„Die haben mich mit Beruhigungstabletten vollgestopft, schon in der Früh gab's starke Schlafmittel, so dass ich nur noch ruhiggestellt im Bett vor mich hinvegetiert bin. Die haben mein Leben kaputt gemacht.“ Erstmals äußert sich ein Heimbewohner, der über zwei Jahre bis in die jüngere Vergangenheit in der Seniorenresidenz in Gleusdorf, einem Ortsteil von Untermerzbach (Lkr. Haßberge) gelebt hat und dort seinen Lebensabend verbringen wollte, über das Martyrium, das er erlebt hat.
Der Augenzeuge – ein Mitsechziger, der unter Depressionen litt – berichtet von schlimmen Zuständen und bricht während seiner Schilderungen immer wieder in Tränen aus. Seine Stimme überschlägt sich, und es fällt ihm schwer, seine Gedanken zu sortieren.
„Während der zweieinhalb Jahre im Schloss habe ich den Doktor, der die vielen Rezepte für mich ausgestellt hat, nur einmal gesehen. Da kam er zu einer Blutabnahme.“ Ein Neurologe sei nie aufgetaucht. Dennoch wurden „Beruhigungshämmer“ verabreicht – vier Mal am Tag. Die Namen der Medikamente kann unserer Informant wie aus der Pistole geschossen aufzählen. Die Richtigkeit seiner Angaben lässt sich nach Auskunft eines Apothekers aus der Region nachprüfen, weil es in München eine Stelle gibt, wo alle Rezepte – patientenbezogen – aufbewahrt werden.
Der einstige Heimbewohner, der im Landkreis Coburg lebt und von Verwandten aus dem Heim geholt worden war, wozu auch der Einsatz eines Rechtsanwalts notwendig gewesen war, berichtet weiter von unzureichenden Essensmengen, auch habe es verschimmelten Joghurt gegeben. „Nur einmal in der Woche gab es Fleisch, und die Scheibe war so dünn, dass man durchschauen konnte. Ansonsten gab es nur Grießbrei mit Zucker und Zimt. Ohne meine Verwandten wäre ich verhungert.“
Ein Betreuer einer Heimbewohnerin aus dem Kreis Bamberg ergänzt, dass die Briefe seiner Tante stets geöffnet worden waren. „Als ich mich im Sekretariat über den Verstoß gegen das Postgeheimnis beschwerte, hieß es, das sei so angeordnet.“
"Sozialhilfeempfänger bekommen kein Taschengeld"
Obwohl „von Bayreuth aus ein Einzelzimmer bezahlt wurde“, berichtet eine Zeugin, erfolgte die Verlegung in ein Zwei-Bett-Zimmer. „Und auch mein Taschengeld wurde mir nie ausbezahlt“, womit wohl die 80 Euro im Monat von der Sozialhilfe gemeint sein dürften. Laut Heimleiter bekämen Sozialhilfeempfänger aber kein Taschengeld.
Seitens des Bezirks Oberfranken erklärte dazu der Sprecher von Bezirkstagspräsident Günther Denzler, dass „uns in Oberfranken die Berichte schockiert und betroffen gemacht haben“. Der Bezirk Unterfranken hat noch keine weiteren Schritte veranlasst und warte das Ergebnis der Ermittlungen ab, teilte Sprecher Markus Mauritz in Würzburg mit.
Die Bezirke übernehmen die Heimkosten bei Menschen, die sich eine Unterbringung nicht leisten können. Wie wenig betucht manche Heimbewohner waren, lässt sich an der Tatsache ablesen, dass die Gemeinde Untermerzbach seit 2010 sechs Sozialbestattungen übernommen hat. Weil sich niemand fand, der eine Beerdigung bezahlt hätte, musste die Kommune einspringen.
Auch wenn Schloss Gleusdorf im östlichen Winkel von Unterfranken liegt – die Bezirksgrenze verläuft in rund 100 Meter Entfernung – erstrecken sich die Ermittlungen „immer mehr in Richtung Oberfranken“, ließ ein Ermittler wissen.
So sind neben der federführenden Schweinfurter Kriminalpolizei Kollegen in Bamberg und Coburg intensiv mit Vernehmungen beschäftigt.
Seit der Hausdurchsuchung im November sind nach Informationen dieser Redaktion im Pflegeheim Gleusdorf zwei Bewohner verstorben, eine Frau ist ausgezogen. Zwei kamen ins Krankenhaus nach Ebern, einer ins Bezirksklinikum nach Werneck. Aus dem Landratsamt in Haßfurt kam trotz einer Anfrage vor einer Woche bislang keine Bestätigung dieser Angaben.
Aktuell sucht die Arbeitsagentur für die Seniorenresidenz zwei Altenpfleger, einen Ergotherapeuten (alle ab sofort), sowie einen Auszubildenden ab 1. September. Sie ergänzen ein Team, das sich zum Teil aus Kräften zusammensetzt, die schon viele Jahre dort arbeiten, während andere aus Ländern der slawischen Sprachenfamilie stammen.
Der Fall Gleusdorf
Seit Mitte August ermitteln Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei aufgrund zweier Anzeigen über Unregelmäßigkeiten in der Seniorenresidenz Schloss Gleusdorf, die an der Grenze von Unter- zu Oberfranken liegt. Am 24. November erfolgten deswegen Hausdurchsuchungen in dieser geschlossenen Einrichtung und neun weiteren Objekten sowie die Festnahme der Geschäftsführerin und des Pflegedienstleiters unter anderem wegen Verdachts auf Totschlag durch Unterlassung.
Während die Geschäftsführerin aktuell in Untersuchungshaft sitzt, befindet sich der Pflegedienstleiter unter Auflagen wieder auf freiem Fuß. Er darf die Seniorenresidenz nicht betreten, muss sich regelmäßig bei der Polizei melden und darf zu bestimmten Personen keinen Kontakt aufnehmen. Er trifft sich aber regelmäßig mit einer aus Slowenien stammenden Pflegekraft, die noch im Heim arbeitet, wie Augenzeugen berichten.
Zwölf Todesfälle unter mysteriösen Umständen seit 2005 haben unterschiedliche Ex-Pfleger aus dem Heim dieser Redaktion inzwischen geschildert. Die Mediengruppe Oberfranken, zu der die Bamberger Zeitung „Fränkischer Tag“ gehört, hatte zu dem Thema kürzlich eine Podiumsdiskussion in Bamberg veranstaltet. Dabei brachten Angehörige von ehemaligen Heimbewohnern weitere Vorwürfe vor und belegten sie zum Teil mit Fotos. FT/Geha
Ein Skandal!!!!