zurück
ZEIL
Eine besondere sommerliche Begegnung
Redaktion
 |  aktualisiert: 15.12.2020 15:22 Uhr

„Und jetzt lass staunend deine Seifenblasen hinten aus dem Kopf steigen aber vergiss nicht nach unten offen zu bleiben.“ Und alle Kinder der fünften Klasse führen ihre linke Hand hinter dem Kopf hoch und streichen sich mit der rechten an der Kehle entlang, die Augen weit geöffnet – „Habobabobaaaa“ – erklingt es im großen Musiksaal des Walther-Rathenau-Gymnasiums in Schweinfurt.

Kein herkömmlicher Musikunterricht, so konzentriert und enthusiastisch wie alle ihrem Lehrer folgen, es ist schon im fünften Jahr eine der Chorklassen am „Rathenau“, die Oliver Kunkel auch an der dazugehörigen Realschule anbietet. Einschließlich Klasse sechs singen die für die Chorklasse gemeldeten Kinder fast ausschließlich im Musikunterricht und proben für ihren Jahreshöhepunkt, für eine besondere sommerliche Begegnung: die Begegnung mit großer Musik und großem Orchester, mit renommierten Gesangssolisten und einem großen Open-Air-Konzertereignis in den Haßbergen.

Wie seit 2010 jeden Sommer bietet Oliver Kunkel am Sonntag, 19. Juli, um 20.00 Uhr mit seinen Schülern und dem zum Maintal-Sinfonieorchester erweiterten Zeiler Kammerorchester ein Classic-Open-Air im barocken Park am Zeiler Finanzamt. Zunächst die Carmina Burana, dann Musik von Lloyd Webber, Beethoven, Mozart, eine dramatische Collage mit Händels Messias und Musik „Wie vom Himmel“ im Vorjahr. Nun arbeiten die Kinder und erwachsenen Musiker, die Profis und Laien des fast zweihundertköpfigen Ensembles an „Look at the World“.

Das diesjährige Programm will mit diesem Titel aus einem der gebotenen Lieder von John Rutter für Chor und Orchester den Blick auf die Welt schärfen, staunend, liebevoll, mit Humor und gelegentlich Nachdenklichkeit. Als Rahmenmusik fungiert das „sinfonische Gemälde“ des amerikanischen Minimal-Music-Komponisten Philip Glass über den einst größten Staudamm der Erde, „Itaipu“ in Paraguay. Und da dürfen die Kinder der Rathenau-Schulen nicht nur englisch und französisch wie im übrigen Programm singen, sondern auch indianisch: Mystisch leise beschwören sie den Gott „Papa Miri“, jubeln zu dem vereinten Blech des Orchesters ihren Preis „A e va e Yvy“ und lassen ein ewiges „Ah“ zu den auf und ab strömenden Streichern tönen.

Eine besonders faszinierende Begegnung bietet den Besuchern des Konzertes wieder Philippe Huguet. Der französische Chansonnier gilt als ein führender Interpret der Musik von Jacques Brel und hat bereits 2012 im Park am Finanzamt gesungen. Nun lässt er mit gestisch-szenischer Unterstützung der Kinder im Park sechs neue Lieder erklingen. Das Musizieren von Chansons mit hundertfünfzig Kindern und Sinfonie-Orchester ist auch für ihn ein besonderes Erlebnis. Wenn er in „Les Bonbons“ einen naiven Liebhaber gibt, werden die Schüler ihn gehörig veräppeln, seine Hymne an die Liebe „Quand on n'a que l'amour“ dagegen mit ihren über hundert Kehlen unterstützen. Bei „Amsterdam“ mimen sie lebenslustige Seeleute, in „Fils“ stellen sie die verschiedensten besungenen „Söhne“ dar.

Für die Gäste des Open-Air-Konzertes ist es stets eine Freude, die frische Darstellungskraft, die originellen Choreografien, den kindlich-strahlenden Klang der Schweinfurter Choristen zu erleben. Man merkt in diesen Konzerten, wie die Arbeit eines Schuljahres sowohl der völligen Konzentration wie dem Mut zur lustvollen Darstellung, zum tiefen Ausdruck, gelegentlich zur witzigen Grimasse gewidmet ist. Das ist für den Musiklehrer, der gleichzeitig Gesangslehrer und Dirigent für die Kinder ist, nicht nur ein künstlerisches, sondern primär ein pädagogisches Vorhaben. „Sich einer Sache mit Leidenschaft und Hingabe, mit Enthusiasmus und Akribie zu widmen, ist eine ganz zentrale Erfahrung für Kinder. Viele kennen diese Welt noch gar nicht, sind das schnelle, stets an der Oberfläche bleibende Springen von einem Medium zur nächsten Attraktion gewöhnt. Dabei kann man sich als Persönlichkeit erst in der völligen Vertiefung und in der Anstrengung erfahren. Und man hebt einen Schatz an Fähigkeiten zur Konzentration und Aufmerksamkeit, den man auf vielen Feldern des Lebens nutzen kann“, sagt er.

Seit fast fünfundzwanzig Jahren arbeitet Oliver Kunkel nun an der Profession des Dirigierens, der Stimmbildung, dem Musikunterricht. Er hat neben Musik auch Sozialkunde und Geografie für das gymnasiale Lehramt studiert, liebt die Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Themenfeldern. Dann machte er sein Diplom als Chordirigent an der Musikhochschule Frankfurt, entwickelte mit seinem Haßfurter Kammerchor zwanzig Jahre ambitionierte Chorarbeit, profitierte von unzähligen Begegnungen mit Dirigenten, Gesangslehrern und Ensembles vom Schwedischen Rundfunkchor bis zu namhaften Barockorchestern als Dirigent oder Kursteilnehmer, lernte in Paris viel über szenische Kinderchorarbeit, findet seit Jahren professionell in die Geheimnisse der funktionalen Stimmbildung: „Nur wenn ich mich ständig selbst neu erfinde und dazulerne, habe ich das Gefühl, gut zu werden, gut sein kann man nie.“

Und da will auch noch die Musik des Orchesters geformt sein. Die aus ambitionierten Laien und professionellen Instrumentallehrern bestehende Streichergruppe trifft sich an vier Wochenenden in Zeil. Neben den Nummern, die den Chor begleiten, studieren sie zwei Finalsätze aus Mozart-Sinfonien als euphorische Zwischen-Kommentare zu dem Programm ein, das ja ganz der Musik des 20. Jahrhunderts gewidmet ist. Strichgeschwindigkeit und Schwung koordinieren, Bewegung synchronisieren, damit die Musik ansteckt, ist da die Hauptaufgabe. Und wenn es anfängt zu schwingen, wenn die Musik beginnt zu erzählen, dann taucht jene Sinnlichkeit auf, die Sänger und Musiker vereint, damit Musik nicht bewältigt, sondern erlebbar wird.

Die Bläser – volles Holz und volles Blech – sind allesamt professionelle Musiker: Musikschullehrer, Solist am Landestheater, freischaffender Musiker. Sie kommen mit detailliert ausgezeichnetem Notenmaterial ebenso dazu wie die Schlagzeuger, der Akkordeonist für den rechten Brel-Sound und die junge französische Harfenistin. Dann muss Kunkel die fast zweihundert Mitwirkenden in eineinhalb Tagen zum Konzert, zu Musik formen – immer schweißtreibend, immer anstrengend, immer aber auch faszinierend „wie eine Notlandung mit einem Jumbo-Jet“ meint der Dirigent.

Am Klavier stellt sich ein dreizehnjähriger Schüler einer wichtigen musikalischen Aufgabe des Abends: Jareeme Wilmore aus Schweinfurt hat soeben mit voller Punktzahl einen ersten Preis als Klavierbegleiter bei „Jugend musiziert“ auf Landesebene in München errungen. Er bezaubert das Zeiler Publikum sicher mit seiner für einen Teenager enormen Musikalität und seinem Einfühlungsvermögen im Ensemble. Ästhetisches i-Tüpfelchen ist wieder eine raffinierte Lichtchoreografie, die Oliver Kunkel mit der Steigerwälder Veranstaltungsfirma MAD abstimmt. Wenn es um die Bewältigung der akustischen Schwierigkeiten im Freien geht, vertraut er auf die Kompetenz von Soundhouse aus Haßfurt.

So hofft der gesamte musikalische Tross auf gutes Wetter am 19. Juli, wenn drei große Busse die Kinder aus Schweinfurt zur Begegnung mit großer Musik, einem tollen Ambiente und wunderbaren Musikern nach Zeil am Main führt. Falls schlechtes Wetter aber in die Halle am Tuchanger zwingt, ist auch keiner wirklich traurig, denn alle wissen, dass es dort einfacher wird, zusammen zu musizieren und dass die Lichtregie eine stimmige optische Atmosphäre zaubern wird.

Zeiler Classic-Open-Air

Das Konzert findet am Sonntag, 19. Juli, um 20.00 Uhr im Park am Finanzamt in Zeil statt, bei schlechter Witterung in der Halle am Tuchanger. Der Kartenvorverkauf ist in der Geschäftsstelle des HT in der Brückenstraße Haßfurt und im Blumenladen am Marktplatz Zeil.

200 Mitwirkende – Kinder und Erwachsene, Laien und Profis, Sänger und Instrumentalisten – beim Classic-Open-Air am Finanzamt in Zeil.
Foto: Privat | 200 Mitwirkende – Kinder und Erwachsene, Laien und Profis, Sänger und Instrumentalisten – beim Classic-Open-Air am Finanzamt in Zeil.
Die Kinder bei szenischer Darstellung, die Oliver Kunkel sehr wichtig ist.
| Die Kinder bei szenischer Darstellung, die Oliver Kunkel sehr wichtig ist.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Haßfurt
Chordirigenten
Dirigenten
Finanzämter
John Rutter
Ludwig van Beethoven
Militärischer Abschirmdienst
Musikunterricht
Philip Glass
Wolfgang Amadeus Mozart
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top