Mysteriöse Vaterschaft, kein Beistand in den Geburtswehen, obdachlos, Stall statt Kreißsaal: Was würde Maria im Jahr 2021 mit dem neugeborenen, lebensfähigen Buben Jesus anstellen? Diese weihnachtliche Frage ist keine Blasphemie. Oder Umdichtung der Menschheitsgeschichte. Sondern kann heruntergebrochen werden auf die extreme Ausnahmesituation so mancher schwangeren Frau, die ihr Kind nicht freudig erwartet. Die es unmittelbar nach der Geburt tötet. Im Müllcontainer entsorgt.
Entsprechende Schlagzeilen über solche Kindstötungen treiben Professor Karl-Heinz Deeg derart um, dass er nicht länger tatenlos bleiben will: "An 100 Krankenhäusern in Deutschland gibt es eine Babyklappe, in die eine Mutter ihr Neugeborenes anonym legen kann, warum nicht am Bamberger Klinikum?" möchte der ehemalige Chefarzt der Kinderklinik eine solche Überlebenshilfe für Säuglinge initiieren.
Als „absoluter Befürworter“ einer Babyklappe verweist Deeg auf das Kinderkrankenhaus St. Marien in Landshut, wo er Fortbildungen hält und sich über die dort installierte Klappe informiert hat. Schon vor 20 Jahren bildete sich in Landshut ein breites Bündnis aus Kinderschutzbund, Jugendamt, Selbsthilfegruppen, Gesundheitsamt, Schwangerenberatungsstellen, Krankenhäusern zugunsten einer Babyklappe. Anlass war ein in der Region ausgesetztes Neugeborenes, das starb.
Chance zum Leben für Mutter und Kind
Vor allem das umfassende Fürsorgekonzept, dass die Ordensschwester und Diplom-Sozialpädagogin Eva Schlötterlein für das Kinderkrankenhaus St. Marien vorlegte, überzeugte die Beteiligten: „Die Babyklappe ist eine Chance zum Leben für die Mutter als auch für ihr Kind“, betont sie im Gespräch mit unserer Redaktion. Als Fachkraft für Palliativversorgung von Kindern und Jugendlichen ist sie es, die innerhalb von fünf Minuten das anonym abgelegte Baby aus der Klappe nimmt und in die angrenzende Intensivstation bringt: „Ich kuschle mit dem Baby und segne es und sage mit Zärtlichkeit, dass es geliebt und willkommen ist“, lächelt Schwester Eva.
Inzwischen war sie für sieben Säuglinge der Erstkontakt in der Überlebenswelt. Für alle „Findelkinder“ wurden Adoptiveltern gefunden. Die Mütter hatten sich nicht mehr gemeldet, obwohl in der Babyklappe ein Brief in verschiedenen Sprachen liegt, der die Möglichkeiten aufzeigt, das Kind zurückzubekommen. Mit einem vorhandenen Stempelkissen kann die Mutter einen Hand- oder Fußabdruck ihres Babys abnehmen, um eine spätere Identifizierung und damit einen Weg zurück zu ihrem Kind zu erleichtern.
Vertrauliche Geburt als Hilfsangebot
Schwester Eva Schlötterlein verweist auf die Angebote des Bündnisses zur Prävention: Schon während der Schwangerschaft müssten problembehaftete Situationen erkannt und Hilfe bereit gestellt werden. Das bestätigt Professorin Eva Rieck, Chefärztin der Kinderklinik am Bamberger Klinikum. Für sie ist die „vertrauliche Geburt“ eine solche Hilfe, nicht die Babyklappe. Denn die Ablage eines Neugeborenen in der Babyklappe „lässt wenig Rückschlüsse auf die Geburt und den Geburtsort zu“, erklärt Rieck.
In der Regel sei davon auszugehen, dass die Mutter an einem sehr persönlichen Ort ihr Kind zur Welt bringe. Medizinische Hilfe werde ihr sicher nicht zur Verfügung stehen: „Die psychische Belastung ist extrem hoch“, ahnt die Ärztin. Anschließend müsse die Mutter das Kind in der Babyklappe ablegen. „Aus eigener langjähriger Erfahrung weiß ich, dass diese Kinder meist unzureichend bekleidet, häufig unterkühlt und unsachgemäß abgenabelt sind.“ Sie selbst habe in sieben Jahren drei tote Kinder in der Babyklappe vorgefunden, berichtet Rieck aus ihrer Zeit vor Bamberg: „Aus meiner Sicht ist eine Babyklappe keine Lösung!“
Chefärztin Rieck verweist auf einige Studien mit dem Ergebnis, dass „in der Babyklappe nicht wirklich Leben gerettet werden. Psychologische Untersuchungen zeigen auf, dass die Mutter, die ihr Kind in die Babyklappe bringt, dieses Kind nicht töten würde“, fasst die Medizinerin zusammen. Sie plädiert noch einmal für die vertrauliche Geburt: „Auch für das Aufwachsen des Kindes ist es besser, wenn man ihm erklären kann, dass die Mutter zwar nicht in der Lage war, es selbst zu betreuen, aber verantwortungsvoll und umsichtig das Kind in sorgende Hände gegeben hat.“
Erreicht das Angebot alle Mütter in Not?
Eine Umfrage unserer Zeitung in den Bamberger Schwangerenberatungsstellen der Caritas, von Donum Vitae und Pro Familia ergab das gleiche Bild: „Die vertrauliche Geburt ist das deutlich bessere Modell", sagen die Beraterinnen, die betroffene Frauen begleiten, unisono. Seit 1. Mai 2014 regelt ein Gesetz die vertrauliche Geburt. Dabei wird berücksichtigt, dass die Mutter während einer medizinisch begleiteten Geburt ihre persönlichen Daten nicht bekannt geben muss. Ihre Anonymität wird ausreichend lange gewahrt, bis es dem Kind möglich ist, die Identität seiner leiblichen Mutter ab dem 16. Lebensjahr zu erfahren, sofern diese keinen Widerspruch einlegt.
„Auch im Bamberger Klinikum gibt es vertrauliche Geburten“, sagt Chefärztin Eva Rieck. Tobias Kobold, Leiter des Jugendamtes der Stadt Bamberg samt Adoptionsfachstelle, bevorzugt ebenfalls die vertrauliche Geburt: „Sie stellt im Vergleich zur Babyklappe für alle Beteiligten die geeignetere Möglichkeit einer anonymen Abgabe eines Neugeborenen dar.“ Professor Karl-Heinz Deeg bestreitet diese Einschätzung keineswegs. Er vermutet aber, dass „wir mit der vertraulichen Geburt nicht alle Mütter in Not erreichen“. Deeg spricht von Dunkelziffer: „Wir wissen nicht, wie viele Kinder getötet und in der Müllverbrennung entsorgt werden.“