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HOFHEIM
Ein Wegbereiter der Christuskirche
Zum Jubiläum des Gotteshauses erinnert die evangelische Kirchengemeinde Hofheim-Lendershausen-Eichelsdorf an ihren früheren Pfarrer.
Von unserer Mitarbeiterin Gudrun Klopf
 |  aktualisiert: 19.02.2015 15:57 Uhr

Das Jahr 2015 steht bei der Evangelischen Kirchengemeinde Hofheim-Lendershausen-Eichelsdorf ganz im Zeichen eines Kirchenjubiläums. Unter dem Motto „50 Jahre Christuskirche“ wird der Geburtstag des Gotteshauses mit verschiedenen Veranstaltungen gefeiert.

Im Kirchenboten vom Dezember 1965 spricht die Kirchengemeinde Hofheim Pfarrer Benjamin Wildermuth besonderen Dank aus, „ist er doch der Wegbereiter für unseren Kirchenneubau gewesen“.

Bei einem Seniorennachmittag im evangelischen Gemeindehaus in Hofheim erinnerte Hans-Hermann Dressel jetzt in einem Vortrag an den ehemaligen Hofheimer Pfarrer. Einblicke in die bewegte Vita von Benjamin Wildermuth gewährt ein von ihm im Jahr 1968 selbst verfasster Lebenslauf.

Zusammen mit vielen Tausenden von Auswanderern hatte auch Wildermuths Urgroßvater Jakob Friedrich Wildermuth mit seiner Familie Deutschland verlassen, um in dem „gelobten Land“ Bessarabien eine neue Heimat zu finden. Das ehemalige Bessarabien liegt zum größten Teil im heutigen Moldawien, der restliche Teil in der Ukraine. Damals lockte der russische Zar Alexander I. zur Kolonisierung des dünn besiedelten Landstriches zwischen dem Schwarzen Meer und den Flüssen Pruth und Dnjester Siedler an. Etwa 9000 Deutsche folgten zwischen 1814 und 1842 den Verheißungen eines besseren Lebens.

Doch trotz gewährter Privilegien erschwerten Krankheiten und Plagen die Niederlassung der deutschen Siedler. Wie bei allen Auswanderern habe sich das Sprichwort bewahrheitet: „Die erste Generation hatte den Tod, die zweite die Not und die dritte erst das Brot“, ist in Wildermuths Aufzeichnungen zu lesen.

Benjamin Wildermuth wurde am 24. November 1903 als fünftes Kind von Jakob und Pauline Wildermuth in der deutschen Gemeinde Marijewka im nördlichen Bessarabien geboren. 1910 übersiedelte die Familie in die neu gegründete Gemeinde Neu-Nikolaijewka, wo sich Jakob Wildermuth eine eigene Mühle mit Dampfbetrieb baute. Im Laufe der Jahre erweiterte er diese zu einer modernen Großmühle mit Walzen- und Motorbetrieb. „So brachte es mein Vater nach dem Ersten Weltkrieg, als Bessarabien Rumänien angeschlossen wurde, bald zu einem ansehnlichen Wohlstand“, schreibt Wildermuth. Damit konnte der Vater drei seiner fünf Söhne und den vier Töchtern eine höhere Ausbildung angedeihen lassen.

Griff zur Bibel aus Enttäuschung

Nach dem Besuch des deutsch-evangelischen Knabengymnasiums in Tarutino strebte Benjamin Wildermuth ein Studium an der Technischen Hochschule in Wien an. Nach zahlreichen Hürden erhielt der junge Wildermuth endlich seinen Auslandspass und trat seine erste Reise nach Wien an. Sehr enttäuscht sei er von den großen Schwierigkeiten, die man einem Auslandsdeutschen bei der Aufnahme an der Technischen Hochschule bereitete, gewesen. „In meiner großen Verzweiflung griff ich eines abends nach der kleinen Taschenbibel, die mir meine Mutter mitgab“, beschreibt Wildermuth seine Lage. Sie habe ihn auf den Weg zu einem zunächst nicht beabsichtigten Studium geführt.

An der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien habe er sich heimisch und geborgen gefühlt. Er holte die beiden Fremdsprachen Griechisch und Hebräisch nach und legte im Juli 1930 seine Prüfung als Theologe ab.

Zusammen mit seiner Ehefrau, der Wienerin Wilhelmine Schedl, kehrte Wildermuth in seine Heimat Bessarabien zurück, wo er zunächst als Vikar der Kirchengemeinde Kischenew tätig wurde.

Umsiedlung

Dem Militärdienst entging der frisch gebackene Theologe durch eine vorzeitige Ordination. Die folgenden zehn Jahre wirkte Wildermuth als Pfarrer in der Dobrudscha, einem benachbarten Gebiet von Bessarabien.

Mit der im Hitler-Stalin-Pakt vereinbarten Duldung durch das Deutsche Reich besetzte die Sowjetunion im Juni 1940 das zu Rumänien gehörende Territorium Bessarabiens. Unter dem Motto „Heim ins Reich“ siedelten rund 93 000 Bessarabiendeutsche ins Deutsche Reich um. Darunter auch Benjamin Wildermuth, der zusammen mit seiner Frau und seiner damals achtjährigen Tochter Ingeborg im November 1940 in das Umsiedlerlager nach Kleinheubach bei Miltenberg am Main kam. „Wir waren damals alle froh und Gott dankbar, dem vorauszuahnenden Kriegsunheil entronnen zu sein“, schreibt Wildermuth.

Nach der Einbürgerung der Familie übernahm Wildermuth ab Juli 1943 eine Pfarrstelle in Großwollental bei Dirschau, im damaligen Reichsgau Westpreußen gelegen. „Doch diese ersprießliche und segensreiche Tätigkeit währte nicht sehr lange“, bedauert der Pfarrer in seinem Lebenslauf. Zunächst suchten viele Flüchtlinge aus Ostpreußen und den Ostgebieten Unterkunft in der Gemeinde, „so dass zuletzt auch das Pfarrhaus bis auf den letzten Winkel in Hof und Haus belegt war.“

Mit Ankunft der deutschen Wehrmacht stand der Familie die eigene Flucht bevor. „Am 28. Januar 1945 mussten wir schweren Herzens alles erworbene Hab und Gut zum zweiten Male zurücklassen.“ Immer weiter trieben die Kriegswirren die Familie, bis sie schließlich am 21. Februar um Mitternacht auf dem Bahnhof in Bad Kissingen ankam. Ein Sanitätswagen brachte die hochschwangere Wilhelmine in ein Entbindungsheim, wo ein Tag später Sohn Heinz-Dieter zur Welt kam.

Ganz fremde Umgebung

Nach vielen Beschwernissen kam die Familie schließlich im ehemaligen Umsiedlerlager in Kleinheubach an. Doch auch dort gab es kein Bleiben. Immer wieder mussten sie als deutsche Flüchtlinge eine gefundene Unterkunft auf Befehl der Besatzungsmacht räumen. Benjamin Wildermuth betreute zunächst deutsche Soldaten in Gefangenenlagern, bis er schließlich von der Landeskirche über Pfarrstellen in Hofstetten und Amorbach die freigewordene Pfarrstelle in Lendershausen zugewiesen bekam. „Nur mit schwerem Herzen nahmen wir am 15. Oktober 1948 von der Gemeinde in Amorbach Abschied“, schreibt der Pfarrer, „und kamen in eine für uns ganz fremde Umgebung.“

Groß und vielfältig seien die Aufgaben gewesen, die auf ihn zukamen, schildert Wildermuth: Von der Renovierung der Lendershäuser Kirche über den Neubau eines Kindergartens bis hin zu Umbauarbeiten am Pfarrhaus. Durch den Zuzug von vielen evangelischen Gläubigen in der Stadtgemeinde Hofheim wurde der Ruf nach einer selbstständigen Kirchengemeinde und einem eigenen Gotteshaus in Hofheim immer drängender.

Kirchenbauverein

Auf Initiative von Pfarrer Wildermuth wurde am 11. Juli 1955 der „Evangelische Kirchenbauverein“ in Hofheim gegründet, der unermüdlich auf den Bau einer Kirche hinarbeitete. Doch bis zur Grundsteinlegung der Christuskirche vergingen noch etliche Jahre. Am 24. Juni 1963 war es schließlich soweit, und am 10. Oktober 1964 feierte man Richtfest. Aus gesundheitlichen Gründen musste Wildermuth die Überwachung und Leitung des Neubaues an seinen Amtskollegen aus Manau, Pfarrer Tuve Schmiedeberg übergeben. „Gott, dem Allmächtigen, konnten wir danken, dass der Bau ohne Unfall und Gefahr vollendet wurde“, schreibt Wildermuth.

Den Einweihungsgottesdienst am 3. Adventsonntag 1965 zelebrierte bereits sein Nachfolger Pfarrer Friedrich Herold. Benjamin Wildermuth war am 1. August 1965 in den vorzeitigen Ruhestand getreten, den er mit seiner Familie in Steinberg (Hessen) verbrachte. Am 26. Dezember 1979 starb Benjamin Wildermuth im Alter von 76 Jahren.

Abschied von Lendershausen: Der damalige Bürgermeister Willi Moritz (rechts) verabschiedet sich von Pfarrer Benjamin Wildermuth.FOTO: Wildermuth
| Abschied von Lendershausen: Der damalige Bürgermeister Willi Moritz (rechts) verabschiedet sich von Pfarrer Benjamin Wildermuth.FOTO: Wildermuth
 
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