An der Uni Hamburg ist der Unmut groß. Studenten protestieren dagegen, dass ein Professor, der einige Jahre beurlaubt war, nun wieder anfängt, zu unterrichten. Professor Bernd Lucke hatte eine Auszeit bekommen, weil er als Politiker aktiv war. Damit ist er gescheitert, nun kehrt er also in seinen alten Beruf zurück. Den Studenten passt das nicht. Denn Lucke steht für die Entstehung einer gefährlichen Partei.
Erinnern Sie sich noch, wie alles begann? Es war in den Jahren 2013 und 2014, als der Wirtschaftsprofessor Lucke auf der Bildfläche der deutschen Politik erschien. Er hatte gerade eine neue Partei gegründet und trat mit seiner Kritik an Euro und EU in allen möglichen Talkshows auf. Sein Auftreten war meist unangenehm: Er zeigte sich besserwisserisch und ließ den Professor raushängen. Dennoch: Mit seiner Euro-Kritik traf er in der Finanzkrise einen Nerv und erhielt viel Zustimmung. Die AfD, die Partei, die er damals gegründet hatte, war konservativ. Sehr konservativ. Aber: Nicht rechtsradikal oder verfassungsfeindlich. Die Betonung liegt dabei auf „war“, denn mittlerweile ist die Partei eine andere geworden.
Gerade zur Zeit der großen Flüchtlingswelle ist die AfD immer weiter nach rechts gerückt. Gründer Lucke und einige seiner Mitstreiter der ersten Stunde traten aus, nachdem sie die Kontrolle über die eigene Partei verloren hatten und sich ihr ehemaliges Baby immer mehr zum Nazi-Sammelbecken entwickelte. Lucke und andere haben mittlerweile Fehler eingeräumt und distanzieren sich von der Partei, die sie mitbegründet haben.
Nun kann man Lucke einige Vorwürfe machen. Denn die Entwicklung der AfD von einer eurokritischen hin zu einer rechtsradikalen Partei war schon lange vor seinem Austritt abzusehen, allerdings hatte der Parteigründer zu lange sämtliche Warnungen in den Wind geschlagen – dabei waren diese Warnungen aus Politik und Medien zahlreich. Klar ist auch: Die Rechten brauchten eine Partei, die sie „kapern“ konnten. Eine neugegründete Neonazi-Partei wäre wohl ähnlich erfolglos gewesen wie die NPD. Wer dagegen eine erfolgreiche konservative Partei zur rechtsradikalen Partei umbaut, hat gute Chancen, auch die Wähler zu radikalisieren und mitzunehmen – und dabei den bürgerlichen Anstrich zu behalten. Kurz gesagt: Die bürgerlichen AfD-Gründer sind keine Verfassungsfeinde, doch sie haben mit ihrem Leichtsinn den Aufstieg verfassungsfeindlicher Politiker erst möglich gemacht.
Aber ist das ein Grund, von der Hamburger Uni-Leitung zu fordern, dass Lucke nicht mehr unterrichten soll? Dass er seine Professur verlieren sollte? Grundsätzlich ist es ja zu begrüßen, wenn sich Studenten engagieren und ihre Meinung einbringen. Doch im Fall Lucke geht es ein bisschen weit. Lucke ist ein Demokrat, Lucke ist kein Rechtsradikaler und er hat sich ausdrücklich von den heutigen AfD-Positionen distanziert. Auch wenn ihn eine schwere Mitschuld am Aufstieg der rechten Gefahr trifft, sollte er nicht so behandelt werden, als wäre er jemand, der tatsächlich rechtsradikales Gedankengut teilt.
Wer sich wirklich von der AfD und einer starken neuen Rechten in Deutschland abgrenzen will, der sollte AfD-Aussteiger nicht als „Nazis“ brandmarken, sondern ihnen eine Chance zum Wiedereinstieg in die Welt außerhalb der Partei geben.
Lucke wird bei seinem Neuanfang an der Uni ohnehin einen schweren Stand haben: Welcher Student will schon gerne die Vorlesung des Mannes besuchen, der vor den Augen ganz Deutschlands als Politiker gescheitert ist? Da kann er noch von Glück reden, dass er Wirtschaftswissenschaftler ist und kein Politikwissenschaftler. Sonst gäbe es nämlich tatsächlich einen Grund, ihn nicht mehr lehren zu lassen: Fachliche Inkompetenz.