Es ist ein respektables Alter: Vor 275 Jahren wurde die heutige evangelische Kirche in Ermershausen geweiht. Was hat das Gotteshaus in dieser Zeit nicht alles erlebt!? Als Folge der Corona-Beschränkungen wird das Jubiläum zumindest heuer wohl nicht groß gefeiert werden. Aber das ist kein Grund, der alten Dame, die auf einer Anhöhe mitten im Ort thront, nicht einen Besuch abzustatten, kurz vor ihrem runden Geburtstag.
Die Erwartung eines Rundumblicks über das Dorf und seine Umgebung erfüllt sich nicht. Nur Schalllöcher gibt es hier oben. Trotzdem war der Aufstieg in den Turm, dessen untere Teile aus dem 14. Jahrhundert stammen, nicht umsonst: Wann kommt man einem Glockengeläut schon mal so nahe? Die großen Gebilde aus Bronze direkt vor der Nase flößen Respekt ein, selbst im Ruhemodus.
Jähes Ende im Schmelzofen
Die mit Abstand älteste der vier Glocken hat schon viele Generationen und viele Wechselfälle der Geschichte begleitet. Sie stammt aus dem Jahr 1575, wurde mehrmals umgegossen und steht mittlerweile unter Denkmalschutz. Dank des Einsatzes einiger Ermershäuser Bürger überstand sie sogar den Zweiten Weltkrieg. Die beiden anderen Bronzeglocken des früheren Dreiergeläuts, das dem Chronisten zufolge "der Stolz der Gemeinde" war, mussten im Februar 1942 "schweren Herzens" abgegeben werden und landeten vermutlich im Schmelzofen, als Material für Waffen und Munition.
Die drei Glocken, die 1949 als Ersatz angeschafft wurden und wegen Geldmangels nur aus Stahl bestanden, sind heute nicht mehr im Gebrauch. Eine von ihnen hatte es als "Freiheitsglocke" auf dem Rathausplatz im Kampf um die Selbstständigkeit von Ermershausen 1978 bis 1993 zu überörtlicher Bekanntheit gebracht. Die Anschaffung dreier neuer Bronzeglocken heute hatte der Gemeinderat Ermershausen noch im Jahr 1978 beschlossen.
Im Stockwerk unter der 1730 aufgesetzten Glockenstube eine weitere interessante Erfahrung: durch den Dachstuhl einer Kirche zu laufen, also noch über dem an sich schon sehr hohen Kirchenschiff. Von der anderen Seite fällt der Blick zurück. Was aussieht wie ein vorchristliches Hügelgrab, ist die Ummantelung für die obere Etage der Orgel.
Den Chorraum im Blick
Apropos Orgel: Das Instrument ist ein weiteres Beispiel dafür, dass so manches in der Kirche nicht mehr so ist wie bei der Weihe am 28. Oktober 1745. Vor allem fehlt auf der Orgelempore der Spieltisch. Der wurde 1988 ans gegenüberliegende Ende des Kirchenschiffs verlegt, auf die erste Empore. So hat der Organist den Chorraum im Blick. An der Orgel selbst ist nur noch das Gehäuse original. Das Innenleben und die reichen Schnitzereien stammen aus dem Jahr 1910.
Bei dieser Renovierung wurde auch die Kanzel aufgewertet. Sie bildet zusammen mit dem Altar unterhalb und der Orgel oberhalb eine Einheit und das zentrale Element des Gotteshauses. Die Stuckverzierungen an der Decke und den Untersichten der Empore wurden ebenfalls erst 1910 angebracht. Der Plan, die Flächen mit Gemälden zu füllen, scheiterte am Geldmangel.
Schönheitskuren und Umbauten hat die Kirche schon einige mitgemacht. Erst knapp 20 Jahre früher, anno 1889, war der Chronik zufolge "im Innern ziemlich radikal das Alte beseitigt" worden. Unter anderem wurden die Emporen auf der Nordseite verkürzt sowie der Zwölferstand an der Südwand des Chores, ein Glasstand gegenüber und der Herrschaftsstand auf der unteren Empore abgebrochen. Die alten Grabsteine des Adelsgeschlechts von Voglstädt kamen in den damaligen Schulgarten hinaus.
Nur ein Grabstein blieb: An der Nordseite des Chorraums erinnert er an den frühen Tod und den feinen Charakter des Theologiestudenten Johann Phillip Friedrich Freund im Jahr 1749. Sein Vater Christoph war Pfarrer in Ermershausen und der Erbauer der Kirche.
Vom Friedhof ins Kircheninnere
Dieser Gedenkstein ist heute das älteste Stück im Innern des Gotteshauses. Das jüngste steht nicht weit davon entfernt: Das Altarkreuz hat Mesner Hans Oeser 2015 bei einem Besuch in Bodenmais entdeckt. "Ich wusste, dass das alte Kreuz nicht mehr so stabil war, also habe ich mich dort umgeschaut", erzählt er. Optisch wesentlich auffälliger ist das große Holzkreuz an der Südwand. Aber es gehörte auch nicht zur Originalausstattung der Kirche. "Es stand früher auf dem Friedhof", sagt Oeser.
Am Kirchweihsonntag, 25. Oktober, wird es zumindest einen Gottesdienst geben. Außerdem wird die Jubilarin beim Zwölf-Uhr-Läuten des Bayerischen Rundfunks vorgestellt. Und wer weiß, vielleicht würde sie sich sogar ein bisschen freuen, wenn sie diesmal zu ihrem Geburtstag die Aufmerksamkeit für sich allein hätte, ohne den Kirchweihtrubel drumherum? Aber auch über derlei Spekulationen ist die alte Dame erhaben. Sie nimmt alles mit stoischer Ruhe, so wie in den vergangenen 275 Jahren.