Eigentlich ist die Demokratie eine gute Idee, doch sie hat einen Schwachpunkt: Wie soll man verhindern, dass sich auch diejenigen, die die Demokratie abschaffen oder einschränken wollen, zur Wahl stellen? Schon in einigen Staaten ist es im Lauf der Geschichte vorgekommen, dass sich jemand in einer Wahl demokratisch legitimieren ließ, um dann die Demokratie immer weiter abzuschaffen.
Deshalb gibt es in vielen Ländern Gesetze, die eben das verhindern sollen: Die Freiheiten, die ein gewählter Regierungschef hat, sind begrenzt – mal mehr und mal weniger effektiv. In der Türkei scheinen die Mechanismen zum Schutz von Demokratie und Menschenrechten nicht besonders gut zu funktionieren. Präsident Recep Tayyip Erdogan hat in den letzten Jahren alles mögliche unternommen, um sich selbst mehr Macht zu geben und andere Auffassungen zu unterdrücken.
Dass sein Volk ihn trotzdem wiedergewählt hat, ist traurig, lässt sich aber vielleicht noch damit entschuldigen, dass viele Türken nichts anderes mitbekommen haben, als die Staatspropaganda – immerhin hat Erdogan ja sehr erfolgreich kritische Journalisten wegsperren lassen. Wofür es allerdings keine Entschuldigung gibt, ist die Tatsache, dass viele in Deutschland lebenden Türken für den Präsidenten gestimmt haben, der die Demokratie immer weiter einstampft. Hier sprechen wir von Menschen, die Zugang zu freien Medien haben und die aus eigener Erfahrung wissen, wie es sich anfühlt, in einem freien Land zu leben. Trotzdem findet Erdogan mit seinen demokratie- und menschenrechtsfeindlichen Ideen hier sogar mehr Zustimmung als in seinem eigenen Heimatland: Während seine Mehrheit dort nur knapp war, bekam er von den Deutschtürken eine Zwei-Drittel-Mehrheit.
Da fragt man sich doch: Was ist schief gelaufen? Haben wir etwas falsch gemacht, dass wir es nicht geschafft haben, Menschen, die in unserem Land leben, die Vorteile einer freien und offenen Gesellschaft näherzubringen? Liegt es in unserer Verantwortung, unseren „Gästen“ etwas beizubringen? Oder liegt es in ihrer Verantwortung, etwas zu lernen?
Zur Demokratie gehört auch, zu akzeptieren, dass andere Menschen anders abstimmen. Dennoch stimmt es nachdenklich, wenn eine Wahl so erschreckend ausgeht. Zudem kann man sich fragen: Was für eine Politik wünschen sich die in Deutschland wohnenden Erdogan-Wähler eigentlich für das Land, in dem sie selbst leben?