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HASSFURT
Eines der innovativsten Gebäude
Mitglieder und Gäste des Historischen Vereins Landkreis Haßberge besichtigten die Baustelle „Neubau Amtsgericht Haßfurt“ und verfolgten die Ausführungen von Christian Krafft vom Ingenieurbüro für Tragwerksplanung.
Foto: Sabine Meissner | Mitglieder und Gäste des Historischen Vereins Landkreis Haßberge besichtigten die Baustelle „Neubau Amtsgericht Haßfurt“ und verfolgten die Ausführungen von Christian Krafft vom Ingenieurbüro für ...
Von unserer Mitarbeiterin Sabine Meissner
 |  aktualisiert: 15.12.2020 15:14 Uhr

Am Donnerstagnachmittag stand nichts Historisches auf dem Programm der Sommerreisen, die der Historische Verein jedes Jahr veranstaltet. Die zukünftige Arbeitsstätte der Justiz in der Hofheimer Straße wurde aus nächster Nähe beäugt. Fast 50 Personen hatten sich eingefunden. Sie lauschten zuerst den Worten des Organisators Burkhard Hauck und danach den Ausführungen der Leute vom Bau.

„Der Bau des neuen Amtsgerichtes war eine Herausforderung“, begann Christian Krafft, beratender Ingenieur und Planer aus Würzburg. Er meinte damit den Baugrund und schilderte, dass ein verfestigtes Schotterpaket eingebracht werden musste, um eine sichere Grundfläche von 30 mal 30 Metern zu schaffen. „Das war erforderlich“, sagte er, „damit sich das Gebäude später nicht schiefstellt.“ Diese Bodenplatte, eine bis zu einem Meter dicke Stahlbetonplatte, bildet die Gründung. „Das Haus, ein komplettes Stahlbetonbauwerk, ist damit für die nächsten 100 Jahre sicher“, stellte er fest. Für das große Foyer im Erdgeschoss sind laut Architekt keine Stützen vorgesehen, und die später mit Glas verkleidete Front an der zum Kreisel ausgerichteten Ecke des Gebäudes solle optisch freitragend sein, so dass sich ein Durchblick ergibt.

Man habe der Statik entsprechende Unterzüge eingebaut, erklärte Krafft, „die das Gewicht der oberen Geschosse halten“. Das ganze Gewicht verteile sich über die Außenwände auf die Bodenplatte, erklärte er. Damit das funktioniert und nicht während des Baus zusammenbricht, habe man das Gebilde bis zur Fertigstellung des Skeletts mit Baumstämmen gestützt, eine wohl eher ungewöhnliche Methode, wie er auf Nachfrage aus dem Zuhörerkreis bestätigte.

Ungewöhnlich deshalb, weil diese stützende Konstruktion quasi „mit Null Materialaufwand“ geschaffen wurde. „Der Architekt, David Chipperfield, ist ein Brite“, bemerkte Krafft, „womöglich hat er mit seiner Installation in der Berliner Neuen Nationalgalerie das Unternehmen Riedel Bau aus Schweinfurt inspiriert“. Mit 144 imposanten Baumstämmen hatte er in der Bundeshauptstadt die offene Glashalle der Galerie in eine dicht gestellte Säulenhalle verwandelt. Die Installation „Sticks and Stones“, die Anfang 2015 zahlreiche Besucher anzog, wollte er als Auseinandersetzung mit der Architektur der Neuen Nationalgalerie und als Prolog auf die denkmalgerechte Sanierung des Berliner Museums verstanden wissen.

Der Betrieb Riedel Bau, der für die Rohbauarbeiten des neuen Amtsgerichtes in Haßfurt zuständig ist, verwendete 90 Baumstämme als Stützen. Der Durchmesser der jeweils vier Meter langen Nadelholzstämme betrug 22 Zentimeter. Jeder Stamm konnte 15 Tonnen Last tragen und hatte ein Eigengewicht von etwa 90 Kilo. „Bevor die Stämme nach Abschluss der Arbeiten entfernt wurden, sah es auf der Baustelle in Haßfurt eine Zeitlang fast so aus wie in der Nationalgalerie der Bundeshauptstadt“, zeigte der Ingenieur anhand von Bildern.

Dem Ausflug in die Kunstszene folgten weitere technische Details, zu denen Reiner Flöhl, technischer Gebäudeausrüster aus Würzburg, Ausführungen machte. „Das neue Amtsgericht wird ein Passivhaus sein“, sagte er und fügte scherzhaft hinzu, dass das nichts mit der Arbeitsweise der darin wirkenden Personen zu tun habe. Ein Passivhaus müsse einem Standard gerecht werden. Darunter verstehe man ein Gebäude, das aufgrund besonderer Wärmedämmung und dem Funktionsprinzip, mittels Wärmetauscher Lüftungswärmeverluste zu vermeiden, keine herkömmliche Gebäudeheizung benötigt.

In die Stahlbetondecken sind Rohre eingezogen worden, ähnlich wie man es von einer Fußbodenheizung kenne. Damit werde je nach Jahreszeit die Heizung oder Kühlung geregelt. „Das Passivhaus packt das Gebäude gut ein, vergleichbar mit einer Thermoskanne, die den Kaffee warm hält“, beschrieb er, „damit so gut wie keine Wärme verloren gehen kann.“ Als wesentliche Merkmale nannte er die besagte Hülle, die Dachdämmungen, gute Fenster, die wenig Energie hinauslassen, sowie entsprechende Be- und Entlüftungsanlagen. Nachdem Flöhl über weitere technische Details informiert hatte, stellte er fest: „Es wird eines der innovativsten Justizgebäude sein, dass es zur Zeit in Bayern gibt.“

Das neue Amtsgericht soll am Eingang, vom Kreisel an der Kreuzung Hofheimer Straße / Zeiler Straße aus gesehen, frei einsehbar und frei begehbar sein. Die später mit Glas verkleidete Ecke wird freien Durchblick bieten und aussehen, als sei der obere Teil des Gebäudes freitragend.
Foto: Sabine Meissner | Das neue Amtsgericht soll am Eingang, vom Kreisel an der Kreuzung Hofheimer Straße / Zeiler Straße aus gesehen, frei einsehbar und frei begehbar sein.
Bis zur Fertigstellung des Rohbaus stützten 90 Baumstämme, die wirtschaftlicher als Gerüststützen waren, im Erdgeschoss das 'freitragende' Gebäude. Der Durchmesser der jeweils vier Meter langen Nadelholzstämme betrug 22 Zentimeter. Jeder Stamm konnte 15 Tonnen Last tragen und hatte ein Eigengewicht von etwa 90 Kilo. Nach Abschluss der Arbeiten sind die Stämme entfernt und auf der Baustelle zersägt worden. Damit sah es in Haßfurt für eine Weile fast so aus wie in der Berliner Neuen Nationalgalerie.
Foto: Sabine Meissner | Bis zur Fertigstellung des Rohbaus stützten 90 Baumstämme, die wirtschaftlicher als Gerüststützen waren, im Erdgeschoss das "freitragende" Gebäude.
 
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