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RÜGHEIM
Evangelisch – „nicht ganz so schlimm“ wie katholisch?
Die Vertreter aller zum evangelischen Dekanat Rügheim gehörenden Gemeinden stellten sich in der Mittagspause der Frühjahrssynode zum Erinnerungsfoto auf.
Foto: Sabine Miessner | Die Vertreter aller zum evangelischen Dekanat Rügheim gehörenden Gemeinden stellten sich in der Mittagspause der Frühjahrssynode zum Erinnerungsfoto auf.
Von unserer Mitarbeiterin Sabine Meissner
 |  aktualisiert: 15.12.2020 15:11 Uhr

Es ist Tradition, dass die Synode des Dekanats Rügheim mit einem festlichen Gottesdienst beginnt. Dementsprechend versammelten sich 60 Synodale am dritten Sonntag im März zur Eröffnung der Dekanatssynode in der Rügheimer Kirche. Dekanatskantor Matthias Göttemann an der Orgel und Jürgen Koch mit dem Bezirksposaunenchor gaben dem 10-Uhr-Gottesdienst den entsprechenden musikalischen Rahmen.

Nach dem Gottesdienst ging es im Martin-Luther-Haus neben der Kirche weiter. Wie immer, wenn die Synode, das gewählte Gremium im Frühjahr und im Herbst zusammen kommt, saßen Ordinierte und Nichtordinierte aus allen Winkeln des Rügheimer Dekanats zusammen. Als Vertreter des evangelischen Kirchenvolks zwischen nördlichem Steigerwald, dem Maintal und den Haßbergen bis hin zur thüringischen Grenze nehmen sie eine Art Leitungsfunktion neben dem Dekan ein, bringen dafür Inspiration aus ihren Heimatgemeinden mit und beraten in der Synode über ihre Geschicke. Dementsprechend ging es am Sonntag auch um den Haushaltsplan 2017 und um Personalfragen. Der Zeiler Pfarrer Hans-Christian Neiber wurde als neues Dekanatsausschussmitglied nach dem Weggang von Pfarrer Peter Bauer vorgestellt.

Pfarrer Manfred Greinke aus Fischbach wird die Vertretung der Pfarramtsführung wahrnehmen, solange die durch Pfarrer Bauer frei gewordene Pfarrstelle in Burgpreppach unbesetzt ist. Greinke wird auch neuer Obmann der Posaunenchöre sein. Die Vertretung des Schulreferenten übernimmt der Königsberger Pfarrer Peter Hohlweg. Eine weitere Pfarrstelle wird frei, wenn im April Pfarrer Martin Bauer von Oberhohenried nach Euerbach bei Schweinfurt wechselt.

Das Reformationsjubiläum blieb nicht unerwähnt, und auf Gottesdienste und Veranstaltungen wurde hingewiesen. Höhepunkt soll ein ökumenisches Christusfest am Ostermontag in Hofheim sein. Nach der Tradition des „Emmaus-Ganges“ wird es gemeinsam mit katholischen Christen gefeiert werden.

Die neuen Menschen im Dekanat, die aus ihrer Heimat geflüchtet sind und hierzulande Zuflucht suchen, beschäftigen die Synodalen in ihren Gemeinden. Dekan Blechschmidt erinnerte an die Feststellung des Apostel Paulus, wonach eine „Begegnung mit Jesus in den Fremden, die bei uns Hilfe und Ruhe suchen“ geschehen könne. Er dankte den Unterstützerkreisen und Kirchengemeindegruppen, die in Zusammenarbeit mit dem Landratsamt „mit offenen Herzen und Geduld tätig“ sind. „Sie machen weiter“, sagte der Dekan, „trotz unterschiedlicher Erfahrungen und unnötigerweise entstandenen politischen Gegenwindes.“ Katrin Ruppert werde sich fortan mit 20 Wochenstunden beruflich um die Asyl- und Flüchtlingsarbeit kümmern. Finanziert werde ihre Stelle zu drei Teilen aus der „AG Herberge“ sowie dem Haushalt von Landeskirche und Dekanat.

In seiner Predigt während des Gottesdienstes war Dekan Blechschmidt auf den Sonntag Okuli eingegangen und erwähnte die „Geschichte von der armen Witwe“, sicher nicht, ohne im Hinterkopf an die vielen Geflüchteten zu denken. Die ihm zuhörten, die Synodalen, kannten wohl die Geschichte, in der Jesus zusah, wie das Volk Geld in den Gotteskasten einlegte und es welche gab, die viel einlegten. „Aber es kam auch eine alte Witwe, die wenig einlegte“, heißt es. Heute entspräche ihre Gabe unserem kleinsten Geldstück. Jesus soll darauf seine Jünger gerufen und zu ihnen gesprochen haben: „Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben.“ Alle hätten Überfluss, meinte Jesus wohl, von dem sie etwas abgegeben hätten, die arme Witwe aber, habe ihre ganze Habe eingelegt, einfach alles, was sie zum Leben hatte. „Wir müssen beim Lesen dieser Geschichte kein schlechtes Gewissen bekommen“, sagte der Dekan, denn das bedingungslose Vertrauen in Gott, das im Verhalten dieser Witwe zum Ausdruck komme, könne als Vorbild dienen. In dieser Geschichte kämen die Grundeinsichten des evangelischen Glaubens vor, predigte der Dekan. Er war damit beim Thema, denn die Frage „Was ist eigentlich evangelisch?“ stand über der Tagesordnung und wurde nach der Mittagspause näher beleuchtet.

Der Autor des gleichnamigen Buches, Okko Herlyn, Professor der Theologie aus Duisburg, stellte das Buch vor und warf viele Fragen auf. Und wie zu beobachten war, konnten auch erklärte und engagierte evangelische Christen die Frage, was eigentlich evangelisch sei, nicht auf Anhieb eindeutig beantworten. „Ist evangelisch all das, was nicht katholisch ist?“ oder sei evangelisch nicht ganz so schlimm wie katholisch, weil es ja schon ein bisschen moderner“ ist? Welche Rolle die aufgeschlagene Bibel im Gemeindeleben spiele, fragte der Referent und verwies darauf, dass außer Bert Brecht auch andere Dichter die Bibel als inspirierend entdeckt hätten. Welche Götter uns wohl regieren, „wenn Fünfjährige mit Markenklamotten Ansehen erheischen“, wollte er wissen. Spiritualität sei „das neue Zauberwort“, ob beim „Bungee Jumping“ oder beim „Malen in der Toskana“. Was Kirche sei, stellte er rhetorisch als Frage in den Raum, „ein Gebäude, der Pfarrer oder die unglaubliche Medienpräsenz auf dem Petersplatz in Rom?“ Worin sie wirklich bestünden, die zentralen Inhalte des evangelischen Glaubens, fragte Herlyn das Gremium. Eine fragende, suchende Grundhaltung bezeichnete er als überzeugend und machte sich mit den Synodalen auf den Weg, Antworten auf die Frage zu finden, was nach 500 Jahren Reformation aus den alten Einsichten heute noch stimmt.

In Gruppen liefen daraufhin lebhafte Gespräche ab. Die Meinungsäußerungen reichten von „manche trauen sich gar nicht zu sagen, dass sie sonntags in die Kirche gehen“ über „Kirche soll nicht ablaufen wie ein TV-Programm, wir sollten nicht nur Konsumenten sein“ bis hin zu „Menschen haben eine Sehnsucht nach Liebe und Frieden“ und „Ich will in der Kirche kein Event, sondern in Besinnung mit Gott sprechen können.“

Eine Christin sinnierte: „Sind wir zu reich oder zu gesund, dass wir die Worte der Bibel nicht mehr brauchen?“ Kirche liege derzeit nicht im Mainstream, meinte ein Christ und eine ehemalige Krankenschwester antwortete: „Auf Menschen zugehen und helfen kann ich immer, früher im Beruf, jetzt zum Beispiel bei der Tafel.“ So blieb die eine, absolute Antwort auf die anfangs gestellte Frage auch an diesem Sonntag aus, aber die offene Aussprache gab Mut zum Nachdenken und Handeln mit auf den Heimweg.

In Diskussionsrunden gingen die Synodalen der Frage nach der evangelischen Grundhaltung nach.
Foto: S. Meissner | In Diskussionsrunden gingen die Synodalen der Frage nach der evangelischen Grundhaltung nach.
 
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