Wer erinnert sich nicht an den legendären Satz „Wo ist Behle?“ von Bruno Moravetz? Am Dienstagabend lautete die ähnliche Frage: „Wo ist Dorothee Bär?“ Ausgerechnet die Wahlkreisabgeordnete, also die Lokalmatadorin, glänzte durch Abwesenheit beim „Heißen Stuhl“, den DGB und Haßfurter Tagblatt gemeinsam im Saal Goger in Sand veranstalteten.
Worum ging es an diesem Abend? Eigentlich sollten sich die Direktkandidaten aus dem Wahlkreis der im Bundestag vertretenen Parteien vorstellen, sich zunächst jeweils eine Viertelstunde von den Moderatoren Dr. Martin Sage (Redaktionsleiter im Haßfurter Tagblatt) und Frank Firsching (Regionsgeschäftsführer des DGB Unterfranken) auf dem heißen Stuhl „grillen“ lassen und sich anschließend ebenfalls 15 Minuten den Fragen aus dem „Volk“ zu stellen. Dorothee Bär war mit dringenden Amtsgeschäften im Ministerium in Berlin verhindert, hatte aber JU-Kreisvorsitzenden Fabian Weber aus Ebern als Vertreter geschickt. Dessen Chancen auf einen Einzug in den Bundestag sind mit Platz 58 auf der CSU-Liste allerdings mehr als bescheiden, wie er selbst einräumte. Umso mehr bedankte sich Frank Firsching bei dem jungen CSU-Politiker, dass er sich bereiterklärt hatte, „für Frau Bär einzuspringen, die irgendwelche Regierungsgeschäfte fünf Tage vor der Wahl zu erledigen hat“.
Schließlich handele es sich beim „heißen Stuhl“ um keine „Kuschelveranstaltung“, so Firsching.
Los ging's mit einer Auslosung der Reihenfolge der Kandidaten. Dabei zog Frank Hertel von der Linken das „große Los“ und durfte als Erster auf das heiße Sitzmöbel.
Frank Hertel, Linke
Zur von der Linken angestrebten Umverteilung des Kapitals erläutert Hertel, dass ihm die Schwere zwischen arm und reich zu weit auseinanderklafft. Gemäß dem Wahlslogan „Mehr soziale Gerechtigkeit schaffen“ wolle die Linke aber nicht die Reichen arm machen. Vielmehr sollten die Menschen von ihrer Arbeit leben und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Hertel fordert aber eine stärkere Besteuerung der Großkonzerne: „Wir müssen uns nur zusammen trauen, die Konzerne leben von uns.“
Hertel plädiert ferner dafür, Leiharbeit abzuschaffen. Wenn Zeitarbeit erforderlich sei, dann müsse sie mit einem Flexibilitätszuschlag zehn Prozent teurer werden als Arbeit festangestellter Mitarbeiter. Dadurch werde es für einen Betrieb interessanter, einen Arbeitnehmer fest anzustellen. Hertel wünscht sich auch eine gesetzliche Rentenversicherung, in die alle einbezahlen. Zudem sollte Riester abgeschafft und in die gesetzliche Rente angerechnet werden. Dann sei ein Rentenniveau von 53 Prozent ebenso machbar wie die solidarische Mindestrente von 1050 Euro. De geplante Besserstellung aller Einkommen unter 7100 Euro im Monat lege den Verdacht nahe, die Linken vollziehe einen Ruck in die Mitte, so Moderator Sage. Dem entgegnet Hertel, die Linke sei auch die Partei für den Mittelstand, für alle, nur nicht für Multimillionäre.
Aus dem Publikum fragt Jens Möller nach einer möglichen Koalition der Linken mit der SPD? Hertel sieht Übereinstimmungen beim Thema soziale Gerechtigkeit. Voraussetzung dafür ist für ihn jedoch die Erhöhung des Mindestlohns und die Abschaffung der „sachgrundlosen Leiharbeit“.
Dr. Manuela Rottmann, Grüne
„Eine promovierte Juristin bei den Grünen ist in etwa so exotisch wie ein Sozialarbeiter bei der FDP“, empfängt Frank Firsching die Grünen-Kandidatin Dr. Manuela Rottmann auf dem „heißen Stuhl“.
„Warum schafft es das Thema gute Arbeit nicht unter die Top Ten der Grünen?“, will Firsching wissen. „Arbeitnehmer heißen auch Alleinerziehende und Geringverdienende“, so Rottmann, die sich für eine Kindergrundsicherung stark macht. Sie will auch eine Abschaffung von befristeten Arbeitszeiten und eine Begrenzung der Scheinselbstständigkeit. Die Arbeitslosenversicherung soll in eine Arbeitsversicherung umgebaut werden. Menschen, die einfache Arbeiten verrichten, sollten qualifiziert werden.
Jetzt habe man die Chance, das Rentensystem vorzubereiten, denn jetzt kommen die „Babyboomer“ ins Rentenalter. „Wenn wir nichts ändern, werden viele gut qualifizierte Leute es nicht schaffen, zu einer armutsverhindernden Rente zu kommen.“ Allerdings will Rottmann hier nicht mit der Linken gehen, die 53 Prozent Rentenniveau fordert. Sie sieht 48 Prozent als Grenze dessen, was der jungen Generation zugemutet werden könne.
„Wenn jemand nach 40, 45 Jahren nicht auf die Mindestrente kommt, muss er eine steuerfinanzierte Rente bekommen.“ Eine „vernünftige Rente“ liegt für Manuela Rottmann „deutlich oberhalb der Grundsicherung“. Man dürfe auch die Sozialabgaben nicht ins Uferlose steigen lassen.
Die ungleiche Verteilung des Vermögens ist für Manuela Rottmann unter anderem deshalb ein Problem, weil dadurch der Immobileinmarkt unter Druck gerät. „Es ist eben ein Unterschied, ob jemand eine Wohnung erbt, oder Miete bezahlen muss.“ Die Einführung einer Vermögenssteuer sieht die Juristin realistisch. Hier habe das Bundesverfassungsgericht der Politik eine Knobelaufgabe zu lösen gegeben. „Eine komplexe Besteuerung bringt nichts, das muss verfassungskonform sein.“ Rottmann sieht eher die Bekämpfung der Steuerhinterziehung auf der Agenda, ebenso die vereinfachte Besteuerung kleiner Unternehmen.
Zur Grünenforderung, ab 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr zuzulassen, äußert sie die Befürchtung, die deutsche Automobilindustrie könne die Entwicklung verschlafen. „Wir verkaufen unsere Autos weltweit, da nützt es nichts, wenn wir nur hierzulande an den Verbrennungsmotoren festhalten. Wir müssen unsere Leute jetzt qualifizieren, sonst geht es der deutschen Autoindustrie einmal so wie bei den Solarzellen, die heute nur noch in China gefertigt werden.“ Auf den Einwand eines jungen Mannes namens Elmar, die Herstellung von Batterien für Elektroautos sei umweltschädlich, entgegnet Rottmann, es sollten nicht alle Autofahrer ihre Fahrzeuge jetzt auf einmal gegen Elektroautos ersetzen, vielmehr sollte das E-Auto die Lücke schließen zwischen Bahn, Bus und Car-Sharing.
Zu Thomas Hillers und Paul Hümmers Hinweisen aus dem Publikum auf die höhern Renten in Österreich bestätigt Rottmann, dass die Pensionen hierzulande im Vergleich zur Rente sehr hoch seien. Mittelfristig müssten alle in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden, um die Spreizung zu reduzieren.
Sabine Dittmar, SPD
„Der Stuhl ist inzwischen aber schön warm“, stellt Sabine Dittmar fest. Die Bundestagsabgeordnete, die gerne wieder in den Reichstag einziehen möchte, sieht sich als Ärztin gleich mit der Frage nach der Seuche konfrontiert, die für das Sinken der SPD-Werte in den einschlägigen Umfragen verantwortlich ist. Ähnlich ihrem Kanzlerkanidaten betet die Abgeordnete ihre Überzeugung herunter, durch Mobilisierung von Wechselwählern die Wahl noch gewinnen zu können. „Ich beschäftige mich nicht mit Umfragen, sondern mit Überzeugungsarbeit bei den Wählern.“
Weiß der Wähler, was er bei der SPD bekommt? Ein Zukunftsprogramm, das die SPD zu hundert Prozent verabschiedet hat, erklärt Dittmar, die sich „zu einzelnen Teilen“ auch von der Agenda 2010 distanziert. Die drohende Spaltung der Gesellschaft ist für sie auch keine Zukunftsvision, sondern schon jetzt zu spüren. Diese Spaltung beschränke sich nicht alleine auf finanzielle Belange, sondern nach wie vor stammten nur 15 Prozent der Hochschulabsolventen nicht aus Akademikerfamilien. „Auch beim Breitbandausbau befinden wir uns in einer Diaspora.
“ Probleme gebe es auch in der medizinischen Versorgung. „Im ländlichen Bereich haben wir Probleme, die Kassenarztstellen zu besetzen.“ Zum Thema Vermögenssteuer zeigt sich Dittmar mit Manuela Rottmann solidarisch. Diese sei im Grundsatzprogramm gefordert, doch die Umgestaltung bereite juristische Probleme.
Eine sogenannte „Reichensteuer“ sieht Sabine Dittmar „notwendig und verkraftbar“ ab einem zu versteuernden Bruttojahreseinkommen in Höhe von 87 000 Euro. Die Beitragslinie soll bis 2030 aber auch nicht ins Uferlose steigen. Dittmar möchte auch eine weitere Steigerung der Erwerbstätigenquote, eine höhere Tarifbindung und einen besseren Zufluss zur Rentenversicherung, in die künftig alle einbezahlen sollten. „Erwerbstätigenversicherung heißt das bei uns, so Dittmar, doch ohne Unterstützung aller gesellschaftlichen Gruppen sei das nicht zu schaffen. „Wir brauchen dafür eine öffentliche Debatte in der Gesellschaft. Aber man sieht ja beim Mindestlohn, wie lange so etwas dauert.“
Eine Debatte über den Mindestlohn werde „im Moment bei uns nicht geführt“, so Dittmar. Weitere Erhöhungen seien nun nicht Sache der Politik, sondern von Kommissionen. Nach ihrer persönlichen Einschätzung sollte der Mindestlohn zwischen elf und 13 Euro liegen. Um gute Renten zu zu generieren, so Dittmar, braucht man höhere Einkommen. „Guter Lohn gibt eine gute Rente.“ Zum Thema Kindergeld fordert Dittmar ein „bedingungsloses Grundeinkommen, gleichzeitig weist sie darauf hin, dass der Kinderzuschlag von vielen berechtigten Eltern nicht in Anspruch genommen werde.
Auf die Publikumsfrage von Doris Gräf unterstreicht Sabine Dittmar: „Die SPD will starke Arbeitnehmer-Vertreter, starke Personalräte. Wir brauchen Mehrheiten, um das umzusetzen.“ Zur Frage von Dagmar Schnös, ob es das Kirchenasyl weiter geben wird, antwortet Sabine Dittmar kurz und bündig: „Ja!“ Um dann zu ergänzen, es sei schade, dass „wir das Kirchenasyl überhaupt brauchen und nicht andere Lösungen dafür haben“. Über mögliche Koalitionen „reden wir nach der Wahl“, so die Abgeordnete. Sie stellt klar, dass alle demokratischen Parteien, zu denen sie die AfD nicht zählt, miteinander reden können müssen: „Koalitionsverhandlungen sind der Wille zur Gestaltung.“
Fabian Weber, CSU
Der Vertreter der CSU, Fabian Weber, spielte auf dem „heißen Stuhl“ quasi außer Konkurrenz. Da bei dieser Veranstaltung die Direktkandidaten einen Einblick in ihre politischen Ansichten ermöglichen sollten, war Fabian Weber eigentlich fehl am Platze. Zum einen zeichnete es ihn aus, den schweren Gang zum DGB gegangen zu sein, man habe ihn auch davor gewarnt, sagt er selbst, zum anderen war nicht verständlich und nicht tolerierbar, dass er sich auf den „heißen Stuhl“ setzte, ohne sich irgendwelche Vorkenntnisse über die zu erwartenden Themen angeeignet zu haben. Schließlich wusste er schon seit geraumer Zeit von seiner Rolle als Lückenbüßer. Der zum Teil von weit her aus dem Landkreis angereiste Wähler musste sich so nicht ernstgenommen fühlen.
Zum Thema Arbeitsvertrag gibt er Allgemeinplätze von sich wie: Rechtliche Rahmenbedingungen müssen eingehalten werden; zufriedene Arbeitnehmer sind wichtig.
Geht grundlos befristete Arbeitszeit in Ordnung? Weber: „Es stellt sich die Frage, in welcher Form kommt der Arbeitnehmer in dieses Beschäftigungsverhältnis?“ Zum Thema Einkommen: „Es ist eine große Aufgabe der Politik, dass gute Jobs geboten werden, die ein gutes Einkommen bieten.“ Zum Thema „für gute Arbeit sorgen“ im CSU-Wahlprogramm: „Prekäre Arbeitsverhältnisse lehnen wir ab.“
Auf die Frage von Jens Möller aus dem Publikum, ob das österreichische Modell als Vorbild dienen könne: „Jedem Rentner, der eine höhere Rente bekommt, ist diese auch vergönnt – das ist Fakt.“