Ein schmaler Pfad, zu beiden Seiten junge Bäume, eine grüne Idylle im Sonnenschein. Auf den ersten Blick kaum vorstellbar, dass hier einmal eine Todeslinie verlief. Dabei hat uns Walter Herold zuvor noch ermahnt, den Pfad nicht zu verlassen: Zwar sei der Wanderweg auf einer Breite von fünf bis sechs Metern von Minen befreit worden. Doch weiter abseits sollte man sich sicherheitshalber nicht bewegen.
Es ist Sonntagnachmittag. Auf Einladung der Volkshochschule Ermershausen und des Haßbergvereins hat sich unsere kleine Gruppe auf den Weg gemacht an die ehemalige Grenze zwischen Ermershausen und Schweickershausen. Ok, die Grenze zwischen Thüringen und Bayern ist es immer noch, genauso wie vor der Zeit des geteilten Deutschlands. Aber vier Jahrzehnte lang war hier – von beiden Seiten aus betrachtet – „die Welt zu Ende“, wie es Walter Herold später ausdrückt. Der frühere Polizeibeamte und passionierte Wanderer ist mit dieser Situation aufgewachsen – und auch dienstlich bestens mit dem Thema vertraut: von 1976 bis 1989/90 war er bei der Grenzpolizeistation in Bad Königshofen eingesetzt.
Der Pfad führt uns durch eine Senke, den früheren Kraftfahrzeug-Sperrgraben. Der etwa sechs Meter breite Streifen danach wurde zu DDR-Zeiten ständig geeggt, damit sich kein Gras ansetzen konnte. Denn dieses sogenannte Kontrollfeld diente dazu, mögliche Fußspuren festzustellen. Jetzt, nach 30 Jahren, ist mehr als Gras drüber gewachsen.
Es fehlen 33 000 bis 35 000 Minen
Umso wichtiger, die Erinnerung wachzuhalten an ein unmenschliches Regime, das seine Bürger einsperrte unter dem Vorwand, sie zu schützen. Welcher Aufwand dafür betrieben wurde, war zu Beginn der Exkursion im Ermershäuser Rathaus klar geworden: Anhand von Text- und Bildmaterial und Artefakten wie zwei Minenschildern hatte uns Walter Herold mit Informationen versorgt, wie die Grenzanlagen aufgebaut waren und wie sie gesichert wurden. Das geschah unter anderem eben mithilfe von Minen. Und auch wenn die meisten entlang der 1400 Kilometer langen Grenzlinie Mitte der 80er Jahre entfernt wurden: „Der Verbleib von 33 000 bis 35 000 Minen ist ungeklärt“, weiß Herold. Wobei viele etwa durch Tiere ausgelöst oder durch Bodenerosion unschädlich gemacht worden seien.
Der ehemalige Kolonnenweg ist noch gut erkennbar. Und von einer Anhöhe wie dieser hier bekommt man auch einen Eindruck von der Linie, die das Land durchzogen hat – auch wenn die Schneise sehr viel breiter war. Der Weg aus Gittersteinen war für die Fahrzeuge der Grenzer angelegt worden, nicht, um darauf zu wandern, das merkt man ziemlich schnell. „Man kann leicht umknicken“, warnt unser Wanderführer.
Ein verhinderter Spion
Neben viel Hintergrundwissen hat Walter Herold auch die eine oder andere Begebenheit im Gepäck, die sich an der Grenze ereignete. Die Geschichte von einem potenziellen DDR-Spion zum Beispiel, der im Juni 1988 nach Hofheim geschickt worden war, einfach nur um richtiges Verhalten im Einsatz zu trainieren. Allerdings hatte er nicht mit der geschulten Aufmerksamkeit von Walter Herolds Vater Erich gerechnet, wie der Sohn ehemaliger Grenzpolizist und gerade beim Holzmachen nahe dem Gut Winhausen.
Der verwickelte den vermeintlichen Wanderer, der sich nach dem Weg erkundigt hatte, in ein Gespräch. Dabei kam ihm einiges seltsam vor. Er schickte den Mann auf einem Umweg nach Hofheim und verständigte die Grenzpolizeistation Maroldsweisach. Die ausgesandte Zivilstreife entdeckte den Mann, der sich dann als „Bürger der DDR“ bezeichnete und jede weitere Aussage verweigerte. Er wurde der Justiz überantwortet.
Nicht völlig undurchlässig
Die Grenze war also nicht völlig undurchlässig. Einen dieser Durchgänge für Grenzaufklärer hatte der Ermershäuser Hermann Hennig in den 80er Jahren ausfindig gemacht, berichtet Walter Herold. Dreimal schlüpfte er durch, wurde erwischt und zurückgeschickt, beim dritten Mal mit der Androhung von Haft, sollte er es wieder versuchen. Daraufhin habe er es bleiben lassen.
Die traurige Geschichte von Sven M.
Ein ungleich dramatischerer Vorfall 1986 nahm seinen Ausgang am ehemaligen Grenzerposten zwischen Ermershausen und Schweickershausen. Eindrücklich erzählt Walter Herold von der Flucht des 19-jährigen Soldaten Sven M., der seinen Vorgesetzten mit Schüssen lebensgefährlich verletzte, um nicht selbst niedergeschossen zu werden, den drei Meter hohen Zaun aus Metallgitterplatten überwand und schließlich „schlotternd im Aussiedlerhof der Familie Höhn“ stand. Seine Hoffnung auf ein besseres Leben erfüllte sich allerdings kaum: Der junge Mann wurde vom Landgericht Bamberg wegen versuchten Totschlags verurteilt und saß viereinhalb Jahre im Gefängnis. „Er hat das alles nie verkraftet“, berichtet Wanderführer Herold, „ist immer wieder polizeilich bekannt geworden und hat keinen Fuß mehr auf den Boden gekriegt.“
Das Grenzhäuschen ist zugewuchert
Vom Häuschen der Grenzer ist nicht mehr zu sehen, alles zugewuchert. Wir überqueren die Straße, auf der der Verkehr zwischen Bayern und Thüringen seit drei Jahrzehnten wieder ungehindert fließt. Nahe einem kleinen Parkplatz steht noch ein Stück vom Grenzzaun. Zum Ende der Exkursion gibt es Geschichte zum Anfassen.