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„Haben Sie schon mal ein Proton gesehen?“
Kaum einer kann so charmant, witzig, unterhaltsam und gut verständlich die Geheimnisse der Physik vermitteln, wie Professor Dr. Harald Lesch.
Foto: Ulrike Langer | Kaum einer kann so charmant, witzig, unterhaltsam und gut verständlich die Geheimnisse der Physik vermitteln, wie Professor Dr. Harald Lesch.
Von unserer Mitarbeiterin Ulrike Langer
 |  aktualisiert: 15.12.2020 15:27 Uhr

Niemand kann so charmant, unterhaltsam und gut verständlich die Geheimnisse der Physik vermitteln wie Professor Dr. Harald Lesch. Kein Wunder, dass die Veranstaltung des Kulturamts Haßfurt „Lesch - Live!“ mit dem bekannten Astrophysiker, Fernsehmoderator und Autor in der Stadthalle ausverkauft war. Doch viele Besucher waren auch deswegen gekommen, weil Judith Selig aus Wonfurt an dem Buch „Die Entdeckung des Higgsteilchens“ mitgearbeitet hat, das Lesch zusammen mit insgesamt sieben Studenten geschrieben hat und das an diesem Abend vorgestellt wurde.

„Das Buch hat bei uns in der Region hohe Wellen geschlagen, weil Judith Selig daran beteiligt war“, sagte die Leiterin des Kulturamts Haßfurt, Petra Lettang, zu Beginn. „Deshalb haben wir sie und ihre Kommilitonen eingeladen. Dass Harald Lesch ebenfalls zugesagt hat, ist für uns aber eine ganz besondere Ehre.“ So kamen die 450 Gäste in den Genuss, den Professor im „Vorprogramm“ zu erleben, bevor seine Studenten über die Arbeit an dem Buch berichteten und Licht in das Dunkel des Higgsteilchens brachten.

„Mal ehrlich, haben Sie eine Ahnung, worum es hier geht?“ fragte Lesch provokant und dennoch treffend. „Wir Physiker reden über Dinge, die man nicht sehen kann, die wir uns nicht vorstellen können und die lediglich im Experiment nachgewiesen wurden“, so Lesch weiter. „Ist das nicht unglaublich?“ Als er seiner Mutter während des Studiums erzählt habe: „Wir können nie sagen, dass unsere Theorien wahr sind, wir können nur sagen, was nicht falsch ist“, habe sie geantwortet: „Wir schicken Dich doch nicht zum Studieren, damit Du uns sagst, was nicht falsch ist. Erklär doch lieber mal, was Ihr Physiker macht.“

So habe sich seine „Lust am Fabulieren“ entwickelt. Schließlich sei die Physik die Grundlage des modernen Lebens und widme sich der großen Aufgabe, die Welt zu erforschen. „Physiker stellen Fragen und versuchen, diese zu beantworten. Und wenn sie sich geirrt haben, versuchen sie, diesen Irrtum zu beseitigen und eine neue Frage zu stellen. Auf diese Art und Weise irrt sich die Physik empor“, sagte Lesch. Die Welt bestehe aus Atomen und die Atome bestünden aus Protonen und Neutronen und die Protonen und Neutronen wiederum bestünden aus Quarks. „Haben Sie schon mal ein Proton gesehen? Ich nicht. Und trotzdem haben wir in der Schweiz einen Beschleuniger gebaut, der Teilchen, die wir nie gesehen haben, auf Energien beschleunigt, von denen wir keine Ahnung haben, wie hoch sie wirklich sind. Und beim Zusammenstoß dieser Teilchen soll ein Feld entstehen, das den Teilchen, die wir noch nie gesehen haben, die Masse vermittelt, von der wir glauben, dass sie sie haben müssen. Und trotzdem sind wir fest davon überzeugt, dass dieses Verfahren richtig ist“, erklärte der Professor in kurzen Sätzen das Experiment zur Entdeckung des Higgsfelds beziehungsweise des Higgsteilchens.

Judith Selig berichtete anschließend, dass der Professor seine Studenten eingeladen hatte, an einem Buch mitzuschreiben. Nach zwei verworfenen Themen und der Entdeckung des Higgsteilchens hätten sie sich dann auf dieses Thema gestürzt. Die Astrophysikstudentin aus Wonfurt hatte in einem Kapitel den Teilchenbeschleuniger (LHC) beschrieben, in dem das Higgsteilchen schließlich nachgewiesen wurde. Die Physikstudenten Timothy Hall und Martin P. Dittgen, der Astrophysikstudent Florian Schlagintweit, der Germanistik- und Philosophiestudent Matthias Helsen sowie der Physik-, Astronomie- und Meteorologiestudent Florian Zeller schilderten dann die aufwändige Suche nach dem Higgsteilchen, die theoretischen Voraussetzungen und Konsequenzen für die Physik.

Timothy Hall erklärte, dass die Befürchtung, im LHC könnte ein Schwarzes Loch entstehen, alles einsaugen und die Menschheit vernichten, unbegründet sei. „Ein Schwarzes Loch ist eine örtliche Verdichtung von Materie, deren Gravitationswirkung lokal so stark ist, dass ihr nichts mehr entkommen könnte. Selbst wenn es gelingen würde, im LHC ein solches Schwarzes Loch im Mikromaßstab aus zwei Bleiatomen zu erzeugen, hätte es nur die Gravitation von zwei Bleiatomen und wäre ungefährlich“, betonte er. „Mit Gott hat das Higgsteilchen nichts zu tun, auch wenn es als das Gottesteilchen durch die Medien ging“, so Matthias Helsen. „Die Physik versucht, als Wissenschaft die Schöpfung zu beleuchten, nicht den Schöpfer.“

Zum Schluss der Veranstaltung, die vieles allgemeinverständlich erklärt, aber auch zum Nachrecherchieren und zum Lesen des Buches angeregt hat, betonte Harald Lesch: „Wir haben jetzt Geschichten vom Rand der erkennbaren Wirklichkeit gehört, die ein wichtiges Symbol und Zeichen unserer intellektuellen Fähigkeiten sind. Sie zeigen, dass Menschen unterschiedlicher Nationen mit einem gemeinsamen Ziel ganz friedlich unglaubliches erreichen können. Denn immerhin waren an der Planung und am Bau des LHC über 10 000 Wissenschaftler und Techniker aus über 100 Staaten beteiligt!“

Bevor er mit seinen Studenten noch unzählige Bücher signierte, beantworteten die Referenten Fragen aus dem Publikum. Unter anderem teilte Judith Selig mit – was der Professor nicht gewusst hatte –, dass in einem Detektor im LHC erstmals nachgewiesen wurde, dass es mehr Materie als Antimaterie im Universum gibt. „Das ist moderne Physik: die Studenten sind besser informiert als die Professoren“, so Lesch, „und ich bin wahnsinnig stolz auf meine Studenten!“

Martin P. Dittgen (links) erklärte anhand eines Modells beziehungsweise eines Hutes und einer Kugel das Higgsteilchen aus dem Blickwinkel der theoretischen Physik. Mit im Bild Matthias Helsen.
| Martin P. Dittgen (links) erklärte anhand eines Modells beziehungsweise eines Hutes und einer Kugel das Higgsteilchen aus dem Blickwinkel der theoretischen Physik. Mit im Bild Matthias Helsen.
 
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