Eure Heimat ist etwas Wertvolles. Etwas Einzigartiges, das nur Ihr habt. Seid stolz darauf.“ Das ist die Botschaft, die Günter Lipp den Landkreisbewohnern vermitteln will. Seit 25 Jahren ist er im Dienste der Heimat unterwegs.
Als ehrenamtlicher Kreisheimatpfleger erforscht und beschreibt er Geschichte und Kultur des östlichen Landkreises. Für Geschichte interessierte sich Lipp schon in jungen Jahren. Die Liebe zu Unterfranken musste aber erst geweckt werden.
Seine erste Stelle als Junglehrer führte den damals 21-jährigen Münchener an die „Evangelische Bekenntnisschule“ nach Kraisdorf. Von der Großstadt aufs Land. Von Altbayern nach Franken. „Für mich als Oberbayer war es der Horror, nach Unterfranken zu müssen“, lacht er heute über seinen damaligen Schock. „Für mich war völlig klar, dass ich wieder nach München zurück gehe.“
Doch die Menschen im Kraisdorf machten ihm das Eingewöhnen leicht. Sieben Jahre unterrichtete Lipp die Schüler vom ersten bis zum achten Jahrgang in einer Klasse, bevor er als Seminarleiter Junglehrer ausbildete.
1964 lernte er seine künftige Frau, die Junglehrerin Beate Pöpperl kennen. Ein Jahr später gaben sich die beiden das Ja-Wort. Beate Lipp teilt die Leidenschaft ihres Mannes und unterstützt ihn bis heute tatkräftig.
Dem Oberbayer gefiel es schließlich bei den Franken so gut, dass er auf die Rückführung in seine Heimat verzichtete und im Eberner Stadtteil Frickendorf sesshaft wurde. 1972 stieg Lipp als zweiter Bürgermeister der Gemeinde Kraisdorf in die Kommunalpolitik ein. Bis 2014 engagierte sich der SPD-Politiker als Stadt- und Kreisrat.
Zum 1. April 1991 wurde er im Kreistag zum Kreisheimatpfleger für den östlichen Landkreis bestellt. Gemeinsam mit Lipp traten auch Christian Blenk für den Heimatpflegebereich Süd und der inzwischen verstorbene Eberhard Lorenz für den nördlichen Bereich den Dienst als Kreisheimatpfleger an.
„Als Lehrer war man früher prädestiniert für dieses Amt“, sagt Lipp. Heimatkunde sei ein zentrales Fach im Unterricht gewesen. „Für mich war damals alles neu. Ob Ortsnamen, Sagen, Trachten, Bildstöcke oder Bräuche – ich kannte hier nichts.“
Mit Feuereifer stürzte er sich in die Vergangenheit seines neuen Umfeldes. Dass er kein Einheimischer war, sei seiner Arbeit als Heimatpfleger eher dienlich gewesen, ist Lipp überzeugt. „Das Alltägliche, das die Eingesessenen von jeher gewohnt sind, ist für mich das Besondere, dem ich nachspüre.“ Woher kommen die Haus- und Hofformen? Weshalb heißt die fränkische Schubkarre „Robban“? Das Hinterfragen sei das Spannende an seinem Amt, begeistert sich Lipp.
Besonders reizte den Heimatforscher die Wappenkunde, die sich rasch zu seinem Spezialgebiet entwickelte. „Schon mit 15 habe ich diesen Pfadfinderwimpel entworfen“, zeigt Lipp ein mit Wappen und Mustang besticktes Fähnlein. Im Laufe der Jahre avancierte er zum gefragten Heraldiker. Über 140 Kommunal-, Dorf- und Familienwappen, Abzeichen, Logos und Fahnen sind inzwischen nach seinen Entwürfen entstanden. „Jedes Wappen bildet Charakteristisches ab und erzählt eine Geschichte.“
„Man muss sich im Leben auf ein Gebiet spezialisieren“, ist Lipp überzeugt – egal, ob es um Postkarten, Briefmarken oder das Mischen von Cocktails gehe. Auf einem Gebiet Fachmann sein – das stabilisiere einen Menschen, gebe Halt im Leben. „Bei mir ist es die Heraldik – da kann mir kaum jemand was erzählen.“
Auch in der Kunst des „Schönschreibens“, der Kalligrafie, ist Lipp versiert. Manch „Goldenes Buch“ zieren feine Schriftzeichen von seiner Hand.
Für Günter Lipp ist die Heimatpflege Berufung. Er betreibt sein Ehrenamt mit Leidenschaft und Herz. Und mit einem enormen Zeitaufwand. An die 550 Artikel über heimatkundliche Themen entsprangen seiner Feder. „Diese Forschungsaufgaben fordern mich intellektuell heraus und bringen zugleich der Bevölkerung die Heimat ein Stück näher.“ Schreiben sei für ihn „unheimlich reizvoll“, und Themen gebe es wie Sand am Meer. „Da hätte ich auf Anhieb 150 zur Auswahl.“
Allein die Zeit hindert Lipp am Schreiben, denn die ist bei dem engagierten Heimatpfleger Mangelware. Vorträge, Führungen, Besprechungen, Fortbildungen: An die 140 Termine nimmt er in Ausübung seines Amtes jährlich wahr. Bis zu 5000 Kilometer im Jahr legt Lipp im Dienste der Heimat mit dem Auto zurück. Laut Portoverzeichnis, in dem jeder Postausgang akribisch mit Datum, Empfänger und Inhalt des Briefes vermerkt ist, verschickte Lipp in den vergangenen 20 Jahren insgesamt 3000 Briefe.
Täglich widmet sich der Heimatpfleger intensiv dem Zeitungsstudium. Alles, was ihm auch nur im Entferntesten für seine Arbeit bedeutend erscheint, wird ausgeschnitten und archiviert. Meist nicht nur in den Ordnern, die er von allen 64 Dörfern der neun betreuten Gemeinden angelegt hat, sondern in Kopie auch noch unter verschiedenen Sachgebieten wie „Glocken“, „Brauchtum“, „Bildstöcke“ und vielen mehr.
Zeitaufwendig ist auch die Sichtung von Privatsammlungen, die dem Heimatpfleger häufig kartonweise zur Aufbewahrung übergeben werden.
„Für manchen Fundus habe ich zum Ordnen zwei Jahre gebraucht“, sagt Lipp, der natürlich froh darüber ist, dass die Schätze der Vergangenheit nicht in der Tonne landen.
Ebenso wie die Ortsarchive, ist auch Lipps Fotoarchiv eine schier unerschöpfliche Quelle an Zeugnissen vergangener Zeiten. „Die Anemonen im Wald oder die Schmetterlinge in der Luft waren mir schon immer egal“, lacht Lipp.
Aber alles andere – von der Kellnerin bis zum Elektriker, vom Schulbesuch im Handwerksbetrieb bis hin zur Kreistagssitzung und Vereinsversammlung: Lipp fotografiert zeit seines Lebens alles, was ihm vor die Linse kommt. Über 90 000 Fotos finden sich auf den akribisch beschrifteten Kontaktabzügen und Negativen.
Ob eine Anekdote für eine Rede oder ein Foto für eine Jubiläumsfestschrift gesucht wird: Wenn einer damit dienen kann, dann ist es der leidenschaftliche Sammler. „Ich hab's einfach mit der Ordnung“, erklärt Lipp, „ich bin der Typ dafür.“
Sein Bestreben, Vergangenes zu bewahren, macht natürlich nicht vor dem Privatleben halt. Liebevoll und aufwendig gestaltet sind Zeitabschnitte des Familienlebens in gebundenen Alben festgehalten. Speise- und Eintrittskarten, Urkunden, Fotos, Zeichnungen und viele Notizen und Geschichten erinnern wie Tagebücher an Geschehenes. Dem Aufarbeiten der gesammelten Familienerinnerungen möchte sich Lipp künftig verstärkt widmen. Und ein Buch mit seinen Artikeln will er herausgeben – wenn er denn einmal Zeit dafür findet.