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Königsberg
"Es hat uns theologisch kalt erwischt"
Das hat die Königsberger Marienkirche in fast 500 Jahren Evang.-Luth. Stadtkirche noch nie erlebt: Kein Gottesdienst, keine klingende Kirchenmusik, keine betende Gemeinde. Staatliche Maßnahmen legten wegen der Corona-Pandemie auch das kirchliche Leben still.
Foto: Sabine Meißner | Das hat die Königsberger Marienkirche in fast 500 Jahren Evang.-Luth. Stadtkirche noch nie erlebt: Kein Gottesdienst, keine klingende Kirchenmusik, keine betende Gemeinde.
Sabine Meißner
 |  aktualisiert: 29.03.2021 10:34 Uhr

Pfarrer Peter Hohlweg ist Pfarrer im Evang.- Lutherischen Dekanatsbezirk Rügheim und betreut die Pfarreien Königsberg und Dörflis. Gerade steht das öffentliche Leben wegen Corona still. Der Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm sagte, es sei für Christen ein "Schock", dass sie infolge der Pandemie in ihren Kirchen keine Gottesdienste feiern dürfen.

Frage: Wie sieht Ihr Arbeitstag als Pfarrer derzeit aus?

Pfarrer Hohlweg: Am Anfang war es tatsächlich ein Schock: Keine Gottesdienste, kein persönliches Gespräch, alle Planungen auf einmal Makulatur. Es hat uns theologisch kalt erwischt. Das universitäre Wohlstands-Christentum des Kulturprotestantismus ist damit definitiv an ein Ende gekommen. Es gibt so etwas wie eine Theologie der Krise, entstanden bei Theologen am Beginn des 20. Jahrhunderts, wie etwa Karl Barth oder Dietrich Bonhoeffer. Auch Martin Luther wäre ein solcher Gewährsmann. Wir sollten bei diesen wieder in die Lehre gehen und dabei freilich die Bibel selbst nicht vergessen.

Was machen Sie denn, wenn Sie keine Menschen in der Gemeinde treffen können und das gesamte Gemeindeleben ohne persönliche Kontakte ablaufen muss?

Es ist eine gewaltige Veränderung, und eigentlich bin ich beruflich kaltgestellt. Das unmittelbare Miteinander, die vielen Gruppen und Kreise, die ich leite, aber auch die seelsorgerlichen Besuche und der Unterricht – all das fällt ja weg. Deshalb traf ich schnell die Entscheidung, über das Internet tätig zu werden. Aber es ging mir an die Knochen, der Gemeinde nicht wie gewohnt das Evangelium verkündigen zu dürfen.

Macht Ihnen etwas an der Situation ganz besonders zu schaffen?

Ja, die reduzierte Form der Beisetzungen, den Trauernden Anteilnahme entgegenzubringen, manchmal auch durch körperliche Nähe, was in diesen Zeiten ja völlig wegfallen muss. In unserer Gemeinde möchten im Todesfall viele Bekannte, Nachbarn und Freunde Abschied nehmen. Auch das ist zur Zeit unmöglich. Statt dessen biete ich an, dass wir den normalen Trauergottesdienst später, nach Ende der Ausgangsbeschränkung feiern werden.

Von welchen Sorgen, aber auch von welchen erfreulichen Ereignissen berichtet man Ihnen derzeit?

Es überwiegen tatsächlich Sorge und Verunsicherung. Die Angestellten fürchten um ihren Arbeitsplatz, Unternehmer sind in Sorge um ihre Firma, andere wegen der Krankheit an sich. Vielen Menschen ist anzumerken, dass sie sich Gedanken machen, ob der bisherige Weg im Hamsterrad der richtige war. Auch die Frage nach Gott stellen einige neu.

Wie bereiten Sie sich jetzt auf die Zeit nach den Ausgangsbeschränkungen vor?

Ich bereite mich unter anderem gedanklich darauf vor, später die Gottesdienste zu "streamen". Das wäre doch schön, auch weil wir oft in der Marienkirche musikalisch reiche Gottesdienstfeiern gestalten. Wir müssten dafür die Kirche mit Kameras ausstatten, aber viele könnten teilhaben, auch die mit Schwellenangst. Für den 5. Juli ist der große Einweihungsgottesdienst unserer neuen Orgel geplant. Noch haben wir nichts abgesagt, was terminlich nach dem 20. April liegt.

Sollte nach Corona etwas anders laufen?

Ich wünsche mir eine gesellschaftliche Debatte darüber, wie wir weiterleben wollen und ob sich in unserer Wertigkeit etwas verändern muss. Mir fällt auf, dass die Kirchen und Theologen jetzt medial fast keine Rolle spielen. Die Bundeskanzlerin hat sich in ihrer ersten Fernsehansprache wortreich entschuldigt, weil keine Kinobesuche mehr möglich seien, aber dass die Gottesdienste schon viel länger untersagt waren, merkte sie nicht an. Das halte ich für eine seltsame Schwerpunktsetzung. Mir war bisher nicht klar, dass Kinobesuch zu den Menschenrechten gehört, dagegen die Religionsausübung sehr wohl.

Singen Sie täglich um 19 Uhr am geöffneten Fenster "Der Mond ist aufgegangen", wie es die Evangelische Kirche vorgeschlagen hat?

Ich habe meinen Gemeindegliedern versprochen, jeden Abend um 19 Uhr in der Marienkirche Martin Luthers Litanei zu singen, wie sie bei uns im Gesangbuch steht, mit einem etwas angepassten Text. Dann bete ich, singe auch einen Choral und läute die Glocken, als Gruß an die anderen Beter der Gemeinde. Das werde ich durchhalten, bis wir wieder gemeinsam Gottesdienst feiern können. Vielleicht auch darüber hinaus.

Der Königsberger Pfarrer Peter Hohlweg.
Foto: Doreen Streng | Der Königsberger Pfarrer Peter Hohlweg.
 
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