Den Kamelmarkt in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) werden Inge und Manfred Wagner (beide 64) ihr Lebtag nicht vergessen. Sie sehen, wie die Händler die Tiere ausgiebig mustern, wie sie ihnen ins offene Maul schauen, wie sie leidenschaftlich um den Preis feilschen und wie die „größten Geschenke Allahs“ über eine improvisierte Rampe auf Lastwagen getrieben werden.
Als die beiden Königsberger ihre voll bepackten Reiseräder weiterschieben, hebt plötzlich eines der Kamele den Kopf, blickt sie an und reißt den Kiefer weit auf. Als ob es lauthals lacht. Die Fernradler sind verdutzt und Manfred sagt zu seiner Frau: „Das Kamel hält uns einen Spiegel vor! Es will uns sagen: Nehmt euch nicht so ernst! Habt Humor und lacht über euch selbst! Lasst fünf auch mal gerade sein! Und vor allem: Habt keine Angst!“
Ist das nicht gefährlich?
Ihre jüngste Radreise – ohne E-Bikes – führte die Franken vom iranischen Teheran an den Persischen Golf. Mit der Fähre überqueren sie dann die Straße von Hormuz und radeln über Dubai bis nach Muskat, der Hauptstadt des Oman. „Ist das nicht zu gefährlich?“ wurden Inge und Manfred Wagner im Vorfeld der Reise wiederholt gefragt, als sie erzählten, mit dem Rad durch den Iran fahren zu wollen. Zurück von ihrer Reise durch das Land der Mullahs, berichten beide von unglaublicher Gastfreundschaft. Wiederholt haben ihnen wildfremde Menschen Tee, Essen und Unterkunft angeboten.
Im Iran muss Inge Wagner stets das gesetzlich vorgeschriebene Kopftuch tragen und bei der Besichtigung von heiligen Stätten einen Tschador umhängen. Das ist ein großes Tuch, das den gesamten Körper verhüllt. Auf ihrem Weg nach Isfahan und Shiraz kommen die Traveller durch ausgedehnte Wüstenbereiche.
Bei Temperaturen von 45 bis 50 Grad auf ihrem Fahrradthermometer suchen sie oft vergebens ein schattiges Plätzchen. Die Infrastruktur ist dünn und die Radler wissen nicht, wann sie wieder Wasser fassen können. Deshalb haben sie ihre Räder meistens mit rund 15 Liter beladen.
Missionierung ist verboten
In Isfahan besuchen sie einen Freund, der eine iranische Frau geheiratet hat. Das deutsch-iranische Paar lädt sie zum Festessen ein und zeigt ihnen das historische Stadtbild, das durch Paläste, viele Minarette und die blauen Kuppeln der Moscheen geprägt ist. Die Prachtanlage des Imam-Platzes gehört zu den größten Sehenswürdigkeiten des Orients. Sie besichtigen auch die christliche Kathedrale von Isfahan, deren armenische Gemeinde etliche tausend Mitglieder umfasst. Die Christen dürfen im Iran ihre Religion ausüben, allerdings ist die Missionierung strengstens verboten.
Erstaunt stellen die Königsberger fest, dass sich zahlreiche Iraner sehr offen und kritisch über das Mullah-Regime äußern. Möglich ist dies nur im persönlichen Gespräch, ein Recht auf öffentliche Meinungsäußerung gibt es nicht.
Auf dem Weg nach Shiraz spüren die Weitgereisten einen Hauch von Ewigkeit. Sie stehen vor einer riesigen, angeblich mehr als 4000 Jahre alten Zypresse. Der Sage nach wurde sie von Zarathustra gepflanzt. Kurz darauf bestaunen sie die Weltkulturstätte Persepolis. Die antike Metropole wurde von Alexander dem Großen zerstört. Beeindruckend sind vor allem die gut erhaltenen Reliefszenen. Sie sind quasi ein Bilderbuch der Geschichte.
Ein heftiges Gewitter
Kurz, bevor sie den Persischen Golf erreichen, fegt ein mächtiger Gewittersturm nachts über ihr Zelt. Fast orkanartig rüttelt der Wind am Zeltgestänge und der Himmel öffnet weit seine Schleusen. Es schüttet wie aus Kübeln und der Regen prasselt hart auf die Zeltplane. Gottlob hält das Gestänge diesem Härtetest stand. Nur wenige ganz kleine Regentropfen sprühen ins Zeltinnere und erinnern sie daran, was bei einer anderen Reise passierte: Damals spießte nach einer schlimmen Windböe ein riesiger mexikanischer Kaktus das gesamte Zelt auf.
Irrsinnige Geschwindigkeit
An der Küste gesellt sich zu der sengenden Hitze noch eine hohe Luftfeuchtigkeit. Das sorgt für eine kostenlose Ganztagessauna. Leider kühlt es auch nachts kaum ab. Nach der Schiffspassage halten sich die Wagners nicht lange in Dubai auf, wo die noblen Autos mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit auf sechs- bis achtspurigen Autobahnen dahinrasen.
Radfahren ist zwar nicht verboten, aber es gibt keine Seitenstreifen, geschweige denn Radwege. Oft brausen die Karossen auf Tuchfühlung vorbei. Während im Iran alles spottbillig war, müssen sie nun viel tiefer in die Tasche greifen. Das Preisniveau in den VAE ist ungefähr so hoch wie in der Schweiz.
Im Oman beeindrucken jahrhundertealte imposante Festungen aus gestampftem Lehm. Noch wesentlich älter sind die Reste der sogenannten Bienenkorbgräber. Aufgereiht auf einem Berggrat sind sie aus flachen Steinen in der Form von etwa vier Meter hohen Bienenkörben aufgesetzt. Mit einem kleinen Loch am Boden, durch das ein erwachsener Mensch gerade so hineinkriechen kann.
Die großen Unbekannten
Über die Kultur und Religion derjenigen, die sie erbaut haben, weiß man so gut wie nichts. Weil die Grabstätten touristisch nicht erschlossen sind, müssen die Wagners ihre Räder durch ein ausgetrocknetes Flussbett schieben. Sagenhafte 5000 Jahre alt sollen die Grabmäler sein. Ein verrostetes Schild informiert, dass man sich hier an einer archäologischen Stätte befindet. Das ist alles. Kein Hinweis auf das Weltkulturerbe, keine Absperrung, keine Aufseher, kein Eintritt, keine Touristen.
Oft stellen die Globetrotter ihr Zelt irgendwo in der Landschaft auf. Das ist in den arabischen Ländern, wo es immer noch Nomaden gibt, überhaupt kein Problem und im Oman ist Wildcampen sogar offiziell erlaubt. Diese Art der Übernachtung hat etliche Vorteile: Erstens hält sich das Reisebudget in Grenzen. Zweitens erlebt man auf diese Weise Landschaft und Natur hautnah. Und drittens entzückt in der Nacht ein mit Sternen übersätes Firmament. So wird das kleine Zelt zum 1000-Sterne-Hotel.