In der Prinzregentenzeit (1886 bis 1912) wird in München auf dem Drahtseil getanzt: Die Presse, die nach der Revolution von 1848 erstmals von der Vorzensur befreit ist, sucht ihre Rolle im Konflikt mit Kirche und Politik. Im Spannungsfeld zwischen Konformismus und Verbot sprechen sie mit ihren Karikaturen grobe Wahrheiten und wahre Grobheiten aus. Dieser Zeit und ihren Bildern widmet sich zurzeit eine gelungene Ausstellung in der Bamberger Universitätsbibliothek.
Die bayerische Landeshauptstadt war eines der Zentren der satirischen Literatur, mehr als 60 Titel erschienen, manche länger manche kürzer, in dieser Zeit. Um den bekanntesten Vertreter dieser Zeitungen zu ehren, den im Frühsommer 1896 erstmals erschienen Simplicissimus, wurde die Ausstellung bereits 1996 konzipiert. Zum Hundertjährigen Geburtstag wurde der Münchner Zeitung mit der markanten Roten Bulldogge und ihren Mitstreitern eine Ausstellung mit 200 ausführlich kommentierten Bildern gewidmet.
Professor Markus Behmer, der im Sommer 1996 gerade seine Promotion abgeschlossen hatte, bezeichnet die Vision von der Ausstellung als „Sektidee.“ In Zusammenarbeit mit Professorin Ursula Koch, an deren Lehrstuhl er mitgearbeitet hatte, kam die Ausstellung zustande. „Meine Frau war nicht so begeistert, dass ich mich von einem Großprojekt ins nächste gestürzt habe“, erinnert sich Behmer. „Ebenfalls nicht begeistert war sie davon, dass nach der Ausstellung die Plakate im Keller eingelagert wurden und wertvollen Lagerplatz beanspruchten“, ergänzt er.
Aus dem Keller in Bibliothek
Ihren fast 15-jährigen Dornröschenschlaf hat die Ausstellung nun beendet. Seit Montag sind die Tafeln wieder der Öffentlichkeit zugänglich. Sie vermitteln dem Besucher einen Eindruck über die vielfältige und bunte Landschaft der Satirezeitschriften zu dieser Zeit.
„Diese Vielfalt ist heute nicht mehr nachvollziehbar“, sagt Koch. „Es gibt es ja nur noch die „Titanic“ in Frankfurt und den „Eulenspiegel“ in Berlin.“ Behmer ergänzt, dass die Qualität der Darstellung und Kunst heute nicht mehr erreicht würden. Und so zeichnen die vielen Abbildungen oft künstlerisch, aber auch schlicht und reduziert, ein Bild der Epoche.
Ein Grundzug der Magazine war der Bezug zum Leben und Zeitgeschehen. Viele der Hefte bestanden wesentlich aus anarchistischen, sozialdemokratischen und religiösen Spottzeichnungen. Aber auch antisemitische Blätter wie „Der Grobian“ oder künstlerische Journale, wie „Die Jugend“, die namensgebend für den Jugendstil war, wurden gedruckt. In Nischen nisteten sich außergewöhnliche Titel wie „Das Bier“, „Sect oder Absinth“, „Der lachende Pädagoge“ und „Reise-Onkel“ oder „Radfahr-Humor“ ein.
Alltägliche Themen
Die Themen der Zeitungen greifen aus dem Leben der Zeitgenossen, einige Figuren tauchen immer wieder auf. Ob dralle Kellnerinnen, Touristen, Suffragetten, Priester, Studenten, Professoren, einfache Figuren aus dem Volk oder Kaiser und Prinzregent: alle werden mit scharfen Karikaturen auf ihre Unzulänglichkeiten gestoßen.
„Der Gesellschaft wurde so der Zerrspiegel vorgehalten“, erklärt Behmer. Sicher war zu dieser Zeit niemand vor dem Spott der Künstler. Nicht nur die Zeitgenossen wurden kritisiert, auch die Soziale Frage, Außenpolitik oder der deutsch-englische Rüstungswettlauf wurden mit drastischen Bildern bearbeitet. Während sich beim Rüstungswettlauf ein deutscher und ein englischer Frosch aufblasen bis sie platzen, sitzt bei einer Karikatur zur sozialen Fragen der Industrielle vor rauchenden Schloten, bewacht von Soldaten, auf einem Schädelberg.
Derartig pointierte Angriffe stießen nicht unbedingt auf Gegenliebe. Eine ganze Reihe von Gesetzen schränkte die Meinungsfreiheit ein. Im Strafgesetzbuch gab es Paragrafen gegen Majestätsbeleidigung, Gotteslästerung und Unsittlichkeit. „Besonders einfach handzuhaben war“, so Behmer, „der Paragraph zur Verhinderung groben Unfugs“. Dieser „Gummiparagraph“ wurde von den Zensurbehörden und der Polizei, je nach Ermessen, weiter oder enger ausgelegt. Zwar war die Zensur seit 1848 abgeschafft, die Pressegesetze der einzelnen Länder waren jedoch oft sehr restriktiv. In Bayern musste vor der Veröffentlichung ein Exemplar bei der Polizei vorgelegt werden. Fand diese darin einen Grund für „Ärgernis aus sittlichen oder religiösen Gründen“ wurde ein Kolportageverbot erlassen und die Staatsanwaltschaft informiert.
Die Staatsanwaltschaft war zwar weniger engstirnig, aber oft genug wurde Anklage erhoben oder die Beschlagnahmung einer Ausgabe angeordnet. So suchten die Schöpfer der Werke häufig Zuflucht im Exil in Paris: Hier wurden 270 satirische Titel verlegt, weitgehend frei von Restriktion.
Ihrer Zeit oft voraus
An Aktualität haben viele der Bilder nichts verloren, gerade die Themen der Frauenrechtsbewegung und der Balkankrise sind heute noch präsent. „Strich und Buchstaben sind mächtig. Weitaus mächtiger als wir es heute oft annehmen“, eröffnete der Vizepräsident der Universität, Prof. Dr. Sebastian Kempgen, die Ausstellung „Grobe Wahrheiten - Wahre Grobheiten“ in der Universitätsbibliothek Bamberg. Auch heute noch seien Worte und Karikaturen mächtig, nicht umsonst würden Literaturnobelpreisträger ausgebürgert oder unter Hausarrest gestellt.
Die Ausstellung macht den Kontext der Epoche begreifbar, in der Rede- und Pressefreiheit noch tagtäglich gegen die Zensur behauptet werden mussten. Durch prägnante Texte werden die Bilder in den Kontext der jeweiligen Zeit gerückt. Man kann nachvollziehen, weswegen die Bilder und Skizzen den Herrscheden oft ein Stachel im Fleisch waren.
Die Ausstellung ist während des Sommersemesters in der Teilbibliothek 4 der Universität Bamberg am Heumarkt 2 von 9 bis 20 Uhr zu sehen.