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HASSFURT
Ein Zuhause auf Zeit
Kinder- und Jugendwohnhaus Haßfurt: Normalität und Geborgenheit für Kinder und Jugendliche
Von unserem Redaktionsmitglied Carolin Münzel
 |  aktualisiert: 22.12.2015 14:42 Uhr

Kinder- und Jugendwohnhaus Haßfurt steht auf einem schlichten weißen Schild, das neben der Eingangstür eines zweistöckigen Gebäudes irgendwo im Haßfurter Industriegebiet an der Wand hängt. Im grau gefliesten Treppenaufgang zeugen selbst gemalte Bilder, die Bart Simpson als Judo-Kämpfer, Natur- oder Alltagsszenen zeigen, von der kreativen Seite der Bewohner. Vor der Wohnungstür im zweiten Stock steht ein Holzregal, in dem laut Namensschildern Platz für die Schuhe von Lorenz, Nico, Nathan, Maximilian, David und Karl ist. Gerade als ich an der Tür klopfen will, wird sie von innen geöffnet und der elfjährige Lorenz kommt mit zwei Müllbeuteln in der Hand heraus. Seine braunen Augen blitzen und mit einem schelmischen Lausbubengrinsen schmettert er mir ein fröhliches „Hallo“ entgegen, bevor er die Stufen hinunter flitzt, um den Müll zu entsorgen.

„Jeder Jugendliche hat eine feste Aufgabe, die er erfüllen muss. Sei es den Müll runter bringen, das Bad putzen oder die Pflanzen gießen“, erklärt Erzieherin Sandra Karch, die die Jungengruppe im Kinder- und Jugendwohnhaus leitet. Die Jungs sind der zierlichen, blonden Frau ans Herz gewachsen und sie möchte nicht, dass sie als Heimkinder gebrandmarkt sind. Lachend erinnert sie sich daran, wie einer ihrer Schützlinge mal seine Schulklasse mitgebracht hat, um zu zeigen, dass er alles andere als im Heim lebt: „Die waren alle so begeistert, dass sie am liebsten auch hier eingezogen wären.“

Tatsächlich entspricht der Alltag in der gemütlichen Wohnung nicht dem Klischee vom tristen Heimleben. Ich bekomme vielmehr den Eindruck in einer liebenswerten Großfamilie zu Gast zu sein. Jeder der Jungs hat ein eigenes Zimmer, im Wohnraum steht eine große Blaue Couch und durch die großen Fenster strömt genug Licht, um für eine helle und freundliche Atmosphäre zu sorgen. Neben der geräumigen Küche, in der die Jugendlichen am Wochenende das Essen mit den Betreuern zubereiten, gibt es einen Essbereich mit einem großen Holztisch. An den Wänden hängen selbst gestaltete Collagen mit Regeln für den Umgang miteinander. Erzieher Matthias Fischer steht in der Küche und schneidet Äpfel, Kiwis und Nektarinen in mundgerechte Stücke. Er richtet das Obst auf einem Porzellanteller an, den er neben den Wasserflaschen und Safttüten auf den Tisch stellt. Schnell sind alle anwesenden Jungs versammelt. Während der zwölfjährige Nico eifrig eine Kiwi löffelt und Lorenz genüsslich an einem Stück Apfel knabbert, erzählen Sandra Karch und Matthias Fischer aus ihrem Alltag mit den Kindern und Jugendlichen.

Im Wohnhaus in Haßfurt gibt es eine Mädchen- und eine Jungengruppe, die jeweils sechs Kinder und Jugendliche von elf bis 21 Jahren umfasst. „Wir suchen uns genau aus, wen wir aufnehmen“, meint Karch und verweist darauf, dass es sich um eine heilpädagogische, nicht um eine therapeutische Einrichtung handelt. In Haßfurt sind also keine drogensüchtigen, gewaltbereiten oder therapiebedürftigen Jugendlichen untergebracht. „Wir haben hier die leichteren Fälle“, meint Karch. Aus diesem Grund könne man auch mit weniger strikten Regeln auskommen. Anhand eines fünfstufigen Plans können sich die Jungen verschiedene Freiheiten erarbeiten. Die Rechnung ist einfach: Je besser sie sich betragen, desto mehr dürfen sie. Um beispielsweise von Stufe 2 auf Stufe 3 zu gelangen, müssen sie alle Anweisungen und Absprachen einhalten und ein konfliktfreies Verhalten an den Tag legen. Haben sie die Stufe 3 erreicht, dürfen sie täglich eine Stunde alleine vor die Tür, wenn sie Zeit, Ziel und Zweck ihres Ausganges angeben. Außerdem ist dann eine Stunde am Computer und mit dem Handy erlaubt. „Alle zwei Wochen schauen wir uns im Team die Fortschritte jedes Einzelnen an und diskutieren dann, ob er eine Stufe höher rückt“, erklärt Karch.

Während unseres Gesprächs am Esszimmertisch sind die Jungs unruhig geworden und beraten darüber, wie sie ihren Nachmittag gestalten. Nico und Erzieher Matthias verdrücken sich in den Garten, um eine Runde Basketball zu spielen. „Du musst dir noch die Bilder von meinem Streitschlichterseminar anschauen“, ruft David und zieht sich mit Sandra Karch zurück ins Büro an den Computer. Bei ihnen ist Max, der die Gelegenheit nutzt den beiden im Internet Bilder von dem Hundewelpen zu zeigen, den er von seinen Eltern bekommt. Ende Juli ist die Zeit in Haßfurt für den 14-Jährigen nach fast zwei Jahren vorbei. Er freut sich auf zuhause, auch wenn er sich, wie er sagt, im Kinder- und Jugendwohnhaus wohlgefühlt hat.

„Man merkt, wenn einer von den Jungs nicht da ist. Dann fehlt was“, meint Sandra Karch, der ihre Schützlinge während der gemeinsamen Zeit ans Herz wachsen. Die Familie ersetzen, das will und kann das Kinder- und Jugendwohnhaus nicht – aber es bietet einen Platz zum Wohlfühlen, einen strukturierten Alltag und die Chance, Normalität zu lernen.

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