
Erinnern Sie sich noch? In der Nacht zum Sonntag, 1. Juli, wütete ein schweres Unwetter über der Region. Meteorologen waren jetzt im Haßgau unterwegs, um die Schäden zu analysieren. Dabei stellten sie fest: Zwischen Bischofsheim und Pettstadt war ein Tornado am Werk.
Das Unwetter war mit orkanartigen Windböen von Südwesten her über den Landkreis gezogen. Kreisbrandrat Ralf Dressel hatte von über 100 Einsätzen der Feuerwehren gesprochen. Alleine 70 Wehren nur im Landkreis mit zusammen etwa 600 Einsatzkräften waren stundenlang unterwegs gewesen, um die schwersten Schäden zu beseitigen und die Straßen wieder freizubekommen. Am stärksten hatte das Unwetter im Maintal zwischen Knetzgau und Zeil sowie im oberen Haßgau gewütet. In nur zwei Stunden liefen bei der Einsatzzentrale der unterfränkischen Polizei in Würzburg 480 Notrufe auf.
Björn Stumpf aus Fulda hatte damals das Unwetter am Radarschirm mitverfolgt. Stumpf ist Gutachter für meteorologische Schadensanalytik. Seit 2005 betreibt er ein eigenes Forschungsprojekt, das sich unter dem Namen „WTINFO Tornado Research Project“ mit der Erfassung aller in Deutschland auftretenden Tornados beschäftigt. Er und sein Team fahren regelmäßig in die Gebiete, die eine Sturmfront verwüstet hat und erfassen die Schäden. Nun hat Stumpf im Landkreis Haßberge eine Fläche von 50 Quadratkilometern zwischen Knetzgau und Ebern auf Sturmschäden hin untersucht. Nach tagelanger Arbeit ist er nun in seinem Büro zurück und beschäftigt sich mit der Auswertung der gewonnenen Daten. „Wir fanden in der Schadenanalyse einen bunten Mix an Extremwetterphänomenen vor“, fasst er seine ersten Erkenntnisse zusammen. Es habe am späten Abend des 30. Juni gleich mehrere starke Microbursts, sehr wahrscheinlich sogar einen seltenen Macroburst, sowie Gustnados und Tornadoschneisen gegeben.
Stumpf erklärt, was sich hinter diesen meteorologischen Fachbegriffen verbirgt: Gewitter-Fallwinde werden mit dem Oberbegriff Downburst bezeichnet. Davon gibt es zwei Unterarten: Den Microburst mit einer Schneisenlänge von meist bis zu einem Kilometer und den deutlich größeren Macroburst ab einer Schneisenlänge von vier Kilometer. Die Schneisenbreite eines Downburst beträgt bis zu 300 Meter. Unter einem Gustnado ist ein Böenfrontwirbel zu verstehen, der keinen Kontakt zu einer Gewitterwolke hat und bei Annäherung einer Kaltfront schon vor der Ankunft des Regens entsteht.
Bei ihren Recherchen suchten und fanden Stumpf und sein Team bei Pettstadt die Spuren eines Tornados. Der Wirbelwind zog am 30. Juni von 23.03 bis 23.07 Uhr nordwestlich und nördlich an Neubrunn in nordöstlicher Richtung vorbei, querte mehrere kleinere Mischwaldbestände, ehe er sich in Richtung Pettstadt bewegte. An der Teichanlage in Pettstadt fielen Birken auf ein Gebäude und beschädigten die Außenwand, sowie das Dach. Eine Scheune wurde versetzt. Der Tornado zog schließlich weiter in das Naturwaldreservat Stachel, wo er sich auflöste.
„Bevor der Tornado Pettstadt erreichte, zog er durch ein Kornfeld“, berichtet Stumpf. „In dem Kornfeld konnten wir interessanterweise die Spuren eines weiteren Tornado feststellen, der zwei Wochen vorher auf der anderen Seite des Ackers in der selben Zugrichtung seine Schneise gezogen hatte.“ Innerhalb von nur zwei Wochen waren tatsächlich zwei Tornados durch dieses Kornfeld rotiert. Björn Stumpf: „Dies ist ungewöhnlich selten zu beobachten.“
Die jüngste Tornadoschneise habe ungewöhnliche Richtungswechsel gezeigt, berichtet Stumpf. Sie wurde mit einer Länge von 4.61 Kilometern kartiert, die Schneisenbreite betrug 37 Meter. Aufgrund des Schadensbilds wird der Tornado von Stumpf in die Kategorie „schwach“ eingestuft, das bedeutet, er wird Geschwindigkeiten von 130 bis 150 Stundenkilometer gehabt haben.
Nicht weit entfernt von der Tornado-Schneise fanden die Experten die Spuren eines starken Microburst in Höhe des Zeiler Jägerhäuschen. Der Microburst hatte in einem Buchenwald gewütet. Seine Schneisenlänge beträgt 324 Meter, seine Breite 194 Meter. Die Windgeschwindigkeit betrug hier zwischen 170 und 195 km/h.
Spuren eines seltenen Macroburst könnte es bei Knetzgau gegeben haben, ebenfalls in der Nacht zum 1. Juli entstanden. Allerdings will sich Björn Stumpf hier noch nicht genau festlegen.