Ab und an vertauscht Dr. Georg Lippert seine Einsatzorte. Normalerweise operiert der Leitende Oberarzt im Josefskrankenhaus in Schweinfurt, im vergangenen Jahr aber war er bereits das dritte Mal als Oberfeldarzt und Reservist der Bundeswehr im Auslandseinsatz. Nach einem ersten Einsatz 2007 in Faisabad, einer der ärmsten Regionen Afghanistans, und 2009 am Horn von Afrika, ging es 2010 nach Kundus.
„Es fehlt an Chirurgen und Anästhesisten, die Bundeswehr hat nur 70 Chirurgen, und das ist bei den vielen Auslandseinsätzen zu wenig“, so Lippert. Für ihn ist es Teil seiner staatsbürgerlichen Verpflichtung, sich so zu engagieren, außerdem unterstützt er gerne die jungen Menschen, die dort im Einsatz und oft überfordert sind. Im Direktor des Josefskrankenhauses, Martin Stapper, hat er einen großen Unterstützer gefunden: Der war selbst lange Jahre bei der Bundeswehr und stellt Lippert gerne für diesen Dienst frei.
Fünf Wochen im Krieg
Fünf Wochen war Lippert in Kundus: „Es ist Krieg, es wird scharf geschossen und mit viel militärischer Schlauheit gekämpft.“ Während er vor drei Jahren in Faisabad noch eher „Entwicklungshilfe in Uniform“ leistete, war Lippert diesmal mit der ganzen Brutalität eines Krieges konfrontiert. Er behandelte NATO-Soldaten, afghanische Polizisten und Einheimische mit Splitter- und Schussverletzungen oder Opfer von Sprengstoffanschlägen. Da liegt dann schon einmal eine Dreizehnjährige auf dem Operationstisch, der eine Explosion beide Beine abgerissen hat.
Lippert arbeitete im Rettungszentrum des NATO-Camps in Kundus. „Als ich ankam, bekam ich gleich eine Urkunde in die Hand gedrückt, die mich als Klinikdirektor auswies, und musste jeden Früh eine Einsatzbesprechung auf englisch halten“, erzählt Lippert und lacht, „das war schon ein bisschen gewöhnungsbedürftig.“ Mit Amerikanern, Deutschen, Armeniern und Belgiern arbeitete der Chirurg zusammen. „Die Amerikaner hatten fünf Hubschrauber im Einsatz“, sagt er. „Das war gut, weil wir viele Verletzte schneller in die Klinik bekamen.“
Polizeichef unter dem Messer
Auch den Polizeichef von Kundus hatte Lippert unter dem Messer, er hatte eine Schussverletzung. Mit ihm hat er sich auch darüber unterhalten, was wohl im Land passiert, wenn die NATO-Truppen abziehen. Dann, so habe der oberste Polizist gemeint, werde es eine enorme Flüchtlingswelle in Richtung Europa geben. Schon als die Russen aus Afghanistan abzogen, seien sechs Millionen Menschen vor den Taliban geflohen. Es leben aber immer noch 30 Millionen Menschen in dem Land, das doppelt so groß ist wie die Bundesrepublik. Da höre man den Satz von Peter Struck, dass Deutschland am Hindukusch verteidigt werde, schon mit anderen Ohren, meint Lippert.
Was ihn ein bisschen ärgert, ist die Bewertung der Arbeit der Soldaten in der Heimat. „Die Bundeswehr arbeitet in Afghanistan gut, und ihr Einsatz ist mehr als nötig.“ Ein amerikanischer Arztkollege von der Navy wunderte sich, wie es sein könne, dass der Bundeswehreinsatz in Deutschland so negativ gesehen werde, in USA gebe es so etwas nicht.
Bei den Afghanen selbst sind die Deutschen hoch angesehen, erzählt Lippert. Präsident Hamid Karzai und sein Außenminister sprechen perfekt deutsch. Gebildete Afghanen kennen die deutschen Dichter und Denker. Auch seien die Deutschen ja nie als Besatzungsmacht aufgetreten, sondern um die Not des Volkes zu lindern und die Polizei auszubilden.
Zu dieser Strategie ist nun etwas dazugekommen. Erstmals gehen NATO-Soldaten – auch deutsche – offensiv gegen Taliban-Standorte vor. Aus Char Dahar haben sie die Taliban so schon zu großen Teilen verdrängt. „Die Afghanen wollen die Taliban auch nicht“, sagt Lippert und hofft, dass diese Strategie jetzt den Weg zu einer wahren Selbstverwaltung des Landes freimacht.
Die Welt durch Kimme und Korn
Was Lippert auch deutlich wurde, ist, warum viele der jungen Soldaten mit einem posttraumatischen Belastungssyndrom zu kämpfen haben. „Es gibt da junge Soldaten, die sehen die Welt nur noch durch Kimme und Korn.“ Die Soldaten seien rund um die Uhr in ihrem gefährlichen Dienst. Einziger Luxus: Ab 19 Uhr abends dürfen sie zwei Dosen Bier a 0,33 Liter trinken.
„Für mich selbst war das Risiko kalkulierbar“, sagt der Arzt und beschreibt die gefährlichsten Situationen in seinem Einsatz: den Flug von Mazar-e-Sharif nach Kundus – „hier werden schon mal Flugzeuge beschossen“. Und die Fahrt vom Flughafen ins Camp: „Die fahren wie die Teufel, da darf keiner anhalten.“