Kritiker regenerativer Energien bringen gegen die Nutzung von Windkraft und Solarenergie gerne ein zentrales Argument vor: Da es – zumindest in unseren Breiten – weder konstante Winde noch garantierten Sonnenschein gibt, sei eine verlässliche Stromversorgung über Wind- und Solarparks nicht möglich. Für Norbert Zösch und Nils Müller ist das Geschwätz von gestern. Die beiden Geschäftsführer der Windgas Haßfurt GmbH & Co. KG feierten am Freitag mit 130 Gästen in der Stadthalle und vor Ort die offizielle Inbetriebnahme der bayernweit ersten Power-to-Gas-Anlage im Mainhafen als „Meilenstein für das Gelingen der Energiewende.“
Denn die mit einem 1,25-Megawatt-Elektrolyseur der Firma Siemens ausgestattete Anlage setzt genau dort ein, wo es bisher die heftigste Kritik an der Windenergie gab: Dass nämlich die Windräder abgeschaltet werden mussten, wenn sie zu viel Strom produzierten und umgekehrt keinen Beitrag zur Stromversorgung leisten, wenn Flaute ist. Damit ist in Haßfurt jetzt Schluss: Die Power-to-Gas-Anlage, die vom Bürgerwindpark im Sailershäuser Wald, und von den drei Windkraftanlagen bei Buch und Bayerhof (sowie einigen Solaranlagen) versorgt wird, nutzt die überschüssige Energie, um Wasser in Wasserstoff („Windgas“) und Sauerstoff zu spalten. Der Wasserstoff wird als klimaneutrales Gas ins allgemeine Gasnetz eingespeist und der Verbrennung in Haushalten, Gewerbe und Industrie zugeführt.
Pro Jahr werde der containergroße Elektrolyseur eine Million Kilowattstunden des Öko-Gases für 14 000 Pro-Windgas-Kunden von Greenpeace Energy“ liefern, erklärte Nils Müller, der im Vorstand von Greenpeace Energy (Hamburg) sitzt. Die Windgas Haßfurt ist ein Joint Venture der Energiegenossenschaft mit dem Stadtwerk Haßfurt unter seinem Leiter Norbert Zösch. Zu den Abnehmern der Anlage gehört die benachbarte Mälzerei, die das Windgas dem Erdgas beimischt, mit dem sie ihr Blockheizkraftwerk befeuert. Pro-Windgas-Kunden zahlen einen Aufschlag von 0,4 Cent „für den saubersten Strom der Welt“, so Müller; Geschäftspartner Zösch erklärte, dass sich durch den im Geldbeutel kaum spürbaren Mehrbetrag die Investition in die zwei Millionen Euro teure Anlage refinanzieren soll.
Gesteuert wird die Windgasanlage von Köln aus. Sie ist die erste Power-to-Gas-Anlage unter rund 3000 dezentralen Kraftwerken – Biogasanlagen, Windräder, Solarparks, Blockheizkraftwerke, Wasserkraftanlagen etc. – die die „Next Kraftwerke GmbH“ zu einem großen virtuellen Kraftwerk zusammengefasst hat. „Damit können wir als Großkraftwerk auftreten“, sagte Dr. Jochen Tackenberg von Next Kraftwerke selbstbewusst. Und er erklärte auch, was den besonderen Reiz des jüngsten Zuwachses ausmacht: In gerade einmal 20 Sekunden lasse sich die Power-to-Gas-Anlage von Null auf Volllast hochfahren und umgekehrt von Volllast auf Null. Läuft die Anlage bereits, dann könne der Elektrolyseur binnen Millisekunden auf Schwankungen im Stromnetz reagieren. „Das ist ideal für die Netzstabilität“, verkündete Müller – für diesen Beitrag zur Stabilisierung bekommen die Next Kraftwerke und die Windgas Haßfurt Geld von den großen Stromnetzbetreibern, wie Norbert Zösch dem HT verriet.
Allerdings habe die Politik bislang gezögert, Windgas die nötige Unterstützung zu gewähren, bemängelte Zösch. Und das, obwohl Studien zeigten, „dass Windgas nicht nur im Strombereich unverzichtbar ist, sondern zudem als einzige Technologie die nötigen Kapazitäten bietet, um in Zukunft auch im Verkehrssektor, in der Wärmeversorgung oder in der Chemieindustrie die CO2-Emissionen drastisch zu senken.“ Allerdings sieht Zösch Anzeichen für ein Umdenken in der Politik.
Viel zu langsam geht die gesamte Power-to-Gas-Entwicklung auch Professor Johannes Paulus, Dekan der Fakultät Maschinenbau an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt. „Die Technik ist längst da, aber es ist bisher viel zu wenig geschehen“, sagte der Hochschullehrer, der bereits 2004 mit seinen Studenten die erste funktionierende Elektrolyse-Anlage gebaut hatte und auch maßgeblich am Haßfurter Projekt beteiligt ist. In seinem Grußwort hielt sich der Ingenieur aber nicht mit technischen Details auf: Er appellierte vielmehr an die westlichen Gesellschaften, ihrer Verantwortung für die Menschheit gerecht zu werden. Es seien vor allem die Industrienationen, die durch die Emissionen klimarelevanter Gase das Weltklima veränderten – aber von den negativen Auswirkungen weitgehend verschont blieben. „Wir sind deshalb in der Pflicht, die Folgen unseres Lebens auf andere Menschen zu reduzieren“, forderte Paulus einen konsequenteren Klimaschutz.
In diesem Sinne ist die Haßfurter Power-to-Gas-Anlage ein bescheidener, wenngleich wichtiger Schritt, befanden auch Kreisstadtbürgermeister Günther Werner und Landrat Wilhelm Schneider. „Wir übernehmen hier gerne eine Vorreiterrolle“, war sich Werner bewusst, dass sein kleines Haßfurt weltweite Pionierarbeit leistet. Landrat Schneider gratulierte den Verantwortlichen zu dieser „mutigen Entscheidung“. Die aktuellen Entwicklungen zeigten die Probleme bei der Umsetzung von Projekten für erneuerbare Energien nur allzu deutlich auf, meinte der Kreischef mit Blick auf die beiden geplatzten Windparks bei Lichtenstein und Kirchlauter. „Deswegen ist es umso wichtiger, dass das Stadtwerk Haßfurt erneut Vorreiter ist und zusammen mit Greenpeace Energy ein Zeichen im Bereich erneuerbarer Energien setzt“ – hob der Landrat hervor.
Pionier will die Windgas Haßfurt in jedem Fall bleiben: Gedanklich sind Norbert Zösch, Nils Müller und Prof. Markus Brautsch von der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden schon längst weiter. Sie kündigten an, innerhalb von drei Jahren ein Blockheizkraftwerk zu entwickeln – und zwar für die Mälzerei Weyermann – das ausschließlich Wasserstoff „verbrennt“. Das wäre ein immenser Fortschritt, weil der klimaneutrale Wasserstoff dem Erdgas bis dato nur beigemengt wird, die Verbrennung von Erdgas selbst aber klimarelevant ist. Ingenieur Brautsch und seine Mitstreiter wollen die Elektrolyse, sprich die Spaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff, umkehren– über Brennstoffzellen. Das Prinzip ist längst bekannt, „aber bislang ist es in so großem Maßstab nicht möglich“, wie der Professor erklärte. „Für uns ist das ein ganz herausragendes Forschungsprojekt“, freute sich der Hochschullehrer auf drei spannende Jahre mit einem „großen ausgelagerten Labor.“
Norbert Zöschs Gedanken bleiben auch hier nicht stehen: Er stellt sich vor, dass eines Tages seine Power-to-Gas-Anlage auch Tankstelle für wasserstoffbetriebene Fahrzeuge ist – und dass durch die Gasleitungen seiner Stadt nur noch Wasserstoff strömt.