
Schinkenbraten, böhmische Knödel und Wirsing stehen heute auf dem Speiseplan. Die drei Frauen haben alle Hände voll zu tun, um das Essen pünktlich auf den Tisch zu bringen. Einkaufen, Wirsing putzen, Knödelteig kneten und den Tisch liebevoll decken. Eng geht es zu in der kleinen Küchenecke. Da bilden sich rasch Schweißperlen auf der Stirn. Deshalb ist die Freude darüber groß, dass heute Nils mit Hand anlegt. „Wenn er unseren Laufburschen macht, muss ich nicht so viel springen“, lobt Erna Kaiser ihren 14-jährigen Enkel.
Seit fast zwei Jahren kochen Erna Kaiser, Erna Heusinger und Ingrid Mees in der Mehrgenerationenwerkstatt Aidhausen (Lkr. Haßberge). Mitessen kann jeder, der sich spätestens einen Tag zuvor im „Aidhäuser Dorflädle“ angemeldet hat. „Die Idee hatten wir im Beirat schon beim Bau des Hauses ins Auge gefasst“, sagt Bürgermeister Dieter Möhring, Geschäftsführer der Einrichtung. Zunächst überlegte man, Essen für Schulkinder anzubieten. Doch es stellte sich heraus, dass der Bedarf eher bei älteren Menschen bestand.
„Würdest du dir das zutrauen?“, fragte Alfred Kaiser, Mitglied im Mehrgenerationenbeirat, seine Mutter Erna. „Ich bin gewohnt, für viele zu kochen und war begeistert von der Idee“, erinnert sich die rüstige Seniorin. Zur Unterstützung holte sich Erna Kaiser ihre Schwägerin Ingrid Mees. „Erna sagte zu mir, ,da hilfst du mit‘ – und schon war ich dabei.“ Die Dritte im Bunde, Erna Heusinger, war nicht so leicht zu überzeugen. „Erst wollte ich nicht“, gibt sie zu, „aber dann dachte ich: ,ich muss ja auch mal etwas Gutes tun‘.“
Neben dem Alter – alle drei sind 78 Jahre alt – haben sie noch etwas gemeinsam: Alle drei Frauen haben 2014 einen nahestehenden Menschen verloren. Erna Kaiser und Erna Heusinger ihren Mann und Ingrid Mees ihren Sohn. „Wenn jemand stirbt, zieht sich der Hinterbliebene oft zurück“, weiß Erna Kaiser. Das sei gar nicht gut, „man muss raus und unter die Leute gehen“. So ist das Kochen gleichzeitig Hilfe für andere und Selbsthilfe. „Wenn wir hier kochen, dann tut uns nichts mehr weh“, lacht Erna Heusinger. „Das ist, wie wenn man raus aus dem Alltag und in eine andere Welt kommt“.
Die Lebensmittel kauft Erna Kaiser einen Stock tiefer im „Aidhäuser Dorflädle“ ein. Saisonale und regionale Produkte bestimmen den Speiseplan. Ohne großes Schleppen fährt sie mit dem gefüllten Einkaufskorb auf Rädern in den ersten Stock. Gibt es Fleisch, wird es vom Metzger des Dorfladens nach Wunsch fertig zubereitet geliefert. Ein leckerer Nachtisch darf selbstverständlich auch nicht fehlen.
Nach und nach treffen die Gäste, darunter viele Stammesser, ein. Nach einem kurzen Gebet bekommt jeder das Essen an seinen Platz serviert. „Oberkellner“ Nils macht es sichtlich Spaß, die älteren Herrschaften zu bedienen. Er ist begeistert von dem Projekt und hilft in seinen Ferien gerne mit: „Es hat einfach jeder was davon. Die drei Frauen haben was zu tun und die Gäste können in Gesellschaft mit anderen essen.“ Die Reste der überaus reichlichen Portionen werden in mitgebrachte Plastikdosen verstaut. „Da haben wir am nächsten Tag was zum Wärmen.“
Oft zahlen die Gäste nicht nur die 7,50 Euro für ihr Essen. Das Trinkgeld spenden die drei Köchinnen dem Dorfladen. Ihnen selbst sind die leeren Teller und das Lob der Esser Lohn genug.
Der große Zuspruch belegt den Bedarf. Die durchschnittliche Zahl von anfangs 15 Mitessern hat sich inzwischen verdoppelt. Meist sind es alleinstehende, ältere Frauen, deren Männer bereits verstorben sind. Sie kämen nicht etwa, weil sie zu faul zum Kochen seien, stellen einige von ihnen klar. „Ich koche eigentlich gerne“, sagt eine Dame, „aber es geht ums Fortgehen.“ Andere stimmen ihr zu: „Wir kommen, um Kontakt zu haben und um uns zu unterhalten.“
Die Gäste kommen nicht nur aus Aidhausen, sondern auch aus den umliegenden Ortschaften. „Das ist hier wie in einer Familie“, sagt Walter Haas aus Lendershausen, der mit seinen 91 Jahren der älteste Gast ist. „In der Gemeinschaft schmeckt es einfach viel besser.“ Für viele Besucher ist es „das Highlight der Woche, weil es allein zu Hause einfach nicht schmeckt.“
Als alle satt sind, entwickeln sich rege Gespräche. Es geht um große Politik – man sorgt sich um die Entwicklung des Konfliktes zwischen Trump und Kim Jong Un. Aber man sorgt sich ebenso um andere Dorfbewohner, die man schon länger nicht gesehen hat, erkundigt sich nach dem Wohlergehen der anderen und tauscht Neuigkeiten aus. Die Verabschiedung ist herzlich. Man umarmt sich: „Mach's gut, bis nächste Woche.“
Einig sind sich alle: Das könnte es auch in anderen Ortschaften geben. Möglichkeiten dazu gäbe es in Mehrgenerationenhäusern sowie Pfarr- und Gemeindesälen reichlich.