Für die Kreisstädterinnen und Kreisstädter ist es offenbar Alltag geworden, auf der Straße oder beim Einkaufen Menschen aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak zu begegnen. Auch dass die Regierung von Unterfranken in Haßfurt eine Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete bauen will, was sich inzwischen herumgesprochen hat, scheint die Einheimischen nicht besonders zu bewegen, geschweige denn zu beunruhigen.
Deutlich mehr Geflüchtete als Einheimische
Das Thema Flüchtlinge ist und war – anders als anderswo – in Haßfurt und Umgebung noch nie ein Aufregerthema. Andernfalls hätten sich wohl deutlich mehr Bürgerinnen und Bürger am vergangenen Dienstag zu einer Informationsveranstaltung zur Situation der Geflüchteten in der Kreisstadt und im Landkreis in der Stadthalle eingefunden. Bei der Veranstaltung, die auch als Begegnungsabend der deutschen mit der ausländischen Seite gedacht ist, stellen Männer, Frauen und Kinder aus fernen Ländern schließlich bei weitem die Überzahl. Unter ihnen: mehrere Familien aus Armenien.
Referent des Abends ist einmal mehr Dieter Sauer, Leiter des Sozialamtes am Landratsamt Haßberge, und in dieser Funktion für die Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten zuständig. Seit der "Flüchtlingskrise" 2015 ist Sauer immer wieder im Landkreis unterwegs, um Aufklärungsarbeit zu leisten, die Sorgen der Bevölkerung aufzugreifen, Missverständnisse auszuräumen, Vorurteilen entgegenzutreten, Konflikten vorzubeugen. Wie immer dabei so auch an diesem Dienstag: Siza Zaby, hauptamtliche Integrationslotsin des Landkreises, seit einiger Zeit im Duo mit ihrer Kollegin Cornelia Klaus.
Es wird für die drei ein einfacher Abend, neben einer Handvoll Haßfurter Stadträte und Caritas-Chefin Anke Schäflein setzt sich das deutsche Publikum wohl vor allem aus in der Flüchtlingshilfe engagierten Männern und Frauen zusammen. Kein Murren, kein böses Wort auch, als Bürgermeister Günther Werner in seinem Grußwort daran erinnert, dass unzählige Deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg selbst Vertriebene waren und die heutigen Flüchtlinge doch "ein riesiger Gewinn für unseren Arbeitsmarkt sind, dem 1,5 Millionen Arbeitskräfte fehlen."
Einmal mehr lässt Dieter Sauer seine Zuhörerinnen und Zuhörer erahnen, was in seinem Wirkungsbereich entscheidend zum auskömmlichen Mit- oder Nebeneinander von Einheimischen und Vertriebenen beiträgt: Es beginnt damit, dass sich im Landkreis gemessen an seiner Einwohnerzahl viel weniger Geflüchtete aufhalten als im Bundesdurchschnitt. Es setzt sich damit fort, dass die Betroffenen dezentral in möglichst kleinen Wohneinheiten statt in konfliktträchtigen Massenunterkünften untergebracht sind.
Und es sind Sauer und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter selbst, die die Unterbringung, Versorgung und Betreuung managen; diese Aufgabe an externe Dienstleister zu delegieren, kommt für den Sozialamtsleiter nicht infrage. Stattdessen freut sich Sauer, dass es ihm praktisch überall gelungen ist, Vereine, Kirchen oder Nachbarn mit ins Boot zu holen, die sich mit um die Neuankömmlinge kümmern.
Eine Syrerin als "Hygienebeauftragte" für ihre Landsleute
Und dann gibt es, was landauf, landab wohl einzigartig ist, mittlerweile acht muttersprachliche Alltagsbegleiterinnen und -begleiter, die der Landkreis ausgebildet hat, damit sie ihren Landsleuten helfen können, in der Fremde Fuß zu fassen: Etwa Seham Abdul Daem, eine Syrerin, die nun als "Hygienebeauftrage" unterwegs ist. Und ihren Schützlingen erklärt, wie die für sie gänzlich unbekannte Mülltrennung in Deutschland funktioniert. Deren Nichtbeachtung ganz schnell zu Reibereien mit der Nachbarschaft führe, wie sie sagt.
"So gelingt es uns schon am Anfang, erste Missverständnisse und Konflikte zu vermeiden", verkündet Dieter Sauer mit Blick auf seine Integrationslotsinnen und Alltagsbetreuer. Und er räumt mit einem offenbar weit verbreiteten Irrtum auf: Die Integrationskurse stehen auch jenen Personen offen, die nur geringe oder keine Aussicht auf eine Bleibeberechtigung haben. Dazu scheinen die in der Stadthalle anwesenden Familien aus Armenien zu gehören, die der Krieg mit Aserbaidschan 2020 nach Deutschland verschlagen hat.
Dringender Wunsch der Erwachsenen: So schnell als möglich arbeiten
Die armenischen Väter und Mütter machen dennoch unmissverständlich klar, was sie sich wünschen, und darin unterscheiden sie sich nicht von den vielen überwiegend jungen Männern aus Afghanistan, die ebenfalls zum Dialog gekommen sind: Alle wollen unbedingt arbeiten dürfen. Wer über die Integrationskurse hinaus quasi zum Nichtstun verdammt ist, empfindet das als Schmach und Belastung.
Dieter Sauer kennt die Kritik, die an diesem Dienstag einmal mehr auch von deutscher Seite geübt wird. Wie viel zu bürokratisch das mit den Berufsanerkennungen sei, wie viel zu langsam die Mühlen der zuständigen Stellen mahlten, wo doch zum Beispiel der Pflegesektor so händeringend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suche. Stattdessen befänden sich arbeitswilligen Geflüchtete in riesigen Warteschleifen, und je länger die Schleifen würden, desto mehr drohten die Betroffenen, abzustürzen.
Dieter Sauer erkennt diese Problematik an, er will sich nicht einfach aus der Affäre ziehen, doch muss er einwerfen, dass seine Behörde nicht für Jobvermittlung zuständig sei; bei weiteren Informationsveranstaltungen dieser Art will er Vertreter des Jobcenters mit dabei haben, damit diese über Grenzen und Möglichkeiten aufklären können, kündigt er an.
Doch Anke Schäflein bringt sich mit einem interessanten Gesichtspunkt in die Diskussion ein: Die meisten Geflüchteten seien auf irgendeine Art traumatisiert, sagt die Caritas-Geschäftsführerin. Diese Menschen allzu schnell auf einen für sie fremden Arbeitsmarkt zu werfen, ohne dass sie genügend Zeit gehabt hätten, in der Aufnahmegesellschaft und bei sich selbst anzukommen, könne in der Folge zu einer weiteren Traumatisierung führen, gibt Schäflein sinngemäß zu bedenken.
Der stetige Schlusssatz: Integration ist gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Zum Ausklang eines friedlich verlaufenen Abends stehen am Dienstag in der Haßfurter Stadthalle Bürgerinnen und Bürger aus der Kreisstadt und dem Umland zusammen mit den hier Gestrandeten aus Vorderasien, dem Kaukusus bis Zentralasien. Kurz zuvor, zum Schluss des offiziellen Teils, hatten sie alle von Siza Zaby, Cornelia Klaus und Dieter Sauer gehört, die Flüchtlingsfrage sei nicht Sache irgendeiner Behörde oder der Politik allein. Sondern: "Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die jeden betrifft", so das Trio.