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HASSFURT
"Er ist perfekt, so wie er ist"
Der sechsjährige Phineas Behm aus Haßfurt lebt mit dem Down-Syndrom. Seine Mutter Julia appelliert: „Diese Menschen sind es wert, leben zu dürfen!“
Die Freude war ihm anzusehen: Der sechsjährige Phineas Behm aus Haßfurt hatte sichtlich Spaß daran, am Down-Syndrom-Sportfestival in Frankfurt teilzunehmen.
Foto: Norbert Weinhold | Die Freude war ihm anzusehen: Der sechsjährige Phineas Behm aus Haßfurt hatte sichtlich Spaß daran, am Down-Syndrom-Sportfestival in Frankfurt teilzunehmen.
Wolfgang Sandler
 |  aktualisiert: 29.03.2021 10:54 Uhr

Was ist das für ein Sportfest, bei dem nicht der Sieger allein im Mittelpunkt steht, bei dem einmal fünf gerade sein dürfen, bei dem nicht alles so eng gesehen wird und bei dem nach dem ursprünglichen olympischen Gedanken Dabeisein alles ist? Ein solches Sportfest ist sicher nicht alltäglich und das gilt auch für die Sportler, die daran teilnehmen. Es handelte sich um das Deutsche Down-Sportlerfestival, das kürzlich in Frankfurt stattfand. Mit großem Spaß daran teilgenommen hat Phineas Behm aus Haßfurt. Der Sechsjährige lebt mit dem Down-Syndrom, das ist eine angeborene Behinderung, die durch eine Genmutation hervorgerufen wird.

„Bei Menschen mit Down-Syndrom geht alles ein bisschen langsamer“, sagt Julia Behm, die Mutter von Phineas. Er war bereits im letzten Jahr zum Zuschauen dabei, dieses Jahr wurde es dann „ernst“, doch allzu ernst geht es nicht zu bei dem Festival. Wichtig ist, dass alle Teilnehmer und ihre Familien Spaß haben. Denn die Familien sind mit integriert in die Wettkämpfe. Es gibt ein sehr umfangreiches Rahmenprogramm. Zahlreiche Persönlichkeiten, die im öffentlichen Leben stehen, zum Beispiel Ex-Fußballstar Dieter Müller oder Model-Agent Peyman Amin, bekannt aus „Germany's next Topmodel“, dessen Bruder selbst mit dem Down-Syndrom lebt, stellen sich jedes Jahr als Paten zur Verfügung. Auch Motsi Mabuse von „Let's Dance“ hatte sich bereit erklärt, konnte aufgrund ihrer Schwangerschaft jedoch nicht anreisen.

Dieses Jahr war es also soweit, Phineas konnte zusammen mit den anderen Sportlerinnen und Sportlern zur Hymne „Unser Tag“ von Pea Stream in das Sport- und Freizeitzentrum Kalbach einmarschieren und dabei glücklich ins Publikum winken. Jeder bekam sein T-Shirt, seine Startnummer, und jede Gruppe einen andersfarbigen Ballon. So konnte Familie Behm gleich von weitem erkennen, wo sich der Filius gerade im Einsatz befand.

Drei Sportarten waren für den Sechsjährigen vorgesehen: Weitwurf, 25-Meter-Lauf und Weitsprung aus dem Stand. Das wird aber nicht so tierisch ernst gesehen. Es geht nicht um Hundertstel und Millimeter. So startete Phineas zum Beispiel über 25 Meter. Seine Kontrahenten waren schon ein bisschen größer und dadurch auch ein bisschen schneller. Als der Sieger die Ziellinie überquerte, riss er semiprofessionell den Arm zur Siegergeste hoch. Phineas wiederum deutete dies als Signal „Rennen beendet“ und dreht kurz vor der Ziellinie um. Bei Olympia undenkbar, hier lächelte der Kampfrichter nur und gab bekannt: „Das zählt!“ Es bekommt ja auch jeder Teilnehmer eine Medaille. Zusammen mit anderen Teilnehmern dabeisein unter dem Motto „Inklusion“, das ist es, was zählt. Da ist es auch nicht so wichtig, dass es mit dem Weitwurf noch nicht so klappte. Phineas ist ja noch jung.

Ebenso entspannt sind auch die Zuschauer. Parallel zu den Wettkämpfen gibt es verschiedene Workshops von „Drums alive“ über „Geschwister-Olympiade“ bis zum „Kick-it-Fußball-Workshop“.

„Diese Menschen sind es wert, leben zu dürfen“
Julia Behm, Mutter von Phineas

Die Stimmung ist heiter, die Atmosphäre familiär. Viele Familien nutzen das Festival auch, um sich rund um das Down-Syndrom auszutauschen. Zu dem Zweck haben sich Behms auch dem Down-Syndrom-Familienforum angeschlossen, ebenso dem internationalen Down-Syndrom-Facebook-Forum. Und natürlich wird auch jedes Jahr der Welt-Down-Syndrom-Tag begangen; übrigens weil beim Down-Syndrom das 21. Chromosom 3-fach vorhanden ist, am 21.3. Deshalb steht auch für Familie Behm fest im Terminkalender für den 27. April 2019: „Down-Syndrom-Sportlerfestival“.

Für Phineas war es ein weiter Weg von seiner Geburt vor sechs Jahren bis zur Teilnahme an dem heiteren Festival. Er kam nicht nur mit dem Down-Syndrom zur Welt, er hatte auch einen Herzfehler, der erst im Alter von zehn Monaten behoben werden konnte. „Da hat er eigentlich erst richtig angefangen zu leben“, erinnert sich seine Mutter.

Nach der Geburt von Phineas stand die Familie erst einmal unter Schock. Wohl wissend, dass es nicht leicht sein würde, dass Phineas eines Tages auch auf sich allein gestellt sein Leben würde meistern müssen. „Genau das ist es, worauf wir hinarbeiten. Denn wir werden nicht ewig leben, um für ihn da sein zu können. Natürlich kümmert sich auch sein Bruder Lio um ihn, aber der soll auch einmal sein eigenes Leben leben führen dürfen.“

Die Diagnose nach der Geburt mit dem Down-Syndrom und dem Herzfehler war zunächst für die junge Familie niederschmetternd. Doch Vater Jörg Behm, so erzählt seine Frau, hatte den Schock schnell überwunden. „Das schaffen wir auch!“, gab das Familienoberhaupt die Losung aus. In ihrem Umfeld hat die Familie nach eigenen Aussagen nie Probleme gehabt wegen des Down-Syndroms von Phineas. Jedes Jahr gebe es auch eine Posteraktion anlässlich des Welt-Down-Syndrom-Tages. „Man muss darauf aufmerksam machen, das Menschen mit Down-Syndrom auch Mitglieder unserer Gesellschaft sind“, sagt Julia Behm. Sie versteht auch nicht, dass viele werdende Mütter sich zu einer Abtreibung entschließen, weil bei der Untersuchung das Down-Syndrom festgestellt wurde. „Diese Menschen sind es wert, leben zu dürfen. Man muss sich im Zusammenhang mit dem Down-Syndrom eben vom klassischen Denken lösen, es dauert halt alles etwas länger“, sagt die Mutter und drückt ihren Phinaes an sich, dem schon wieder der Schalk im Nacken sitzt. Zu einem Schabernack ist er immer gerne bereit. Und mit Tränen in den Augen zitiert sie Lio, den zwölfjährigen Bruder von Phineas, der einmal ganz ernst festgestellt hatte: „Er ist perfekt, so wie er ist.“ Und sie ergänzt: „Wir sind froh, dass wir ihn haben. Für uns sind nämlich beide Kinder perfekt, so wie sie sind.“

Down-Syndrom

Menschen mit Down-Syndrom sind Menschen, die in jeder ihrer Zellen ein Chromosom mehr haben als andere Menschen, nämlich 47 statt 46 Chromosomen. Das Chromosom 21 ist dreifach vorhanden.

1959 entdeckte Jérome Lejeune in Paris, dass Kinder mit Down-Syndrom in jeder Zelle 47 Chromosomen statt der üblichen 46 haben, wobei das Chromosom Nr. 21 dreifach in jeder Zelle vorhanden ist, statt üblicherweise zweimal. Diese Entdeckung führte zur Bezeichnung Trisomie 21. Das Down-Syndrom ist somit eine genetisch bedingte, nicht veränderbare Veranlagung, es ist keine Krankheit.

Die geistigen Fähigkeiten der Kinder mit Down-Syndrom weisen eine enorme Streubreite auf. Die Spanne reicht von schwerer Behinderung bis zu fast durchschnittlicher Intelligenz, wobei das zusätzliche genetische Material nur ein Aspekt ist, der die Entwicklung beeinflusst. Quelle: DS-Infocenter

Zur Belohnung gab es von Vater Jörg Behm ein Küsschen für Sportskanone Phineas.
Foto: Norbert Weinhold | Zur Belohnung gab es von Vater Jörg Behm ein Küsschen für Sportskanone Phineas.
Auch wenn es ein bisschen länger dauert: Phineas ist immer zu einem Späßchen aufgelegt.
Foto: Norbert Weinhold | Auch wenn es ein bisschen länger dauert: Phineas ist immer zu einem Späßchen aufgelegt.
Beim Weitwurf hat Phineas noch Luft nach oben.
Foto: Weinhold | Beim Weitwurf hat Phineas noch Luft nach oben.
Phineas beim Weitsprung aus dem Stand.
Foto: Norbert Weinhold | Phineas beim Weitsprung aus dem Stand.
 
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