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EBERN
Forscher weisen Mückenart erstmals in Deutschland nach
Erfolgreiche Feldforschung: Die „Inventur im Grünen“ Mitte Juni auf dem früheren Übungsplatz der Bundeswehr bei Ebern (hier ein Archivbild) brachte 1500 Arten zum Vorschein. Darunter waren 40 Arten, die bislang vor Ort noch nicht nachgewiesen waren.
Foto: Beate Dahinten | Erfolgreiche Feldforschung: Die „Inventur im Grünen“ Mitte Juni auf dem früheren Übungsplatz der Bundeswehr bei Ebern (hier ein Archivbild) brachte 1500 Arten zum Vorschein.
Michael Mößlein
 |  aktualisiert: 12.12.2014 19:16 Uhr

Die Mücke zu einem Elefanten zu machen, liegt den Beteiligten fern. Und doch ist Klaus Mandery ein gewisser Stolz anzumerken, als er am Freitag von den Ergebnissen der Untersuchungen am 13. und 14. Juni während des Geo-Tages der Artenvielfalt in Ebern berichtet. Wie erst jetzt, nach Auswertung der Ergebnisse feststeht, hatten die Wissenschaftler auf dem früheren Standortübungsplatz der Bundeswehr mit Hilfe von Leuchten nachts 40 Arten angelockt, die bisher in Ebern nicht nachgewiesen waren. Ist dies schon erstaunlich genug, verkündet Mandery auch noch eine kleine Sensation. Denn eine gefangene Fenstermücke gehört einer Art an, die bislang nirgends sonst in Deutschland nachgewiesen war.

Davon gehen die beteiligten Wissenschaftler nach jetzigem Kenntnisstand zumindest aus. Hundertprozentig sicher, ist der deutschlandweit erste Beleg erst dann, wenn ein Abgleich mit anderen wissenschaftlichen Stellen erfolgt ist, erklärt Oliver Hawlitschek von der Zoologischen Staatssammlung München (ZSM), der die in Ebern gesammelten Ergebnisse ausgewertet und vor kurzem intern bekannt gegeben hat.

Zehn Arten in Europa

Zehn Fenstermückenarten sind in Europa bekannt. Fünf davon gibt es in Deutschland. Das war Stand der Forschung – bis jetzt. Denn nun kann man davon ausgehen, dass zumindest bei Ebern auch Sylvicola stackelbergii durch die Luft summt. Dies ist der lateinische Fachbegriff der neu entdeckten Fenstermückenart. In Russland, Skandinavien und in den Niederlanden ist das kleine Fluginsekt bekannt, doch nicht in Deutschland. Das kann aber auch daran liegen, dass auf so kleine Tiere „kaum jemand achtet“, wie Mandery meint.

Als Leiter des Instituts für Biodiversitätsinformation (IfBI) in Ebern koordinierte er im Sommer die Untersuchungen auf dem ehemaligen Bundeswehrübungsplatz im Rahmen des Tages der Artenvielfalt, an dem 80 Forscher und 200 Besucher teilnahmen. Für ihn ist der deutschlandweite Erstnachweis einer Tierart in Ebern ein besonderes Ereignis. Er weiß um die besondere Qualität der Um- und Lebenswelt auf dem seit Jahren nicht mehr genutzten Übungsplatz, auf dem schon mehrfach Arten entdeckt wurden, die zuvor nirgends in Bayern zu finden waren.

Gerade auf früheren Truppenübungsplätzen ist die Artenvielfalt oft groß, bestätigt Hawlitschek vom ZSM. Doch da das Ex-Bundeswehrgelände bei Ebern schon mehrmals untersucht wurde und gut bekannt ist, war es nicht unbedingt zu erwarten, dort noch etwas Neues zu entdecken, berichtet der Biologe.

Wie Mandery berichtet, sammelten Forscher während der Hauptveranstaltung zum Geo-Tag der Artenvielfalt gezielt schwer bestimmbare Kleinschmetterlinge und Mücken. Sie waren nachts unterwegs und lockten Tiere mit Leuchten an, um sie zu sammeln und direkt in kleine Glasröhrchen mit speziellem Alkohol zu überführen. Hawlitschek hat diese bei der ZSM genetisch analysiert.

Forschungsbeitrag

Hawlitschek ist Koordinator des Projektes „Barcoding Fauna Bavarica“ (BFB) der ZSM (siehe Infobox), das sich mit anderen Instituten und Forschungseinrichtungen weltweit darum bemüht, Referenzdatenbanken aufzubauen, die die DNA-Barcodes von möglichst allen bekannten Lebewesen enthält. Jedes Lebewesen besitzt einen unverwechselbaren genetischen Code, der eine Art eindeutig bestimmt. Mit Hilfe von Datenbanken könnten die genetischen Barcodes unbekannter Tiere abgeglichen werden.

Dass dies eine gigantische Aufgabe darstellt, ist angesichts der globalen Artenvielfalt leicht verständlich, beschreibt Klaus Mandery die Größenordnung des Projekts, zu dem die Feldforschungen in Ebern einen kleinen Teil beigetragen haben. Wissenschaftler schätzen, dass mehrere Millionen Arten von Lebewesen die Erde bevölkern. Wenngleich sich der absolute Großteil dieser Artenvielfalt auf die Tropen konzentriert, leben in Bayern dennoch geschätzte 34 000 Tierarten. „Hier den Überblick zu behalten, ist auch für Spezialisten schwierig“, meint Mandery. Das DNA-Barcoding könnte den Wissenschaftlern die Arbeit künftig sehr erleichtern.

„Der Barcode trägt dazu bei, noch mehr zu entdecken“, sagt Hawlitschek. Und es wird die Arbeit der Spezialisten erleichtern. Der Biologe verdeutlicht dies am Beispiel der Mücken. 10 000 Arten davon gebe es in Deutschland. Doch selbst Fachleute würden nur 500 Arten sicher kennen. Gencodes sind hier eine Hilfe.

Deren Anwendungsmöglichkeiten reichen jedoch weit über das Ziel hinaus, möglichst nicht den Überblick zu verlieren. So haben Forscher, die sich mit den Folgen der Erderwärmung auf die Fauna beschäftigen, häufig mit neu eingewanderten, unbekannten Insektenarten zu tun. Darunter sind Schädlinge, Parasiten und Krankheitsüberträger. Bislang wurden diese oft erst dann erkannt, wenn sie Schaden angerichtet haben. Aber auch die Fischereiwirtschaft, die Nahrungsmittelindustrie oder der Zoll sind beispielsweise darauf angewiesen, tierische Gewebe schnell und sicher zu identifizieren. Eine weitgehend komplette Gendatenbank würde dabei unschätzbare Dienste leisten, meint Mandery. Auch wirtschaftlich wäre eine solche Datenbank von bedeutendem Nutzen.

Barcoding Fauna Bavarica

Das Projekt wurde im Jahr 2009 ins Leben gerufen. Getragen wird es vom bayerischen Kultusministerium; die Laufzeit wurde bis 2018 verlängert. Die Wissenschaftler der Zoologischen Staatssammlung München (ZSM) sind dabei Projektpartner einer der ehrgeizigsten weltweiten Forschungsinitiativen der Biowissenschaften: der Analyse und Speicherung der Gencodes aller Tierarten. Dieses Ziel hat sich der kanadische Biologe Paul Hebert bereit 2003 gesetzt, um die Daten allen Wissenschaftlern weltweit zur Verfügung zu stellen.

Barcoding Fauna Bavarica möchte alle in Bayern lebenden Tierarten der Datenbank hinzufügen. Auch dank der bis zu 200 Jahre zurückreichenden ZSM-Bestände konnten schon 14 000 Tierarten, fast die Hälfte der bayerischen Fauna, erfasst werden – eines der weltweit erfolgreichsten Projekte.

Friedliches Subjekt: Die bei Ebern entdeckte Fenstermückenart war bislang in Deutschland nicht nachgewiesen. Menschen brauchen sie nicht fürchten: Sie sticht nicht.
Foto: Zoologische Staatssammlung München | Friedliches Subjekt: Die bei Ebern entdeckte Fenstermückenart war bislang in Deutschland nicht nachgewiesen. Menschen brauchen sie nicht fürchten: Sie sticht nicht.
 
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