Gesellschaftliches Umdenken und Eigenständigkeit ohne Barrieren lauten die Schlüsselworte für gelebte Inklusion der Rummelsberger Diakonie in den Haßbergen. Am Freitag wurden neue Wohneinrichtungen für behinderte Menschen in Ebelsbach und Zeil offiziell eingeweiht.
Zwei moderne Wohnkomplexe mit Komfort für die Bedürfnisse behinderter Menschen, die jeweils 24 Personen ein wohliges Zuhause bieten, das ist an sich schon eine bemerkenswerte Leistung. Es ginge in erster Linie aber nicht um die Gebäude, betonten die Bürgermeister beider Orte, denn für Walter Ziegler (Ebelsbach) und Thomas Stadelmann (Zeil) „stehen zuallererst die insgesamt 48 Neubürger im Vordergrund.“ Damit treffen sie sich vollständig mit dem Ansinnen der verantwortlichen Diakone, Politiker, Bauleute und betreuenden Fachkräfte, das die Menschen dezentral und so weit wie möglich selbstständig nach ihren Vorstellungen leben lassen möchte.
Mittendrin und nicht abgeschottet zu sein, Kontakte und Freunde finden zu können, das sei nicht nur für Menschen mit Behinderung grundlegend wichtig, sondern ebenso für alle, die gesundheitlich nicht beeinträchtigt sind. „Inklusion bedeutet nicht nur Barrierefreiheit, sondern auch gesellschaftliches Umdenken, um Teilhabe in allen Bereichen zu ermöglichen, für Behinderte ebenso wie für Personen ohne Behinderung“, betonte Bezirkstagspräsident Erwin Dotzel in seinem Grußwort.
„Heute ist ein großer Tag“, stellten mehrere Redner während der Einweihungsfeier vor offiziellen Gästen und Publikum aus eigenen Rummelsberger Reihen sowie Nachbarn und Angehörigen fest. Dieser Tag symbolisiere, dass Inklusion nicht nur ein theoretischer Begriff sein könne, meinte Karl Schulz, der Geschäftsführer der Rummelsberger Dienste für Menschen mit Behinderung (RDB).
Da man nicht an zwei Orten gleichzeitig sein könne, habe man Ebelsbach für die Feierlichkeiten ausgewählt und die Bewohner der Zeiler Häuser mit einem Bus herüber gebracht, damit sie an der Feier teilnehmen können. „Teilnehmen“, das ist überhaupt der Grundgedanke, der hinter allen Veränderungen steht, die seit vier Jahren geplant, finanziert und realisiert worden sind. Früher sei die Rede von „Anstalten“ gewesen, in denen behinderte Menschen geschützt vor der Umwelt und den Nachbarn untergebracht worden seien. „Heute leben sie mitten unter uns in modernen Räumen und können am Leben in den Orten teilhaben“, beschrieb der Geschäftsführer das Anliegen des diakonischen Trägers. Parallel dazu werde man den aktuellen Gesetzen zur Inklusion gerecht. „In Ebern steht gerade ein weiteres Objekt kurz vor der Fertigstellung, und zusammen mit der Hofheimer Variante ergibt sich insgesamt eine rundherum runde Sache“, erklärte Schulz.
Jeweils 24 Appartements und ansprechende Zimmer für Tagesstruktur und Begegnungen sind mit den Neubauten in Ebelsbach und Zeil geschaffen worden. Wissenschaftliche Erkenntnisse der Universität Würzburg sind in die Gestaltung der Räumlichkeiten eingeflossen, wobei alle Bewohner ihre Vorstellungen und Wünsche nennen konnten. „Es ist schön hier“, verkündeten etliche Bewohner und gaben damit dem Konzept Recht. Sie konnten das begründet sagen, denn bereits im Januar waren sie von Ditterswind ins Maintal gezogen. Ein eigenes Bad, Balkon oder Terrasse zu haben, Kochmöglichkeit und große Fenster, die den Blick auf Nachbarhäuser gestatten, aber auch viel Licht hereinlassen, das gefalle allen besonders, berichtete Tina Scheller vom Fachpersonal. Zudem würden Gemeinschaftsräume und Therapiezimmer nahezu optimale Bedingungen bieten.
„Das ist ein Vorzeigeprojekt und in dieser Form einmalig in Bayern“, sagten mehrere offizielle Gäste. Der Weg hin zu dezentralisierten Wohnmöglichkeiten mitten im Leben und mittendrin in der Gesellschaft, das sei gelebte Inklusion. In allen Grußworten galt der Dank denen, die ihren Teil beigetragen haben, um das Wirklichkeit werden zu lassen. Neben Bezirkstagspräsident Erwin Dotzel, dessen„Befürwortung zu Beginn von hoher Bedeutung war“, dem Engagement der Bezirksrätin Karin Renner und des Bezirksrates und Sander Bürgermeisters Bernhard Ruß sowie des Baudirektors Norbert Böhm von der Regierung Unterfranken, dankte Geschäftsführer Schulz insbesondere Michael Ziegler als stellvertretendem Landrat sowie den Bürgermeistern Walter Ziegler und Thomas Stadelmann.
„Ihr Verdienst ist es, dass wir heute da sind“, stellte Schulz fest. Er würdigte die Tätigkeit all derer, die am Bau beteiligt waren sowie der diakonischen Mitarbeiter mit Günter Schubert als Regionalleiter an deren Spitze. Er sprach auch die Bewohner mit ihren Angehörigen an: „Sie haben uns ihr Vertrauen geschenkt, dafür danken wir Ihnen.“
„Grund zum Feiern“, nannte Dotzel das neue Kapitel in der Geschichte der Rummelsberger. „Aus den Ditterswindern Rummelsbergern werden die Rummelsberger in den Haßbergen, und das in einer Einrichtung, die besser als Standard ist.“ Dafür hätten Staat, Land und Bezirk erfolgreich zusammengewirkt, auch in der Finanzierung. Die Förderung für Wohnheim und Tagesstruktur beider Bauvorhaben durch die Regierung Unterfrankens habe knapp 5 Millionen Euro betragen, was fast die Hälfte der veranschlagten Baukosten ausmacht. Die seien in Höhe von etwa 11,5 Millionen Euro Brutto für beide Einrichtungen zusammen prognostiziert worden. Projektsteuerer Philipp Ratajczak gab dieser Zeitung darüber Auskunft und betonte seinerseits, dass es sich um ein „Vorzeigeprojekt“ handele, bei dem man „voraussichtlich mit vier Prozent unterhalb des vorgegebenen Kostenrahmens geblieben“ ist.
„Die endgültige Schlussabrechnung steht noch aus“, erklärte Diakon Matthias Grundmann, der als Projektleiter von Anfang an zuständig war. Den Gesprächen am Freitag war zu entnehmen, dass wohl niemanden davor bange ist. Dennoch bekannte Bürgermeister Walter Ziegler, dass der „Grundstückspreis in Anbetracht aller Gesamtkosten wohl ein Schnäppchen war.“ Er sagte es mit Augenzwinkern und hielt sogleich ein Geschenk für die 24 neuen Ebelsbacher Mitbürger parat. Sein Gutschein zum gemeinsamen Eisessen im Eiscafé wurde mit lautem Jubel der Bewohner aufgenommen. Zuvor hatte er berichtet, „wie alles begann.“ Nebenan im Biergarten habe er mit Diakon Hofmann vom Kirchengemeindeamt Bamberg und dessen Gattin gesessen, als Hofmann von dem Vorhaben erzählte. „Da drüben ist das ideale Grundstück“, sei sein Anstoß für das Projekt gewesen.
Bürgermeister Thomas Stadelmann sagte fast entschuldigend, dass er „heute kein Geschenk dabei“ habe, kündigte aber eine kleine Überraschung für die in Zeil geplante Einweihung am 9. Mai an. „Und danke, dass Sie Zeil als Standort ausgewählt haben“, wandte er sich an die Leitung der Rummelsberger Diakonie.
Norbert Böhm, Abteilungsdirektor der Regierung von Unterfranken, verwies darauf, dass „Gelder hier sinnvoll verbaut worden sind, denn sie schaffen nicht nur Wohnungen, sondern auch Arbeitsplätze.“ Michael Ziegler trat in Vertretung des Landrats an das Mikrofon und stellte fest: „Selbstbestimmtes Leben in unseren Dörfern und Städten geschieht nicht von selbst.“ Er forderte die Bürger von Ebelsbach und Zeil auf, bei diesem Prozess tatkräftig mitzuwirken. „Ich bin sicher, das machen Sie“, sagte er voller Überzeugung. Er wünschte den Bewohnern, sie mögen sich schnell einleben und wohlfühlen, stellte eine Atmosphäre der gegenseitigen Achtung und Geborgenheit in Aussicht, dankte den Mitarbeitern beider Wohneinrichtungen für ihre Tätigkeit voller Liebe, Leidenschaft und Geduld und stellte fest: „Die Wege ins Landratsamt sind nun auch kürzer geworden.“
Damit spielte er auf den vorherigen Wohnort an, der über einen langen Zeitraum im Schloss Ditterswind bei Maroldsweisach lag und den die Behinderten nicht zuletzt wegen vieler menschlicher Kontakte lieb gewonnen hatten. „Wir grüßen heute auch die Ditterswinder, die über so viele Jahre in vorbildlicher Weise mit den behinderten Bürgern zusammengelebt haben“, sagte daher Dr. Günter Breitenbach, Vorstandsvorsitzender der Rummelsberger Diakonie. Dass die Bedingungen dort wegen der alten Bausubstanz nicht mehr optimal waren, sei zuvor mehrfach erläutert worden. „Aber der Umzug bedeutete nicht nur einen Neustart im Maintal“, ergänzte er, „sondern gleichfalls ein Loslösen von Ditterswind.“
Spürbare Veränderungen haben sich durch den Ortswechsel nicht nur für die Bewohner ergeben. Den Fachkräften wurde seitens der Leitung die Möglichkeit eingeräumt, mitzuziehen. Aber was das für einige bedeutet, deren Arbeitsweg sich drastisch verlängerte, lässt sich denken. Dennoch blieben fast alle auf ihrem Arbeitsplatz. Helga Döllner, die neun Jahre lang in Ditterswind zum Fachpersonal gehörte, begründete ihre Entscheidung so: „Wir lieben uns alle, das ist nicht einfach nur ein Job.“ Obwohl sie nun täglich zwischen Ermershausen, wo sie wohnt, und Ebelsbach pendeln müsse, sei für sie klar gewesen, dass sie mitziehen würde. Der Bewohner Manfred Heller, den sie während dieses Gesprächs im Rollstuhl vom Festzelt zum ökumenischen Gottesdienst anlässlich der Einweihung schob, blickte sie dafür dankbar an und sagte: „Ich bin sehr froh, es ist spitzenmäßig hier.“
Öffentlich war nicht nur die Einweihung. Auch das zukünftige Leben der behinderten Menschen soll in und mit der Öffentlichkeit stattfinden. Dazu gehöre beispielsweise die offene Anlage, die insbesondere in Zeil zum Durchqueren, beispielsweise auf dem Weg zum Kindergarten, einlade. Das bedeutet auch, dass die Bewohner Regeln lernen, die für Jedermann gelten, etwa das Tragen von Straßenschuhen oder entsprechender Bekleidung beim Überqueren des Hofes „auf dem Weg zur Arbeit“. „Allein einkaufen gehen oder an Veranstaltungen teilnehmen“ sind nur zwei von vielen Vorstellungen, die Bewohnervertreter im Namen aller äußerten. Die Landkreis-Vhs macht in Zeil bereits den Anfang, indem sie Veranstaltungen in den neuen Gebäuden durchführt und weitere plant.