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KREIS HASSBERGE
Haßgaus Griechen im Zwiespalt
Die Helenen im Landkreis hoffen auf einen glücklichen Sieg / Ihr Herz schlägt aber auch für die Deutschen
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Von Carolin Münzel und Ralf Naumann
 |  aktualisiert: 19.10.2020 11:07 Uhr

Tsekuras Evangelos aus Ostheim ist in Deutschland geboren und hat seine ersten sechs Lebensjahre hier verbracht, bevor er mit seinen aus Griechenland stammenden Eltern zurück in deren Heimat ging. Dort lebte er, bis er 19 war. Dann kam er zurück in die Haßberge. „Ich habe mehr Lebensjahre hier verbracht, als in Griechenland“, erklärt er lachend. Und genau diese Tatsache bringt ihn am heutigen Freitag mehr oder weniger in ein Dilemma. Wenn die Helenen im EM-Viertelfinale gegen die Deutschen kicken, wird sein Herz natürlich blau-weiß schlagen. Gleichzeitig bringt Tsekuras Evangelos aber auch der deutschen Mannschaft große Sympathie entgegen. Er verfolgt regelmäßig die Bundesliga und ist Fan des FC Bayern München. Sollte Griechenland ausscheiden, wird er für den Rest der EM der Löw-Truppe die Daumen drücken.

„Die Griechen sind mit viel Glück bis ins Viertelfinale gekommen“, sagt er schmunzelnd und hofft, dass Fortuna seiner Mannschaft auch weiter gewogen bleibt. Nur mit ihrer Hilfe, da ist er sich sicher, könne man die Deutschen besiegen. Während die griechischen Fußballgrößen wie Giorgos Karagounis oder Nikolaos Papadopoulos schon einige Jahre auf dem Buckel hätten, würden sich die deutschen Kicker durch viele gute Leute auszeichnen. „Ich glaube, dass das Spiel 2:1 für Deutschland ausgeht“, meint Evangelos. Mit einem zweiten Fußballwunder wie 2004, als die Griechen überraschend Europameister wurden, rechnet er nicht. Aber er ist überzeugt, dass ein spannendes und schönes Viertelfinalspiel zu sehen sein wird.

Im gleichen Maß, wie Tsekuras Evangelos auf die griechische Nationalmannschaft stolz ist, beschämt ihn, was momentan politisch in seinem Land passiert. Die Polemik der griechischen Presse und die Antipathie vieler seiner Landsleute gegen die Deutschen kann er nicht nachvollziehen. Er glaubt nicht, dass auf dem Fußballplatz am Freitag eine Art Stellvertreterkrieg ausgetragen wird: „Sport hat nichts mit Politik zu tun.“ Ein Sieg, so denkt er, wäre für die krisengeplagten Griechen dennoch eine Genugtuung. Viele hätten dann das Gefühl, dass wenigstens im Sport etwas vorangeht.

Tsekuras Evangelos wird das Viertelfinale im Kreis der Familie und mit seiner deutschen Frau anschauen. Angst vor einem Ehestreit hat er nicht. „Die bessere Mannschaft soll gewinnen“, meint er lachend und fügt augenzwinkernd hinzu: „Beim Sport ist immer auch Glück dabei.“ Ioannis Tsopanidis aus Rentweinsdorf und Elena Tassiou aus Sylbach glauben nicht daran, dass sich der griechische Titelgewinn von 2004 wiederholt. „Es wird jedenfalls sehr schwer“, meint Tassiou. Optimistischer ist Theofanis Arvanitis. „Vielleicht, warum nicht?“, setzt der Ebelsbacher auf die Außenseiterrolle. Keine Frage: Die EM 2012, speziell das zweite Viertelfinalspiel in Danzig, zieht nicht nur die Zuschauer vor Ort in seinen Bann, sondern Millionen Menschen in beiden Ländern. Das Herz von Elena Tassiou, die in Schweinfurt geboren wurde und seit vielen Jahren in Sylbach lebt, schlägt „schon für Griechenland.“ Aber ihr deutsches Denken verrät ihr, „dass Deutschland am Ende als Sieger dasteht“. Doch im Endeffekt kann die 38-Jährige mit beiden Ergebnissen gut leben. „Wenn Griechenland gewinnt, freue ich mich. Wenn Deutschland gewinnt, dann auch.“ Elena Tassiou, Tochter der 1960 nach Deutschland gekommenen Athanasios und Panajeoda Sokolakis, ist in erster Linie froh, dass die Mannschaft um Trainer Fernando Santos bereits so weit gekommen ist. Das bedeute ihr sehr viel. „Ich habe im griechischen Fernsehen erstmals seit langer Zeit wieder lächelnde Gesichter gesehen“, freut sie sich. Was seit vielen Wochen und Monaten in ihrem zweiten Heimatland passiert, lässt sie natürlich nicht kalt. Sie ärgert sich in erster Linie, dass das Volk für Misswirtschaft geradestehen und dafür büßen soll. „Die Reichen werden reicher und der Mittelstand geht zugrunde“, stellt Tassiou fest. „Es ist einfach schade, dass es so weit gekommen ist.“ Sie ist der festen Überzeugung, dass „viel gemacht werden muss, dass das Land wieder hochkommt. Es ist schwer, aber die Hoffnung ist da.“ Die Sparauflagen empfindet sie als „vollkommen in Ordnung.“ Am Freitagabend spielt Politik allerdings keine Rolle. Dann geht es um einzig um Sieg oder Niederlage, oder wie sie lachend sagt: „Ouzo oder Bier.“ Sie muss das Spiel unterdessen ohne ihren Mann Odiesseas Tassios verfolgen, der mit einer Sportgruppe aus Lengfeld eine Woche im griechischen Igomeniza Sivota Urlaub macht. „Ich soll ausrichten, dass der Bessere gewinnt“, sagt Elena Tassiou.

Für den vor 26 Jahren nach Deutschland gekommenen Theofanis Arvanitis, der seit 1991 zusammen mit Ehefrau Simone sowie den Kindern Elena und Kosta in Ebelsbach wohnt, ist die Mannschaft von Bundestrainer Joachim „Jogi“ Löw das schwerste Hindernis auf dem Weg zu einer neuen Sensation. „Er hat einfach eine gute Mannschaft zur Verfügung. Aber schauen wir einmal. Vielleicht haben wir das notwendige Glück.“ Der 49-Jährige will sich aber ebenso wie der Rest der Familie nicht festlegen. „Mein Herz schlägt für beide. Weil ich Grieche bin, geht der eine Daumen natürlich ein bisschen mehr nach oben“, lacht Arvanitis. Zustimmung bekommt er von seiner Frau. „Ich bin schon so lange mit einem Griechen zusammen und deshalb kann ich mich nicht richtig entscheiden.“ Immerhin hat Simone Arvanitis, die sich ansonsten nicht wirklich für Fußball interessiert, aufgrund der tollen Stimmung ebenfalls das Fieber gepackt. „Das wird bestimmt richtig lustig.“ Zur politischen Lage wollen sich die beiden nicht äußern. „Momentan steht für uns der Sport im Vordergrund. Politik spielt am Freitag absolut keine Rolle.“ Sohn Kosta, der „vielleicht auf die Bamberger Fanmeile“ geht, und Tochter Elena sind ebenfalls unentschlossen, wer gewinnen soll. Der Spaß stehe an erster Stelle. Ein großes Lob hat Theofanis Arvanitis noch für seinen Arbeitgeber Bosch in Bamberg. „Wir können uns das Spiel in Ruhe ansehen und müssen erst danach auf die Arbeit“, freut er sich, die 22 Uhr-Nachtschicht später beginnen zu können. „Ich denke, dass Deutschland sich durchsetzt“, glaubt Ioannis Tsopanidis, der in Nürnberg das Licht der Welt erblickte und seit 27 Jahren in Rentweinsdorf lebt. Der Grieche, ein leidenschaftlicher Fußballfan, räumt ein: „Mein Herz schlägt für Griechenland.“ Dass ein Sieg gegen Deutschland dem Land bei der Bewältigung der Schulden- und Eurokrise nützlich sein kann, bezweifelt der 37-Jährige – „politisch schaut es doch ziemlich schlecht aus.“ Da er in Deutschland geboren wurde, habe er „im Großen und Ganzen nichts damit zu tun. Genauso viel, wie ein Deutscher hier.“ Er ist sich aber sicher, dass seine Landsleute „ein bisschen heiß auf die Deutschen sind. Die werden sich sicher freuen über die Gelegenheit, gegen Deutschland zu spielen.“ Sein Tipp: „Verlängerung und Deutschland kommt im Elfmeterschießen weiter.“

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