Phönix soll aus Asche auferstanden sein. Der kleine Kakadu dagegen entstammt direkt der glühend heißen Flamme. Olaf Schönherr hat die filigranen Flügel, die gelben Kammfedern auf dem Kopf den dunklen Schnabel der fingergroßen Figur, die er in der Hand hält, kunstvoll herausgearbeitet. In der über 700 Grad heißen Flamme des Gasbrenners hat er verschiedenfarbige Glasstangen verflüssigt. Dann hat er diese verformt und miteinander verschmolzen, bevor das Glas wieder erhärtete. Das Ergebnis ist ein kleines Kunstwerk.
Hinter dem, was für den Beobachter spielend leicht aussieht, steckt 25 Jahre Berufserfahrung. „In den ersten fünf, sechs Jahren macht das Glas mit einem, was es will“, sagt der 47-jährige Glasgestalter mit Meistertitel. Jetzt ist es umgekehrt. Jetzt macht er mit dem Glas, was er möchte. Entweder setzt er eigene Ideen um, oder Vorlagen und Wünsche von Kunden aus ganz Deutschland, und darüber hinaus. Manche kommen aus den USA oder Russland.
Vor knapp eineinhalb Jahren ist Schönherr mit seiner Frau Annette, die aus Haßfurt stammt, nach Untertheres gezogen, ins neue Haus. Im Keller hat er sich eine Werkstatt eingerichtet. Zuvor wohnte er in Neuhaus am Rennweg, im Thüringer Schiefergebirge. Nicht weit weg, an der Glasfachschule in Lauscha, hatte er sein seltenes Handwerk gelernt. Im Lauf der Jahre, auf der Meisterschule, perfektionierte er sein Können. Etwa 25 Glasgestalter-Meister gebe es in Deutschland, schätzt Schönherr. Glasfiguren von der Güte und Qualität, wie er sie beherrscht, brächten neben ihm nur zwei weitere Glasgestalter zustande. Deutschlandweit.
Geschick gefragt
„Vielen fehlt das Geschick“, sagt der 47-Jährige. Und das räumliche Verständnis. „Ich muss mir eine Figur von allen Seiten vorstellen können. Sie muss in meinem Kopf fertig sein, bevor ich anfange.“ Flüssiges Glas verzeiht keinen Patzer. „Es muss auf Anhieb passen.“ Reines Augenmaß ist gefragt. Wenn etwas nicht klappt, dann wird das Werkstück nicht zum Kunststück, dann ist es ein Stück für den Abfalleimer, der gleich neben Schönherrs Werkbank steht. Häufig braucht er diesen nicht. Aber: Die Tagesform sei wichtig, meint er. Es gebe Tage, gesteht er, an denen ist der Wurm drin. „Mein Lehrmeister hat mir gesagt: ,Wenn dir morgens schon zwei Teile kaputtgehen, dann geh' lieber in die Kneipe oder leg' dich ins Bett.‘“
Doch dann gibt es auch Tage, an denen Schönherr über sich hinauswächst, an denen er Glaskunstwerke schafft, die die Grenzen des technisch Möglichen zu überwinden scheinen, an denen ihm alles gelingt. Während er davon erzählt, holt der 47-Jährige eine Figur von einem Regal. Sie stellt einen Zentauren dar, ein Mischwesen der griechischen Mythologie, halb Mensch, halb Pferd. In der einen Hand schwingt der Zentaur ein Beil, in der anderen eine Sichel. Es ist eine von Schönherrs größten Figuren. Größer geht es in der figürlichen Glasgestaltung nicht. Der Zentaur ist eine seiner besten Figuren, meint Schönherr. „Da hat das Karma gestimmt.“
In seiner Werkstatt stehen weitere, ähnlich kunstvolle Figuren: Drachen, sich aufbäumende Pferde, zähnefletschende Aliens. Während kleine Tiere oder Weihnachtsmänner ab zehn Euro zu haben sind, kosten die großen Figuren bis zu 500 Euro. Für besonders kurios hält Schönherr eine Auswahl erotischer Teufel, männliche und weibliche, mit überproportionierten Geschlechtsteilen, in allen Größen und Stellungen, einzeln oder als Paare. Schönherr versorgt damit einen Kooperationspartner in Dresden. Es gibt Sammler, berichtet der Glasgestalter aus Untertheres, die wollten jedes Jahr Figuren in drei neuen Stellungen. Da sei Fantasie gefragt, meint Schönherr, der sich Anregungen für andere Glaskunstwerke, beispielsweise für Tiere, gerne in der Natur holt.
Auf einer Erotikmesse in Berlin waren die heißen Teufel ein Renner. In den Schaufenstern von Geschäften in der Region, sagt Schönherr, durften sie höchstens in zensierter Form gezeigt werden. Doch auch auf seiner Internetseite zeigt er die „Devils in love“, wie die Produktserie heißt, nur mit einem „Zensiert“-Balken.
Sammler-Aufträge
Über Arbeitsmangel klagt Schönherr nicht. Sein seltenes Talent ist gefragt. Ein Beispiel: Für einen Sammler fertigt er mundgeblasene Hohlglastiere. Er zeigt einen kleinen, weißen Hirschen, der auf einem Clips steckt, um die Figur an einem Zweig zu befestigen. Glastiere aus dünnen Hohlröhren zu fertigen – diese Technik beherrschte weit und breit niemand mehr, als Schönherr sich diese aneignete. Heute hätte er nach eigenen Angaben Anfragen für 3000 solcher Figuren – Arbeit für ein halbes Jahr. Dies könne und wolle er aber nicht leisten. „Da würde man abstumpfen“, sagt Schönherr. Hinzu kommt, dass ihm dann die Zeit fehle, um als Dozent an einer Glasmanufaktur in Derenburg im Harz zu lehren. Oder für seine Vorführungen während der Saison im Freizeitland Geiselwind.
Der Reiz der Arbeit in seiner Werkstatt liegt für Schönherr gerade darin, dass er nicht wie am Fließband immer das Gleiche produziert. Jede Glasfigur ist handgefertigt und einzigartig. Dies sei der große Unterschied zur industriellen Massenproduktion von Glasfiguren. Keine von Schönherrs Figuren gleicht hundertprozentig einer anderen. Der Vielfalt an Formen und Vorlagen ist keine Grenze gesetzt. Angst, dass ihm die Ideen oder Kunden ausgehen, hat Schönherr nicht. „Die Nachfrage wird bleiben, solange ich schnaufe.“
Sorgen bereitet dem Glasgestalter etwas anderes: der Rohstoff-Nachschub. Bislang kauft er die bunten Glasstäbe in einer Glashütte in Lauscha. Doch deren wirtschaftliche Zukunft ist ungewiss. Im Januar wird Schönherr nach Italien fahren, um sich dort nach Lieferanten umzuschauen, die ihm auch kleine Mengen Glas verkaufen. Denn er verarbeitet (nur) etwa 500 Kilogramm Glas – pro Jahr. Große Hüttenwerke produzieren tonnenweise Glas – pro Tag. Der Verkauf von Kleinmengen ist für viele daher uninteressant. Ähnliche Probleme hat Schönherr beim Material, mit dem er seine Figuren verpackt. 250 Kilogramm Seidenpapier könnte er problemlos bestellen, einzelne Bögen dagegen kaum. Der Handwerker hat einfach andere Bedürfnisse als Industriebetriebe. Auch die speziellen Größen an Kartons, die er braucht, sind nicht überall zu haben.
Was angesichts des Kuriosen-Status', den Glasgestalter in der Berufswelt einnehmen, nicht überrascht: Einen Nachfolger hat Schönherr nicht in Aussicht. Er möchte sich so bald auch noch nicht zur Ruhe setzen. Wenn ihm jedoch mal ein Talent begegnet, in dem er das notwendige Potenzial sieht, dann kann er sich vorstellen, diesem die letzten Finessen seines Handwerks beizubringen. Vielleicht lüftet er dann auch das Geheimnis, wie er Überfanggläser in Laminattechnik herstellt, zweischichtige Gläser mit einem dreidimensionalen Dekor. Diese von ihm erfundene Fertigungsweise brachte Schönherr im Jahr 1999 die Silbermedaille auf der Erfindermesse in Genf ein. Seit 2004 besitzt er ein weltweites Patent für diese Technik.
Weitere Infos: www.glasworkshop.de