betreiben kann, wird er weiterhin kleine, dezentrale Schritte tun, um in seiner Gemeinde das Miteinander der Generationen zu stärken und das Altwerden so gut wie möglich zu gestalten – für die jetzige Bevölkerung ebenso wie für mögliche Zuzügler aus Ballungsräumen.

 
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