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MAIN-RHÖN
Drei dramatische Minuten
Spurensuche: Vor 72 Jahren wurde Bernardo Yorba als Pilot eines US-Bombers am 14. Oktober 1943 über Schweinfurt abgeschossen. Jetzt besuchte sein Sohn die Schauplätze der Ereignisse jenes schicksalträchtigen Tages in Sennfeld, Hausen und Schweinfurt.
Drei dramatische Minuten
Norbert Vollmann
Norbert Vollmann
 |  aktualisiert: 08.10.2015 13:49 Uhr

Es sind ergreifende Momente an diesem Tag für Tony Yorba auf seiner Reise in die Vergangenheit. Sein Vater war als Pilot eines B17-Bombers beim Angriff der amerikanischen Luftwaffe am 14. Oktober 1943 über Schweinfurt abgeschossen worden. Jetzt steht der Sohn, der mit seiner Frau aus Alaska nach Deutschland gekommen ist, an der Stelle bei Bad Sennfeld, an der Bernardo Yorba nach der Landung mit dem Fallschirm in einem Weizenfeld versucht hatte, sich im nahen Wassergraben zu verstecken. Tony Yorba wird in diesem Augenblick sichtlich von den Gefühlen übermannt.

Ein deutscher Offizier hat den gerade einmal 22 Jahre alten Bernardo Yorba hier vor 72 Jahren aufgegriffen, den verängstigten Piloten vor der aufgebrachten Bevölkerung beschützt und zunächst mit in seine Wohnung in Bad Sennfeld genommen. Kurze Zeit später wird der Amerikaner von den Deutschen abgeholt und mit den anderen Gefangenen im Zug von Schweinfurt in das für Mitglieder von alliierten Flugzeugbesatzungen in Oberursel bei Frankfurt eingerichtete Verhörzentrum gebracht. Von hier führt ihn der Weg ins deutsche Kriegsgefangenenlager im niederschlesischen Sagan.

Tony Yorba erinnert sich in diesem Moment, in dem er hier in den Mainauen bei Sennfeld steht, dass sein Vater und damit letztendlich auch er ihr Leben diesem Wehrmachtsoffizier verdanken. Tony Yorba wäre sonst nicht geboren worden. Und niemand weiß besser als Yorba, an welchem hauchdünnen Faden das Leben seines Vaters an diesem Tag gehangen hat. Drei Minuten oder gerade einmal 180 Sekunden entscheiden an Bord über Leben und Tod.

Um 14.39 Uhr taucht die von Bernardo Yorba gesteuerte „Fliegende Festung“ (Flying fortress), wie der B17-Bomber bezeichnet wird, mit der Angriffsspitze über den Schweinfurter Kugellagerfabriken auf, dem Angriffsziel an diesem herrlichen Spätsommertag. Eine von der Flak am Boden abgefeuerte Granate erschüttert das Flugzeug wenig später in seinen Grundfesten. Zwei Motoren und das für die Steuerung wichtige Heckleitwerk sind massiv beschädigt. Das Flugzeug ist nur noch schwer steuer- und kontrollierbar. Trotz der prekären Situation entscheidet man sich, den Auftrag auszuführen und erst noch die Bomben abzuwerfen, bevor es gilt, eiligst mit dem Fallschirm abzuspringen.

Vier Mann überleben den Einsatz nicht

Um 14.42 Uhr ist der viermotorige Riesenvogel nach seinem Absturz bereits von den deutschen Funkmessgeräten verschwunden. Vier der Yorba anvertrauten Leute sind tot. Die sechs anderen haben es im letzten Moment noch geschafft, im Luftraum über Sennfeld aus dem Bomber auszusteigen.

Bernardo „Gus“ Yorba und sein Co-Pilot Gordon „Chilli“ Childers gehen bei Bad Sennfeld nieder und werden nur wenig später entdeckt. Die anderen vier abgesprungenen Männer flüchten sich in das nahe gelegene Waldstück namens „Helle Lohe“. Ob der Aussichtslosigkeit der Situation tief im Feindesland ergeben auch sie sich kurze Zeit später.

Hier von Bad Sennfeld aus hat Tony Yorba einen guten Blick auf den kleinen Wald, in dem sich die US-Soldaten einst verschanzten. Und einige Hundert Meter weiter verschafft ihm der Blick von dem kleinen Rastplatz an der Hellen Lohe auf Schloss Mainberg einen guten Eindruck davon, wo hinter dem Berg auf der anderen Mainseite der Bomber über Hausen abstürzte.

Tony Yorba und seine Frau Lori sind in Begleitung von Norbert Vollmann nach Sennfeld gekommen, der ersten Station auf ihrer Reise in die Vergangenheit. Der Redakteur dieser Zeitung hat das Schicksal der Besatzung mit dem Sennfelder Heimatforscher Douglas Dashwood-Howard minutiös nachgezeichnet und den Kontakt hergestellt.

Dazu gesellt hat sich an diesem Tag Peter Boylan. Der Amerikaner lebt in Heroldsberg bei Erlangen. Der bei dem Angriff getötete Schütze im an der Unterseite des Rumpfes befindlichen drehbaren Kugelturm gehörte zu seiner Familie.

Der Tote, der vom Himmel fiel

Zuvor hatte der stellvertretende Bürgermeister Helmut Heimrich die Gäste bereits zum Anwesen Schweizerstraße 5 geführt. Ein weiterer sehr emotionaler Moment für Tony Yorba und auch Peter Boylan.

Der Bordmechaniker William Gorgone hatte über Sennfeld vom Piloten den Auftrag bekommen, nach hinten zu klettern, durch die nach dem Ausklinken der Bomben geöffnete Bombenkammer, um sich davon zu überzeugen, dass die Männer im Heck, dem vom Cockpit abgeschlossenen Bereich, abgesprungen sind.

Dann sollte er ihnen selbst durch die dafür vorgesehene Rettungsluke nachfolgen, während die Männer in der Kanzel und in der Flugzeugschnauze durch die Luke unterhalb des Cockpits in der Nase absprangen.

Vermutlich durch Ausweich- und Schlingerbewegungen des Flugzeugs oder durch Erschütterungen aufgrund von Treffern eines deutschen Jagdflugzeuges, das dem durch Flakgranaten schwer beschädigten Bomber im Nacken saß, muss Gorgone auf dem beidseitig nur mit einem Seil als Handlauf gesicherten äußerst schmalen Katzensteg zwischen Cockpit und Funkerabteil das Gleichgewicht verloren haben und durch die geöffnete Bombenkammer gefallen sein.

Ob er verletzt, gar bewusstlos oder in Panik geraten war, wird sich nie mehr klären lassen. Tatsache ist, dass er mit dem ungeöffneten Fallschirm auf dem Rücken zu Tode stürzt. Er schlägt ungebremst auf das Nebengebäude der Kriegerwitwe Frieda Remde in der damaligen Horst-Wessel- und heutigen Schweizerstraße auf.

Leblos im Innenhof gefunden

Der Körper prallt vom steilen Dach ab. Gorgone wird kurz darauf leblos im Innenhof gefunden. Frieda Remdes 1943 geborener Sohn Arno gestattet es der Besuchergruppe, einen Blick in den Hof und die Scheune zu werfen.

Noch heute ist zu erkennen, wo seine Mutter einige Jahre nach dem Krieg die durch den Aufprall des vom Himmel gefallenen Amerikaners entstandenen Schäden an Dach, Dachstuhl und Seitenmauerwerk ausbessern ließ. Ratenweise stottert die nur mit einer kleinen Kriegerwitwenrente ausgestattete Frau die Rechnungen ab.

Helmut Heimrich zeigte den Gästen zum Abschluss noch die Stelle an der damaligen Außenmauer des später erweiterten Friedhofs, wo sich das Grab William Gorgones befand, der als „unbekannter Amerikaner“ vom evangelischen Ortspfarrer beerdigt wurde. Der Wappenkrug der Gemeinde und das Buch „Der Bomber von Hausen und der Amerikaner, der in Sennfeld tot vom Himmel fiel“ aus der Feder von Norbert Vollmann erinnern Tony Yorba an seinen Besuch in Sennfeld.

Der Trip in die Vergangenheit ist damit für ihn und Peter Boylan aber noch nicht zu Ende. Nächste Station ist der Schonunger Ortsteil Hausen. Hier explodiert der Bomber in der Luft über dem Ort. Hier werden im größten Wrackteil später drei Tote gefunden.

Die beiden ums Leben gekommenen Rumpfschützen hatten kurz zuvor dem durch Flaksplitter verletzten Kugelturmschützen nach oben ins Funkerabteil geholfen. Doch dann war vermutlich alles zu schnell gegangen. Möglicherweise lag es daran, dass ein Fallschirm nicht griffbereit war oder es zu lange dauerte, ihn dem verletzen Robert Boylan umzuschnallen.

Die verbleibenden wenigen Sekunden sind jedenfalls nicht genug, um ebenfalls noch abzuspringen. So bezahlen Michael Feller und Kenneth Huitt ihre Entscheidung, den Kameraden nicht im Stich zu lassen, mit dem Leben. Der Bomber wird für sie über Hausen zum fliegenden Sarg. In Hausen übernehmen es Roland Frühwacht und seine Frau Rita Steger-Frühwacht vom Historischen Arbeitskreis Schonungen als örtliche Kenner, die Gäste an die wichtigsten Stationen zu führen. Auch Schonungens dritter Bürgermeister Andre Merz lässt es sich nicht nehmen, sie willkommen zu heißen.

Der Bericht der Schwiegermutter

Zur Einstimmung verliest Roland Frühwacht einen Augenzeugenbericht seiner Schwiegermutter Marianne Steger, einer geborenen Godel, in der sie die Ereignisse jenes Tages in Hausen schildert. Dann geht es in den Wiesengrund zu beiden Seiten des Waldes am nördlichen Ortsrand.

Hier ging der Rumpf mit den drei Toten am Hang des sich linksseitig anhebenden Flur- und Waldstücks namens „Schindesel“ nieder. Georg Schulz-Hertlein aus Gerolzhofen hat auf Bitten von Norbert Vollmann seinen Metalldetektor mitgebracht. In der Tat fördert die spannende Suche einige weitere kleinere Metallteile des Bombers aus dem Waldboden zutage. Tony Yorba wird sie seiner 92-jährigen Mutter Margaret, der Frau von Bernardo Yorba, überreichen.

Auf dem Friedhof wird an der Stelle, an der Boylan, Feller und Huitt vom katholischen Ortspfarrer beerdigt worden waren, ein gemeinsames Vaterunser gebetet und von Roland Frühwacht und Rita Steger-Frühwacht zusätzlich aller Opfer von Krieg, Gewalt und Willkür und insbesondere der drei Opfer des Bomberabsturzes von Hausen gedacht.

Alle in Deutschland gefallenen US-Soldaten, darunter die von Sennfeld und Hausen, waren nach dem Krieg zur Identifizierung und Wiederbestattung außer Landes gebracht worden, auf den großen US-Soldatenfriedhof im lothringischen St. Avold. Dort ruhen die in Deutschland exhumierten sterblichen Überreste noch heute.

Nach dem Besuch der Kirchweih beim Hausener Sportverein führte Norbert Vollmann Tony und Lori Yorba sowie Peter Boylan schließlich noch zum Luftkriegs-Denkmal am Spitalseebunker in Schweinfurt. Das Mahnmal war 1998 gemeinsam von den US-Veteranen der Second Schweinfurt Memorial Association (SSMA), also Teilnehmern dieses Angriff und ihrer Angehörigen, sowie ehemaligen deutschen Flakhelfern errichtet worden. Ein weiterer kurzer Abstecher galt am Ende der Rundfahrt den Kugellagerfabriken am Main.

Vortrag in Hausen

Norbert Vollmann und Douglas Dashwood-Howard werden ihren 2014 in Sennfeld im Bürgersaal gehaltenen Vortrag über diesen Bomber und seine Besatzung am Donnerstag, 15. Oktober, zum 72. Jahrestag des Angriffs auf Schweinfurt im Sportheim in Hausen wiederholen. Beginn ist um 19 Uhr.

14. Oktober 1943

Der zweite Luftangriff der Amerikaner auf die Kugellagerfabriken in Schweinfurt am 14. Oktober 1943 geht wegen der hohen Verluste an Bombern und getöteten sowie gefangen genommenen Besatzungsmitgliedern als „Black Thursday“ (Schwarzer Donnerstag) in Amerikas Geschichtsbücher ein.

Die 1. Division der 8. US-Luftflotte bombardiert Schweinfurts Kugellagerfabriken von 14.39 bis 14.45 Uhr, während die 3. Division von 14.51 bis 14.57 Uhr ihren Bombenteppich nachlegt. Über 300 Zivilisten, Soldaten oder ausländische Zwangsarbeiter sterben nach offiziellen Angaben in der Feuerhölle. Die tatsächliche Zahl dürfte höher gelegen haben.

Die hohen Verluste stürzen die amerikanische Luftwaffe in eine Krise und lassen sie vorübergehend am Erfolg ihrer Tagangriffe zweifeln, nachdem die Briten es vorziehen, im Schutz der Nacht zu fliegen und zu bomben. novo

Auf dem Friedhof in Sennfeld: Tony Yorba, Peter Boylan, Norbert Vollmann und 2. Bürgermeister Helmut Heimrich (von links).
| Auf dem Friedhof in Sennfeld: Tony Yorba, Peter Boylan, Norbert Vollmann und 2. Bürgermeister Helmut Heimrich (von links).
Das ist genau der B17-Bomber mit Bernardo Yorba am Steuer, der am 14. Oktober 1943 über Schweinfurt abgeschossen worden war. Die Aufnahme entstand nur wenige Tage vorher.
| Das ist genau der B17-Bomber mit Bernardo Yorba am Steuer, der am 14. Oktober 1943 über Schweinfurt abgeschossen worden war. Die Aufnahme entstand nur wenige Tage vorher.
Die Absturzstelle im Blick: Tony Yorba (mit Buch in der Hand) und Peter Boylan (links) in Hausen.
Foto: Fotos (3): Marianne Vollmann | Die Absturzstelle im Blick: Tony Yorba (mit Buch in der Hand) und Peter Boylan (links) in Hausen.
Ort des Gedenkens: Tony und Lori Yorba vor dem Luftkriegs-Mahnmal am Schweinfurter Spitalseebunker.
| Ort des Gedenkens: Tony und Lori Yorba vor dem Luftkriegs-Mahnmal am Schweinfurter Spitalseebunker.
Die Crew: Das Bild zeigt vorne (von links) Pilot Bernardo Yorba, Co-Pilot Gordon Childers, Navigator Martin Dall und Bombenschütze Wilbur Roberson, dahinter Bordmechaniker William Gorgone, die etatmäßigen Seitenschützen Carter und Dunn (sie fielen am 14. Oktober 1943 aus), Kugelturmschütze Robert Boylan und Heckschütze Johnie Johnson. Es fehlt Funker Edgar Gracey.
Foto: Repros: Norbert Vollmann | Die Crew: Das Bild zeigt vorne (von links) Pilot Bernardo Yorba, Co-Pilot Gordon Childers, Navigator Martin Dall und Bombenschütze Wilbur Roberson, dahinter Bordmechaniker William Gorgone, die etatmäßigen ...
 
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