zurück
KREIS HAßBERGE
Geschichte zum Anfassen im Kreis Haßberge
Wie entwickelten sich ritterliche Gegenstände bis in die Neuzeit? Diese Frage beantwortete Reiner Reitz am Tag des offenen Denkmals und verglich unter anderem einen Rüstungshandschuh mit einem Motorradhandschuh.
Foto: Sabine Weinbeer | Wie entwickelten sich ritterliche Gegenstände bis in die Neuzeit? Diese Frage beantwortete Reiner Reitz am Tag des offenen Denkmals und verglich unter anderem einen Rüstungshandschuh mit einem Motorradhandschuh.
Sabine Weinbeer
 und  Ulrich Kind
 |  aktualisiert: 29.03.2021 10:40 Uhr

Am Tag des offenen Denkmals, der am Sonntag stattfand, gab es auch in diesem Jahr an verschiedenen Orten des Landkreises „Geschichte zum Anfassen“.

Unter anderem beteiligte sich der Verein für Heimatgeschichte Eltmann und das Interesse der Bevölkerung war groß. „Umbrüche in Kunst und Architektur“ lautete das überregionale Motto des Aktionstages und die Eltmanner Heimatforscher hatten sich dazu einige beispielhafte Themen herausgepickt, etwa die Veränderungen bei der Innengestaltung der Stadtpfarrkirche. Der Schwerpunkt lag allerdings auf der Wallburg, zu deren Geschichte die Vereinsmitglieder seit einiger Zeit wieder intensiver forschen.

Von Helmen und Handschuhen

Jede Menge zu tun hatten Willi Lediger und Reiner Reitz, die in historischen Kostümen unzählige Fragen beantworteten. Viele Bilder und Artikel zeigten auf, welche Geheimnisse die Heimatforscher der Wallburg bereits „entrissen“ haben. Gemäß des übergeordneten Mottos hatte Vereinsvorsitzender Reiner Reitz eine Präsentation zusammengestellt, die zeigte, wie die Funktionen ritterlicher Gegenstände in die Neuzeit transportiert wurden – etwa anhand eines Ritterhelms und eines modernen Soldatenhelms.

Spannend fanden viele auch den Ritterhandschuh mit seinen Metallschuppen, dessen Grundfunktionen auch in einem modernen Motorrad-Handschuh zu finden sind. „Allerdings hat der Ritterhandschuh schon bei einer relativ kleinen Delle nicht mehr richtig funktioniert“, so Reiner Reitz. Auch den historischen, aber nicht mittelalterlichen Brustpanzer, den zwei Vereinsmitglieder als Buben in einem Bach fanden, hatte er dabei – und er war genau so schwer wie eine moderne schusssichere Weste, die damit verglichen werden konnte.

Bewacht von einem Ritter

Reiner Reitz ist in seiner Freizeit auch der „Burgvogt“, der bei schönem Wetter jeden Sonntagnachmittag den Wallburgturm öffnet. Der ist jetzt wieder optimal begehbar, denn er hat eine neue Treppe erhalten und im „ersten Stock“ hält jetzt ein „echter“ Ritter Wacht: Die Rüstung mitsamt Schwert ist ein Dekorationsobjekt, das die Schlosserei Pflaum und die Elektro-Firma Schwaten dem Verein gestiftet haben. Reiner Reitz hat dem Ritter eine Konsole gebaut und so begrüßt er jetzt alle, die den Turm erklimmen, um dann die Rundumsicht über Maintal und Steigerwald zu genießen.

Hier beim Ritter soll auch eine Zeitreise beginnen. Reitz arbeitet daran, auf dem Weg auf den Turm auch die Geschichte der Wallburg zu erzählen. Der Verein nutzte den Tag des offenen Denkmals, um die interessierten Gäste auch einzuladen, sich an den Forschungen zu beteiligen. Wer Lust hat, trifft Reiner Reitz jeden Sonntag an der Wallburg – mindestens bis zum 1. November.

Den nächsten historischen Vortrag hält Günther Reiss am 24. September um 19.00 Uhr im „ritz“ in Eltmann unter der Überschrift „Pulverdampf und Musketendonner“ über das Scharmützel vom 30. August 1796 bei Eltmann.

Blick nach Jerusalem

Auch dem ehemaligen Distriktfriedhof der jüdischen Gemeinden im Bezirk Haßfurt konnte die Bevölkerung am Denkmaltag einen Besuch abstatten. Thomas Schindler, Historiker und Haßfurter Stadtarchivar, bot dort eine Führung an und informierte anhand von verschiedenen Beispielen über die Inschriften auf den Grabsteinen und den Beerdigungsritus.

Am unteren Eingang des älteren Teils des Friedhofes befindet sich ein Leichenhaus. Hier wurden die Verstorbenen nach ritueller Vorschrift gewaschen, eingekleidet und in einer einfachen Holzkiste als Sarg in den „Tallit“, den Gebetsmantel, gehüllt zwei Tage lang aufgebahrt.

Die Sargkiste, der Leichenwagen und die Pferde, die ihn auf den Weg zum Grab zogen, waren alle völlig mit schwarzen Tüchern verhängt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fuhr der Kleinsteinacher Wilhelm Keeb den Leichenwagen. Der Sarg wurde zu einer von einem christlichen Totengräber ausgehobenen Grube gebracht. Die Holzkiste wurde dann mit dem Toten in Blickrichtung nach Jerusalem in das Grab hinabgelassen.

Ein geteilter Leichenwagen

Dreimal wurde dann Erde in das Grab geworfen und die jüdischen Gemeindemitglieder schaufelten das Grab zu. Der Beerdigungszug verließ dann auf einem anderen Weg den Begräbnisplatz, der Vorschrift folgend, dass Hin- und Rückweg verschieden sein müssen.

Der Leichenwagen der Kleinsteinacher Juden wurde auch von den christlichen Mitbürgern bei ihren Begräbnissen mitbenutzt. Er wurde beim November-Pogrom im Jahr 1938, der sogenannten „Reichskristallnacht“ von einem SA-Mob zerstört. Neben den Schändungen in der Nazizeit gab es schon 1894, in den 1920er Jahren und nach dem Krieg im Jahre 1947 Friedhofsschändungen. Im Jahr 1961 wurde der Friedhof instandgesetzt. Er untersteht jetzt dem Landesverband der israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, mit Sitz in München.

Der Friedhof ist ein Bestandteil der Ausstellung des Museums „jüdische Lebenswege Kleinsteinach“, das im Herbst 2015 eröffnet wurde. Daneben wird auch ein Rundgang durch den Ort zum Standort der in den 1950er Jahren abgerissenen Synagoge sowie der ehemaligen jüdischen Schule und den wichtigsten Anwesen jüdischer Mitbewohner angeboten, der auf das friedvolle Zusammenleben der Landjuden und der christlichen Dorfgemeinschaft eingeht.

Im 19. Jahrhundert hatte der Ort Kleinsteinach mit bis zu 160 Personen die größte jüdische Gemeinde im damaligen Bezirksamt Haßfurt.

Der Friedhof ist entweiht

Angelegt wurde die jüdische Begräbnisstätte im Jahre 1453. Dort wurden Juden aus Aidhausen, Friesenhausen, Haßfurt, Hofheim, Kleinsteinach, Knetzgau, Lendershausen, Westheim, Wonfurt, Zeil und Schonungen begraben. Im Jahr 1925 übergab der damalige Distriktsrabbiner Dr. Cynski ein Denkmal für die 17 jüdischen Gefallenen des Ersten Weltkrieges seiner Bestimmung. Die letzte jüdische Beerdigung auf dem Kleinsteinacher Friedhof fand im März 1942 statt. Nach der Beisetzung zweier nichtjüdischer russischer Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg war der Friedhof nach jüdischem Glauben seiner rituellen Funktion entweiht und es durften fortan keine Beerdigungen mehr dort stattfinden.

Weitere Orte, die am Tag des Offenen Denkmals besichtigt werden konnten, waren die Stadtmauer und Stadttürme in Ebern sowie die Schlösser Oberschwappach und Gereuth.

Historiker Thomas Schindler (rechts) führte Besucher über den jüdischen Friedhof in Kleinsteinach.
Foto: Ulrich Kind | Historiker Thomas Schindler (rechts) führte Besucher über den jüdischen Friedhof in Kleinsteinach.
Am unteren Eingang des älteren Teils des jüdischen Friedhofes in Kleinsteinach befindet sich das Leichenhaus.
Foto: Ulrich Kind | Am unteren Eingang des älteren Teils des jüdischen Friedhofes in Kleinsteinach befindet sich das Leichenhaus.
Interessanter Vergleich: vom Ritterhelm zum Kopfschutz für Soldaten der Neuzeit.
Foto: Sabine Weinbeer | Interessanter Vergleich: vom Ritterhelm zum Kopfschutz für Soldaten der Neuzeit.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Eltmann
Sabine Weinbeer
Ulrich Kind
Christentum
Das dritte Reich
Denkmäler
Heimatforscher
Juden
Judentum
Neuzeit (seit 1517)
Reichspogromnacht
Schusssichere Westen
Synagogen
Wilhelm
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top