Arnold H. sieht nicht so aus, wie man sich landläufig einen Heroinabhängigen vorstellt. Sein Körper ist nicht ausgemergelt, die Haut nicht vorschnell gealtert und seine braunen Augen blicken nicht stumpf und leer, sondern sanft und lebendig in die Welt. Der gepflegt wirkende Mann sitzt an einem Tisch, in einem von vielen Zimmern der Fachklinik Schloss Eichelsdorf, in der Drogenabhängige behandelt werden. Seine behaarten Unterarme bilden einen Kontrast zu der weißen Tischplatte. Die Hände hat Arnold H. locker ineinander verschränkt. In ruhigem Ton erzählt der 46-Jährige, der aus einer kleinen Gemeinde in Oberfranken stammt, von seinem Leben, das seit mehr als 20 Jahren von der Droge Heroin beherrscht wird.
„Mit 14 habe ich angefangen, Hasch zu rauchen. Mit 24 oder 25 Jahren bin ich dann zum ersten Mal mit Heroin in Berührung gekommen“, erinnert sich Arnold. Einige Mitglieder aus seiner Clique hätten die Droge schon vor ihm ausprobiert. Irgendwann sei er neugierig geworden und habe angefangen, das weiße Pulver zu rauchen und zu schnupfen, später injizierte er sich den Stoff. Die Droge löste ein Gefühl absoluter Glückseligkeit aus. „Ich fühlte mich unverwundbar“, meint der 46-Jährige heute. Auf die Frage, warum er begonnen hat, Heroin zu nehmen, scheint er zunächst ratlos. „Es war wohl Neugier“, sagt er schließlich zögernd. Wirkliche Probleme habe er nicht gehabt – stattdessen einen Job, eine Wohnung, gute Freunde und das Gefühl, in der rund 3000 Einwohner zählenden Heimatgemeinde gut angesehen zu sein.
„Die Auslöser für eine Heroinsucht sind sehr unterschiedlich“, erklärt Manfred Richter, stellvertretender Leiter der Fachklinik Schloss Eichelsdorf. Während die einen von Langeweile getrieben würden, sei bei den anderen die Ursache für den Drogenmissbrauch in ihrer „heftigen“ Biografie zu finden. In den letzten Jahren sei der Heroinkonsum bundesweit leicht zurückgegangen. Generell gelte, dass die Droge im westlichen Teil Deutschlands eher zu finden sei als im östlichen: „Hier bei uns in der Region dominieren Amphetamine wie Crystal Speed, das aus Tschechien eingeschmuggelt wird.“ Während Amphetamine aufputschen, wirkt Heroin entspannend und gilt als „Ausschalt-Droge“, wie es Richter formuliert.
Die Geschichte der Droge ist alt. Das Internet verrät, dass es Opiate schon im alten Ägypten gab und die Menschen lange nach einem synthetischen Ersatz suchten. Vor 115 Jahren gelang dieser Schritt. Der Chemiker Felix Hoffman entwickelte Heroin, das die Firma Bayer zunächst als Schmerz- und Hustenmittel auf den Markt brachte. Erst als man Anfang des 20. Jahrhunderts das starke Suchtpotenzial von Heroin erkannte, wurde es verboten. Bis heute hält sich die Droge in der Gesellschaft.
Von den knapp über 60 Patienten in Eichelsdorf werden drei aufgrund ihrer Heroinsucht behandelt. Wenn sie in die Haßberge kommen, haben sie den körperlichen Entzug bereits hinter sich und werden, so Richter, nahtlos in den Therapie-Alltag integriert. Alltag, das bedeutet Arbeit im und um das Schloss, Therapiesitzungen und Angebote zur Freizeitgestaltung. Die Kosten von 94 Euro am Tag pro Patient seien gering, verglichen mit dem gesamtgesellschaftlichen Schaden, der durch die Therapie verhindert werde. In der Regel bleiben die Patienten zehn Monate.
Arnold H. ist seit 17. Februar in Eichelsdorf. Es ist sein zweiter Entzug. Vor fünf Jahren, als seine Tochter auf die Welt kam, hatte er schon einmal versucht, vom Heroin loszukommen. Erst da merkte er, wie fest ihn die Droge im Griff hat und, dass er es nicht alleine schaffen kann, zu entziehen. Er kam 2008 in die Fachklinik, die damals noch auf der Bettenburg angesiedelt war. Danach blieb er eineinhalb Jahre clean. Bis er seinen Job verlor und wieder zur Nadel griff. Seine Frau, die gemeinsam mit ihm entzogen hatte, war ebenfalls rückfällig geworden und spritzt sich noch heute regelmäßig Heroin, während sie auf die Bewilligung ihres Therapieplatzes wartet. Die Tochter ist bei der Schwiegermutter untergebracht. Arnold H. will sich die Hoffnung dennoch nicht nehmen lassen. Er sucht nach einem Job außerhalb seiner Heimatgemeinde und will ein neues Leben in Unterfranken beginnen. Irgendwann, so hofft er, werden Frau und Tochter ihm in dieses folgen.