
Der Tag der Deutschen Einheit, den die Nation am Donnerstag, 3. Oktober, zum 24. Mal feiert, dürfte gerade für viele Haßbergler noch immer eine besondere Bedeutung haben. Grenzte ihr Landkreis Haßberge im Norden doch bis zum „Mauerfall“ an den eisernen Vorhang, sprich unmittelbar an die DDR mit ihrem Landkreis Hildburghausen.
Grenzzäune, Wachtürme und der auf DDR-Seite vorgeschobene, mit Minen, Selbstschuss- und Signalanlagen „gesicherte“ Todesstreifen sind gerade den Bewohnern von Ermershausen und Maroldsweisach, Eckartshausen oder Wasmuthhausen, die sie jahrzehntelang quasi von der Haustüre aus im Blickfeld hatten, im Gedächtnis geblieben. Auch an das Unbehagen wird man sich erinnern, an vorderster Front zum Klassenfeind zu leben. Oder an das Mitgefühl mit den Leute „drüben“, die in ihrem Land eingesperrt waren wie in einem Gefängnis.
Immer wieder hat unsere Zeitung zum Tag der Deutschen Einheit darüber berichtet, wie dies alles plötzlich anders wurde und sich 1989 auch zwischen den Landkreisen Haßberge und Hildburghausen die Grenzen öffneten. Unser aus Ermershausen stammender Reporter Gerhard Schmidt etwa war am 2. Dezember 1989 live dabei, als sich erstmals zwischen Allertshausen und dem thüringischen Hellingen ein Grenztor öffnete. Ströme von Freudentränen flossen da, als sich im Niemandsland Menschen in den Armen lagen, die 40 Jahre lang zwangsweise voneinander getrennt waren. Der Haßfurter Diakon Manfred Griebel war zu dieser Zeit noch Einsatzleiter beim Bundesgrenzschutz – heute noch spricht er von einem Wunder, dass die Revolution in der DDR und die sich anschließende Wiedervereinigung friedlich verlief.
So manches Detail rund um die Wiedervereinigung gerät aber allmählich in Vergessenheit. Zum Beispiel, wie Erde aus dem heimatlichen Grenzland in den Reichstag nach Berlin gelangte. Aus dem Fotoarchiv von Gerhard Schmidt stammt die oben zu sehende Aufnahme, die zeigt, wie die Bundestagsabgeordnete Susanne Kastner (Maroldsweisach, SPD), unterstützt von Parteifreunden, ein Stück Grenzlandboden in einen Sack schaufelt. Da allerdings war die Einheit schon zehn Jahre vollzogen – und der Bundestag gerade erst (1999) von Bonn nach Berlin gezogen.
Im April 2000 hatte das Parlament nach heftigen Debatten der Realisierung des Kunstprojektes „DER BEVÖLKERUNG“ von Hans Haacke zugestimmt. Im nördlichen Innenhof des Reichstagsgebäudes legte der Künstler daraufhin einen 21 mal 7 Meter großen flachen Kasten an, aus dessen Mitte weiße Leuchtbuchstaben die Wörter „DER BEVÖLKERUNG“ bilden. Und die Bundestagsabgeordneten waren nun (und sind bis heute) aufgefordert, aus ihren Wahlkreisen Erde mitzubringen und den Kasten damit aufzufüllen. Was hier an Pflanzen wächst und gedeiht, bleibt allein der Natur überlassen.
Susanne Kastner weiß noch heute, dass sie vor 13 Jahren in jedem der drei Landkreise, die den Wahlkreis Bad Kissingen bilden, Erde sammelte: In der Kissinger Kurgärtnerei, im Roten Moor in Rhön-Grabfeld und im Kindergarten Maroldsweisach. Und hinzu gesellte sich die Erde aus dem einstigen Grenzstreifen zwischen Allertshausen und Hellingen.
Nicht nur ein Schäufelchen, sondern ein paar Eimer kamen so zusammen. „Und ich habe das Material mitgenommen und in das große „D“ von ,DER BEVÖLKERUNG' gefüllt“.
Das war exakt am 8. Dezember 2000, wie es auf der Homepage des Bundestages festgehalten ist. Und seither ist aus dem Bauch des dicken „D“ heraus auf unterfränkischer Erde ein Busch gewachsen, so wie das Biotop insgesamt zu sprießen und zu gedeihen scheint.
Zu sehen ist der Schriftzug der weißen Neonbuchstaben übrigens von allen Stockwerken des Reichstags, auch vom Plenarsaal und den Besuchern vom Dach aus. Dass es heißt „DER BEVÖLKERUNG“ und nicht wie in der Giebelinschrift des Reichstags „Dem deutschen Volke“, war ursprünglich heftig umstritten. Denn die beiden Aussagen decken sich nicht: Einmal, so die Interpretation, gehe es um die Deutschen, und bei der „Bevölkerung“ um alle in Deutschland lebenden Menschen. Das gefiel nicht jedem.
Doch das ist Geschichte, ebenso wie die Wiedervereinigung. Susanne Kastner, die gerade freiwillig aus dem Bundestag ausgeschieden ist, war damals mit dabei, als am 2. Dezember 1989 „Wessis“ und „Ossis“ die unüberwindliche Grenze zwischen dem Heimatkreis und Thüringen überwanden, ebenso der damalige parlamentarische Staatssekretär Albert Meyer (CSU, Haßfurt).
Die Glücksgefühle von damals werde sie nie vergessen, sagte die einstige Bundestagsvizepräsidentin am Dienstag zum HT. „Aber inzwischen ist ja eine Generation herangewachsen, die die Teilung Deutschlands gar nicht mehr miterlebt hat“. Da müsse man schon darauf achten, dass der Hintergrund der Ereignisse nicht in Vergessenheit gerate, appellierte Kastner an das Geschichtsbewusstsein der Deutschen und den Einsatz, Kindern und Jugendlichen Geschichte zu vermitteln. Vor allem dürfe nicht verharmlost oder vergessen werden, dass die Deutsche Demokratische Republik eine Diktatur und damit ein Unrechtsstaat war.
Gerade die Haßbergler, die die Grenze mit all ihren Schrecken hautnah miterlebt haben, können in diesem Sinne am Tag der Deutschen Einheit ihren Beitrag leisten.