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GLEISENAU
Eine heilige Arbeit
Die frühere Leiterin des Bibliothekszentrums in Haßfurt erforscht seit vielen Jahren die jüdische Geschichte im Landkreis. Sie erklärt den Zweck ihrer Arbeit.
Eine heilige Arbeit
Die Fragen stellte Michael Mösslein
 |  aktualisiert: 27.01.2012 11:13 Uhr

Das Klackern der Schreibmaschine hallt bis ins Parterre. Während des Wegs hinauf in den zweiten Stock, schwillt es sachte an. Die Tür zu Cordula Kappners Büro steht offen. Ihre Finger huschen über die Tastatur der roten Schreibmaschine. Sie bemerkt den Besuch im Türrahmen erst, als er an den Türrahmen klopft. Sie befindet sich in ihrem Reich. Das Nebengebäude von Schloss Gleisenau bei Ebelsbach birgt nicht nur das Archiv mit den Ergebnissen ihrer Forschungen zur jüdischen Geschichte im Landkreis Haßberge. In den unzähligen Kartons, Ordner und Schachteln steckt ihr Lebenswerk.

Frage: Woran arbeiten Sie gerade?

Cordula Kappner: Im Jahr 2012 machen wir im Rathaus von Oberlauringen eine große Ausstellung über die jüdische Geschichte des Ortes. Eigentlich habe ich gesagt, die Ausstellung auf dem Zeilberg im Jahr 2009, über die jüdische Geschichte von Altenstein, war meine letzte. Nun habe ich mich breitschlagen lassen für Oberlauringen. Im Lauf der Jahrzehnte habe ich auch zu den Ortschaften um den Landkreis Haßberge herum gesammelt, was ich an Material zu fassen kriegte.

Ist das mit vielen Kontakten zu Menschen verbunden, oder mehr Archivarbeit?

Kappner: Archivarbeit weniger, weil ich im Lauf der Zeit schon vieles gesammelt habe. Persönlicher Kontakt bleibt nicht immer bestehen. Mit dem einen versteht man sich besser, mit dem anderen weniger gut.

Seit wann erforschen Sie jüdische Geschichte?

Kappner: Die Thematik hat mich schon als Kind und als Jugendliche interessiert. Ich bin in der DDR zur Schule gegangen, in Dresden, und habe meine Wurzeln in der dortigen antifaschistischen Grundhaltung. Meine Eltern waren keine Nazis, meine Großmutter verehrte Heinrich Heine, mein Großvater war Sozialdemokrat. Ich habe von ihnen nie nationalsozialistischen Mist gehört, von keinem. Auch nicht von Freunden meiner Eltern. In der Schule natürlich auch nicht. Lehrern, die Nazis waren, bin ich erst im Westen begegnet, nachdem wir 1962 übergesiedelt waren. So hat mich die Thematik begleitet. Dann habe ich die Darstellung Israels in Kinder- und Jugendbüchern als Facharbeit geschrieben, an der Büchereischule in Hamburg. 1983 hatte ich dann die erste Ausstellung über „Die Buchführung des Todes“ in der Bücherei in Haßfurt. Diese ist dann gewandert, in die Bücherei Ebern, in die Hauptschule Hofheim, nach Knetzgau. Dort habe ich immer die Orte aus der Umgebung einbezogen, die ehemals jüdische Bevölkerung hatten.

Wen möchten Sie mit Ihren Ausstellungen erreichen, was bezwecken Sie mit Ihrer Arbeit?

Kappner: Ich mache meine Arbeit nicht für Wissenschaftler und für das Bildungsbürgertum, damit die gute Gefühle kriegen. Ich möchte an der Basis etwas bewegen, denn dort sitzen die Vorurteile, dort sieht man die Sendungen über den Holocaust nicht, man liest kaum und schätzt Geschichte nicht so. Ich möchte, dass nicht vergessen wird, was sich im Dritten Reich abgespielt hat, was mit den Juden passiert ist. Es geht mir um Einzelschicksale, nicht darum, dass Menschen in einer nicht genauer benannten Gegend umgekommen sind. Ich kann nachschlagen, wo und in welchen Lagern die ermordet wurden. Ich denke, das ist auch für die Opferfamilien wichtig. Außerdem möchte ich zeigen, dass man sich um Politik kümmern muss und sie nicht anderen überlassen darf. Und ich möchte auch nicht, dass die Täter so ruhig schlafen. Die, die Kinder lebend in Gruben geworfen haben, die sind zum Teil nie bestraft worden. Die sind nach dem Krieg einfach zu ihren Tätigkeiten zurückgekehrt. So etwas kann ich auf den Tod nicht leiden.

Lässt sich Ihre Arbeit in Zahlen fassen?

Kappner: 37 Orte im Landkreis hatten jüdische Bevölkerung. Und für jeden gibt es einen Karton oder einen Ordner. Jede Familie hat jeweils eine extra Mappe. Die ist manchmal ganz dick, manchmal eher dünn.

Wie viel Zeit haben Sie dafür investiert?

Kappner: Während meiner Zeit in Haßfurt habe ich meine Wochenenden und Abende dafür verwendet. Quasi meine ganze Freizeit. Im Urlaub bin ich immer vier Wochen nach Israel gefahren – drei Wochen für Recherche, eine Woche unterm Sonnenschirm.

Haben Sie selbst jüdische Wurzeln?

Kappner: Nein. Mein Vater war evangelischer Pfarrer.

Ihre Arbeit war nicht immer leicht. Gab es Menschen, die Ihnen gesagt haben: Hören Sie doch endlich auf, in der Vergangenheit zu stochern?

Kappner: Nein, so direkt nicht. Ich glaube, das getrauen die sich nicht so. Die haben höchstens mal in der Bücherei gesagt: „Dieses Judenzeugs hier, das wird doch hoffentlich nicht von unseren Mahngebühren bezahlt?!“ Aber das sagten sie nie zu mir, sondern zu den Angestellten. Große Schwierigkeiten hatte ich eigentlich nie, auch keine Anfeindungen oder böse Anrufe. Die abgebrochene Antenne an meinem Auto oder der in den Lack gekratzte, missratene Davidsstern waren nicht so schlimm – ich habe immer alte Autos gefahren.

Hat das mit der Region zu tun?

Kappner: Was die Unterstützung der Nazis angeht, gab's Unterschiede im Dritten Reich zwischen katholischen und evangelischen Gegenden. Die Evangelischen standen den Zielen der Nazis offener gegenüber. Im katholischen Bereich, wie hier bei uns, war das eher gemäßigt. Dies könnte sich bis heute auf den Umgang mit der braunen Vergangenheit auswirken.

Was waren denn Ihre schönsten Erfahrungen?

Kappner: Als ich in Israel unterwegs war, hat mich eine Frau gefragt, was ich mache. Ich erklärte es ihr. Da sagte sie, das sei eine heilige Arbeit. Das hat mich sehr berührt. Auch freue ich mich, wenn ich Menschen weiterhelfen kann, mit Fotos oder Daten.

Gibt es noch dunkle Flecken in der Geschichte, die Sie gerne beleuchten möchten? Blieben Aufgaben unerledigt?

Kappner: Spontan fällt mir nichts ein. Ich müsste höchstens meine ganze Sammlung nochmals überarbeiten. Ich würde es schön finden, wenn es eine ständige Ausstellung gäbe.

In Kleinsteinach soll im alten Lehrerhaus ein jüdisches Museum entstehen. Haben Sie die Verantwortlichen in die Planungen eingebunden?

Kappner: Das wird sicherlich noch kommen. Aber ich dränge mich nicht auf. Wenn die meinen, die müssen ihre Sache alleine machen und können es besser, weil sie ihre Maschinen haben, dann sollen sie das machen. Ich bin immer bei meiner Schreibmaschine geblieben. An den Fotos aus meiner Sammlung werden sie aber nicht vorbeikommen.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Welcher wäre dies?

Kappner: Etwas mehr Platz hier im Schloss Gleisenau, in dem mir die Gemeinde Ebelsbach freundlicherweise Asyl gewährt. Ich möchte auf jeden Fall hier bleiben. Hier fühle ich mich wohl, und das Ambiente ist schön.

Cordula Kappner

Historisches Interesse und politisches Engagement sind die starken Antriebskräfte im Leben von Cordula Kappner. Die Pfarrerstochter feierte im Juni ihren 70. Geburtstag. Sie wurde in Dresden geboren. Ihre Familie stammte aus Schlesien. Bereits als Schülerin, so sagt sie selbst, habe sie ihren Mund „nicht halten können und wollen“. Prompt bekam sie Ärger mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR. Sie musste ihr Abitur verspätet nachholen. Aus gesundheitlichen Gründen ließ sich ihr Vater 1962 nach Bremen versetzen. In Hamburg studierte sie an der Fachhochschule Bibliothekswesen. Zehn Jahre leitete sie die Bücherei in Geesthacht. 1978 zog sie nach Haßfurt und übernahm im Folgejahr das neu gegründete Bibliothekszentrum als dessen Leiterin. Seitdem beschäftigte sie sich mit dem Schicksal der etwa 350 Juden (Stand 1933) im Landkreis Haßberge. Dazu konzipierte sie 39 Ausstellungen, um die Erinnerung an sie wach zu halten. Für ihre Verdienste erhielt Cordula Kappner das Bundesverdienstkreuz, den Friedrich-Rückert-Preis 2006 des Haßberg-Hauptvereins und internationale Auszeichnungen wie den Preis der Obermayer-Stiftung (USA). Anfang September zieht sie von Zeil nach Haßfurt, wo sie früher bereits gewohnt hat.

 
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