
Tote Fische im Angerbach. Eine Nachricht, die bei Walter Reuter, Abwassermeister der Eberner Kläranlage, eines Donnerstags vor zwei Jahren auf dem Störungsmelder einlief. Die Wasserschutzpolizei suche schon seit mehreren Tagen das Gebiet rund um den Angerbach ab, meldeten ihm zudem aufmerksame Bürger. Doch Störungsmeldungen kennen Walter Reuter und seine Kollegen vom Klärwerk in- und auswendig. Sie kommen nach dem Feierabend, und auch mitten in der Nacht. „Wir haben ja 24 Stunden Rufbereitschaft“, erklärt Walter Reuter.
Damals fuhr der Abwassermeister zum Angerbach, sah die leblosen Tiere und suchte den Grund dafür: „Notüberlauf vom Kanal“, erinnert er sich heute noch. Er holte seine Maschinerie heraus, stieg hinab in die Tiefe und sah eine dicke, fette, grau-schwarze Verzopfung, die da im Rohr steckte. Er zog das Etwas mit voller Wucht heraus. Dann „hat es wieder funktioniert“ mit dem Wasserablauf, weiß Walter Reuter noch heute von diesem Einsatz. Und was da im Rohr steckte? Reuter wusste schnell Bescheid: Ein Sammelsurium an feuchtem Klopapier.
Wer in der Drogerie die große Auswahl an feuchten Hygienetüchern sieht – mit Aloe Vera getränkt, mit Kamille, Mandelmilch oder dem Duft von Waldbeere –, ahnt nicht, wie jung dieses Produkt eigentlich ist. Denn trockenes Klopapier ist seit gut 600 Jahren im Gebrauch – feuchtes erst seit 40 Jahren. Gedacht war es als Luxusartikel. Genutzt wurde es zur Babypflege, gekauft wurde es anfangs kaum.
Aber dann begann ein Boom, der die Industrie bis heute begeistert. 1990 war der Markt kaum messbar. 2002 kauften allein Amerikaner für fast zwei Milliarden Dollar Feuchttücher. 2013 waren es in Deutschland 100 Millionen Euro. Und der Absatz ist seither weiter gewachsen. In den USA gibt es sechs Prozent Wachstum im Jahr, in Deutschland acht Prozent. So war es im Juni 2015 in der Süddeutschen Zeitung zu lesen gewesen.
Die Reaktion von Walter Reuter, als er das gelesen hatte: „Ohne ist die ganze Sache nicht.“
Im vergangenen Jahr mussten die Experten aus der Kläranlage in Ebern zu 320 Störungen im Kanal- und Pump-System ausrücken. „Das ist das Wenigste seit Jahren. Wir hatten auch schon mal 420 Störungen pro Jahr“, liest Reuter aus der internen Statistik ab. Jeder Einsatz ab 15 Minuten aufwärts wird dort notiert. Aber das, was ihn leicht verärgert und für was er kaum Verständnis hat, ist folgende Bilanz: Von 320 Störungen waren 200 derartige Verstopfungen mit feuchtem Toilettenpapier. „Da fragt man sich halt dann schon“, so Walter Reuter.
Natürlich steht auf den Packungen, leicht erkennbar oder irgendwo unter der Knickfalte, dass das Papier über die Kloschlüssel entsorgt werden kann.
“ Für die meisten Bürgerinnen und Bürger gelte: „Aus den Augen, aus dem Sinn“, kommentiert Reuter die Problematik.
Warum Feuchttücher zu Verstopfungen führen? „Weil sie sich schlecht zersetzen“, erklärt Reuter. Viele Feuchttücher sind kein Papier, sondern Fließ. Die Stellen, an denen die einzelnen Fließfasern verbunden sind, werden mit Chemikalien wie Melaminformaldehydharzen wasserfest gemacht. Diese Stoffe sind ein Grund, warum Verbraucherzeitschriften wie Öko-Test von feuchtem Klopapier abraten. Denn Formaldehyd sei krebsverdächtig und könne Allergien auslösen. So erklären es die Experten.

Natürlich machte sich Walter Reuter Gedanken, wie man mit technischen Mitteln dem Problem der Feuchttücher den Kampf ansagen kann. „Man könnte einen Zerkleinerer in die Pumpstation einbauen“, war seine Überlegung, „aber das geht nicht, weil ja auch Steine in den Kanal mitreinkommen, und dann ist der Zerkleinerer sofort kaputt.“ Oder größere Pumpen. „Das ist aber ein finanzieller Aufwand“, so Reuter, sei eine Sache des Geldes, die sich dann sicherlich auch auf den Geldbeutel der Bürgerinnen und Bürger auswirken würde.
Nicht nur in Ebern, sondern an vielen anderen Orten auf der Welt sind Klärwerker mit eben diesem Problem bereits an die Öffentlichkeit getreten. Verbraucherverbände und Umweltbehörden empfehlen, feuchtes Toilettenpapier nicht in Toiletten zu spülen. „Nichts reinschmeißen“, so formuliert es Walter Reuter kurz und knapp.
Zu den verbotenen Dingen in der Toilette gehören übrigens auch Damenbinden und -tampons: „Das Schnürchen kann sich an rauen Stellen im Kanal verhaken. Diese Sachen gehören separat in den Restmüll.“