Im Frühjahr 2013 erkannte Hobby-Historiker Mark Werner bei der Lektüre des Buches „Historischer Atlas von Bayern – Ausgabe Haßfurt“ (A. Tittmann, 2002), dass sich auf Sander Flur eine untergegangene Siedlung befindet, nämlich die Wüstung Aschwinge. Da er und viele Sander zwar den gleichnamigen Flurnamen kannten, von einer Wüstung jedoch bislang nichts wussten, erschienen Nachforschungen absolut angebracht.
Als Mitglied im Historischen Verein Landkreis Haßberge, bei dem die Flurnamenforschung gerne betrieben wird, stellte Werner dort die Frage nach dem Ursprung des Namens „Aschwinge“. Es kamen viele interessante Antworten. Am hilfreichsten erwies sich der Ratschlag einiger Vereinsmitglieder aus Eltmann, einen professionellen Historiker mit der Namensforschung zu beauftragen.
Bürgermeister Bernhard Ruß, der einst selbst Geschichte studiert hatte, sicherte umgehend seine Unterstützung zu und so konnte der renommierte Bamberger Namensforscher und Doktorand Joachim Andraschke für die Erkundigungen gewonnen werden.
Sehr schnell wurde klar, dass die bis dahin vermutete „Esche“ als Namensgeber ausscheidet, was man anhand der ältesten Quellen – die dem ursprünglichen Namen am nächsten sind – erkennen kann. In mühevoller Archivarbeit konnte Joachim Andraschke, teils auch schon A. Tittmann, folgende urkundliche Erwähnungen finden: 1399 Gut Anspige, 1420 Oßpigen, 1422 Ospigen, 1422 Osbiegen, 1436 Ospigen, 1440 Oschpigen, 1501 Wustung bey Sant, 1511 Aspiegen…
Natürlich liegt der Einwand nahe, dass im hochwassergefährdeten Talbereich kaum eine Siedlung zu vermuten sei. Die Siedlung ist allerdings „an dem Mayn“ gelegen urkundlich belegt und die Hochwasser erreichten bis ins hohe Mittelalter nicht die heute bekannten Pegelstände; sonst wären Siedlungen wie Sand-Wörth oder Augsfeld niemals an Ort und Stelle entstanden.
Die große Überraschung brachte jedoch die Bedeutung des Flurnamens: Er setzt sich offenbar zusammen aus „Ansis“ (= Gott, Asen = germanisches Göttergeschlecht) und „biogo“ (Biegung, Einbuchtung): Flurnamen, die einen Bezug zur Götterwelt der Asen herstellen, weisen in der Regel auf vorchristliche, sprich germanische Kultstätten hin.
Die unterschiedlichen Schreibweisen im Mittelalter sind typisch, da es damals ja noch keine Art „Duden“ gab und die Schrift sehr von Epoche, Mundart sowie vom jeweiligen Schreiber geprägt war. Der Gemeinde Sand liegt natürlich eine fundierte Etymologie (Kunde der Namensentwicklung) vor.
Zwischenzeitlich war Werner jedoch nicht untätig geblieben. Dr. Ralf Obst vom Landesamt für Denkmalpflege, Außenstelle Bamberg, stand auf seine Einladung hin gerne zur Verfügung und sorgte sogleich für eine weitere Überraschung: ein Keramikfund aus Sand, ausgestellt im Schloss Oberschwappach, ist über 1300 Jahre alt und somit mindestens 500 Jahre älter als bislang gedacht. Zum Vergleich: die erste urkundliche Erwähnung von Sand am Main war erst vor 875 Jahren.
Werner besuchte den Finder jener Schale und wieder fügte sich ein Puzzlestück zum nächsten. Heinz Biermann (Knetzgau), damals Schiffskapitän beim Kieswerk Kümmel in Sand, erkannte das Tongefäß wieder und erklärte den Fundort: Die Flur Aschwinge! Und er berichtete noch mehr. Bei der Sandausbeute in den 60er und 70er Jahren kamen genau an dieser Stelle eine Unmenge von Tongefäßen zum Vorschein – zum Teil noch nahezu vollständig erhalten. Sogar an Menschenknochen und an mindestens einen Schädel kann er sich erinnern. Eine Unmenge Keramik und Menschenknochen? Könnte es sich um zivilisatorische Überreste oder gar um Opfergaben handeln? Auch auf mehrere Stücke Hirschgeweih stieß Mark Werner während seiner Forschung: Der Hirsch war ein beliebtes Opfertier unserer Vorfahren!
Von anderen Kultstätten, die bereits zu vorchristlicher Zeit existierten, sind Opfergaben bis ins – längst christianisierte – hohe Mittelalter nachgewiesen, wie zum Beispiel in Thüringen/Oberdorla, wo man germanische Opferplätze rekonstruierte und ein Freilichtmuseum entstand (www.opfermoor.de).
Bis in die 1980er Jahre beachtete jedoch niemand die Funde aus dem Baggersee, die somit im Betonwerk oder in privaten Händen landeten. Einmal aus ihrem „stillen Grab“ geborgen, hielt sich die antike Keramik jedoch nicht mehr lange und landete meist schlichtweg im Hausmüll. Heinz Biermann war glücklicherweise so umsichtig und vermachte seine verbliebenen Scherben der Gemeinde Knetzgau, wodurch ihm wichtige Forschungsobjekte für die Heimatgeschichte zu verdanken sind.
Auch wenn die Siedlung erst Jahrhunderte nach dem Kultplatz gegründet worden sein könnte, so ist Sand nun einer der wenigen Orte, an denen man einen religiösen Platz aus der Zeit nach der keltischen und vor der christlichen Epoche lokalisierte.
Mark Werner würde sich über weitere Informationen oder Fundmeldungen sehr freuen (Tel. 09524/5750 ab 18.00 Uhr, bzw. tmlrw@t-online.de). Dabei muss niemand Angst um seinen Besitz haben. Zudem besteht unter Umständen die Möglichkeit, in die Wanderausstellung aufgenommen zu werden, die Mark Werner momentan in enger Zusammenarbeit mit Bürgermeister Bernhard Russ ausarbeitet und die über das Jahr 2014 hinaus auf großen Schautafeln die Highlights der Sander Geschichte zeigen wird.
Namensforscher Joachim Andraschke wird am Donnerstag, 13. März, um 19.00 Uhr im Weingut A. & E. Rippstein in der Sandgasse 26 in Sand am Main einen Vortrag halten zum Thema „Besiedlungsgeschichte des südlichen Landkreises Haßberge im Spiegel der Ortsnamen“. Der Eintritt ist frei. Aufgrund bereits zahlreicher Reservierungen wird Anmeldung erbeten bei Mark Werner, Tel. 09524/5750, oder unter E-Mail: kunkel@historischervereinlandkreishassberge.de (zusammengeschrieben, ohne Trennungsstrich).