Leonid ist 33 Jahre alt. Cherson, im Süden der Ukraine, ist seine Heimatstadt. Eigentlich. Mit seiner Frau Olha und drei Kindern floh er im November 2014 nach Deutschland. Er stellte Antrag auf Asyl. Seine Lebensgeschichte bekam ein Aktenzeichen, Leonid wurde offiziell zum „Flüchtling“. Dies sollte für den Ukrainer nicht die Endstation sein: „Herr Hurko ist zwischenzeitlich zu einem Freund geworden“, sagt Christian Raehse, „und einen Freund lässt man nicht hängen.“ Christian Raehse ist Leiter des Bauhofs der Stadt Ebern und Chef von Leonid Hurko. Die Bleibeperspektive der ukrainischen Familie ist gering, gegen den Abschiebebescheid wurde Anfang des Jahres Klage eingereicht. Christian Raehse kämpft, um der Familie doch „die Möglichkeit zu geben, sich dauerhaft in Deutschland niederzulassen“.
Leonid Hurko ist ein Paradebeispiel für gelungene Integration: Nur wenige Tage, nachdem er im Winter 2014 mit seiner Familie in Ebern angekommen war, fragte er beim Asylhelferkreis nach Arbeit. Nicht nur einmal, immer wieder. Seine Hartnäckigkeit zahlte sich aus: Drei Monate später startete Leonid im Rahmen einer gemeinnützigen Tätigkeit im Bauhof der Stadt Ebern. Als sogenannter „1-Euro-Jobber“ packte er an, wo er konnte. Für Christian Raehse stellte sich „Leo“, wie er im Bauhof genannt wird, schnell als „Tausendsassa“ heraus. „Er ist vielseitig und zuverlässig einsetzbar“, urteilt Christian Raehse, „wichtig in unserem Team.“ Aufgrund des hohen Engagements setzte sich der Bauhofleiter für eine Festanstellung für Leo ein, mit Erfolg. Im August 2016 konnte er seinen Arbeitsvertrag unterschreiben. Sogar Landtagsabgeordneter Steffen Vogel gratulierte dazu persönlich.
Wie der Vater, so nahmen auch seine Kinder die Sache mit der Integration tatkräftig in die Hand. Der älteste Sohn Rostic startete in der Grundschule. „Sehr nett und total unkompliziert“, empfand die damalige Rektorin Ingrid Mandery die ersten Wochen mit dem Jungen. Im Kindergarten lebten sich die Geschwister schnell ein. Mutter Olha fand eine Arbeitsstelle bei der AWO Ebern. Einen Deutschkurs schlossen weder Olha noch Leo ab: „Sie haben in mühevoller Eigeninitiative die Sprache gelernt. Mit Hilfe der Kinder und bei jeder Gelegenheit haben sie Vokabelkarten geschrieben“, schildert Raehse. „Durch sein Verhalten und seine Arbeit ist Leo im Bauhof angesehen und integriert. Darüber hinaus ist die Familie auch im öffentlichen Leben eingeflochten."
Im März dieses Jahres sollte Schluss sein: Der Antrag auf Asyl der Familie Hurko wurde abgelehnt und sie sollten die Bundesrepublik binnen 30 Tagen verlassen. „Wir haben fristgerecht Einspruch eingelegt und überlegt, wie wir eine eindeutig drohende Abschiebung vermeiden können“, erklärt Christian Raehse.
Nach Rücksprache mit dem Bayerischen Flüchtlingsrat, Pro Asyl und öffentlichen Institutionen kristallisierte sich eine Lösung heraus: Wenn einer der beiden Elternteile einen Ausbildungsplatz hätte, dann würde die von der Regierung beschlossene „3+2 Regelung“ greifen: Flüchtlinge, die eine Ausbildung beginnen, sollen eine Garantie dafür haben, die Lehre beenden und danach zwei Jahre arbeiten zu können. Auch wenn der Asylantrag abgelehnt wurde. „Da Leo in einer befristeten Anstellung ist, haben wir uns bemüht, für die Frau einen Ausbildungsplatz zu finden. Dass sie auch Geld verdient und die Familie somit noch weniger Sozialleistungen in Anspruch nehmen muss“, so Raehse.
Gesucht, und gefunden: Zum 1. September hätte Olha Hurko bei der Familie Leyh auf dem Erlebnisbauernhof in Losbergsgereuth (Markt Rentweinsdorf) ihre Ausbildung zur Hauswirtschafterin starten können. Doch eines fehlt: Die Erlaubnis zur Ausbildung von der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) der Regierung von Unterfranken aus Schweinfurt. „Die sollte diese oder nächste Woche kommen“, so Raehse optimistisch.
Von dieser Entscheidung hängt das Schicksal der Familie Hurko ab. „Das Schönste wäre, wenn als Antwort käme: Die Ausbildung ist genehmigt. Duldung für drei Jahre. Dann würde ein neues Leben für die Familie beginnen“, so Christian Raehse. Leo sitzt aufmerksam neben seinem „Chef“, wenn dieser über die Bestimmungen und Regelungen spricht. „Nicht so gut“, bezeichnet der Familienvater die Situation. Seine Gefühle zeigt er nicht. In der Ukraine wollte man ihn zum Armeedienst einziehen, er sollte an der Front kämpfen. Er hatte Angst um Leib und Leben seiner Familie. Nun hat er erneut Angst. Telefonisch wurde seitens der ZAB bereits mitgeteilt, dass aufgrund der angestrebten Rückführung für Asylbewerber aus der Ukraine derzeit keine Ausbildung genehmigt werde. Hätte die Familie Hurko ein Arbeitsvisum, wäre der Fall einfacher. „Ich frage mich, wie das funktionieren soll. Leo fährt nach Kiew, holt das Visum und alles gut? Oder wird er einkassiert, sobald er die Grenze passiert?“, rätselt Christian Raehse. Auch niemand „aus der Politik“ konnte ihm erklären, wie das funktionieren sollte. Vor einigen Monaten hatte sich Christian Raehse nämlich mit dem „Fall Hurko“ an die Bundestagsabgeordneten Dorothee Bär und Sabine Dittmar gewandt.
Auf Anfrage von Dorothee Bär bekam er folgende Information vom Bundesamt für Flüchtlinge und Migration: „Die zuständige Ausländerbehörde kann die Integrationsleistung hingegen würdigen und eine Duldung erteilen (…)“, so das Schreiben vom 8. Mai 2017. Christian Raehse kontaktierte sodann Landrat Wilhelm Schneider als Chef der Ausländerbehörde vor Ort. Wiederholt wurde er vom Büroleiter Michael Rahn darauf hingewiesen, dass die „Zuständigkeit allein bei der Zentralen Ausländerbehörde Schweinfurt liegt. (…) Eine Einflussnahme von unserer Seite ist nicht möglich“, schrieb Rahn zuletzt am 13. September.
Die Familie Hurko will arbeiten, Steuer zahlen, die Grundrechte der Bundesrepublik Deutschland anerkennen und sich anpassen. „Sie haben sich integriert und sorgen dafür, ihren Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften“, führt Bürgermeister Jürgen Hennemann fort. Aber das ist scheinbar nicht erwünscht, fühlt Christian Raehse. „Mit einer außergewöhnlichen Eigeninitiative identifiziert sich Leo mit seiner Familie mit unseren Werten und trägt unsere Kultur auch hinaus“, betont der Bauhofleiter. „Dieses Engagement sollte belohnt werden", findet Jürgen Hennemann.
Für beide sprechen die Fakten für eine Bewilligung der Ausbildung. „Wir brauchen solche qualifizierten Fachkräfte. Ohne sie wird es in Zukunft nicht gehen. Als Stadt würden wir einen sehr guten Mitarbeiter verlieren“, stellt Bürgermeister Jürgen Hennemann heraus.
Die Klage der Familie Hurko gegen den Bescheid der Abschiebung ist noch nicht entschieden. Trotzdem wären monatelange Bemühungen zur Integration seitens der Stadt Ebern, vieler ehrenamtlicher Asylhelfer im Landkreis Haßberge und der Familie Hurko im Nu kaputt und wertlos, wenn die Ausbildung von Olha Hurko nicht genehmigt wird.