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HASSFURT
Dieser Kreuzzug ist nicht vernünftig
Nicht in der Bahnhofswirtschaft, die unser Bild zeigt, sondern im Wartesaal des Haßfurter Bahnhofs soll eine Spielhalle eingebaut werden.
Foto: HT-Sandler | Nicht in der Bahnhofswirtschaft, die unser Bild zeigt, sondern im Wartesaal des Haßfurter Bahnhofs soll eine Spielhalle eingebaut werden.
Von unserem Redaktionsmitglied Wolfgang Sandler
 |  aktualisiert: 15.12.2020 15:29 Uhr

Zur Begrüßung gab's gleich einen Widerspruch. „Wir treffen uns, um den öffentlichen Druck auf die Bahn zu erhöhen“, so SPD-Ortsvorsitzender und Stadtrat Stephan Schneider zu Beginn des von der SPD organisierten Bürgergesprächs zum Thema Spielhalle am Bahnhof. Jeder Anwesende, der gekommen war, um vielleicht noch etwas gegen die geplante Spielhalle zu unternehmen, landete nämlich schon beim nächsten Satz auf dem Boden der Tatsachen: „Die Chance, dass die Bahn von ihren Plänen abrückt, geht gegen Null.“

Stephan Schneider verstieg sich angesichts des Umstandes, dass der Bau der Spielhalle bereits begonnen habe, erst gar nicht in Phantastereien, die dagegen wohl die Basis für das Engagement der Haßfurter Bürgerin Helga Köppe darstellen, auf deren Initiative hin immerhin 307 Unterschriften gegen das Vorhaben der Bahn gesammelt worden waren. Hier bewahrheitete sich jedoch wieder einmal, dass Fanatismus meist einer Sache nicht dienlich ist. Im Laufe des Abends schaffte es die Spielhallengegnerin nämlich durch nicht enden wollende Monologe, die oftmals die fachliche Grundlage vermissen ließen, ihre eigentlichen Mitstreiter etwas zu vergrätzen.

Während Stephan Schneider und die übrigen Anwesenden sich darüber im Klaren waren, dass es nun nur noch darum gehen könne, „den Schandfleck abzumildern“, so der SPD-Vorsitzende, schlug Köppe vor, die Stadt hätte den Bahnhof kaufen müssen, oder könne die Immobilie immer noch anmieten, um den Bau einer Spielhalle zu verhindern. Dem Stadtrat warf sie vor, im Bauausschuss den Bau genehmigt zu haben, worauf Schneider entgegnete, es sei egal, wie der Stadtrat abstimmt, die Bahn habe ein Recht darauf, die Spielhalle in dem Mischgebiet bauen zu dürfen, das sie notfalls einklagen könnte.

Grünen-Stadträtin Annette Marquardt stellte klar, es könne nicht Aufgabe der Stadt sein, „alles zu richten“. Es gebe in der Stadt auch mehrere Kneipen, von denen man wisse, dass sie jeden Abend von Menschen aufgesucht würden, die dort zu viel trinken. Dennoch könne die Stadt nicht jede Gastwirtschaft aufkaufen und nur noch Orangensaft ausschenken. „Man schiebt der Stadt hier Aufgaben zu, die sie nicht leisten kann.“ Sucht in jeglicher Richtung entstehe als Folge gesellschaftlicher Probleme: „Ich bin absolut gegen diese Spielhalle, aber diesen Kreuzzug halte ich nicht für vernünftig.“

Und Stadträtin Roswitha Krauser (SPD) ergänzte: „Es ist nicht so, dass wir allem zustimmen. Wir haben schon viele Anträge auf Spielhallen abgelehnt. Aber in diesem speziellen Fall sind wir ohne Chance.“ Man müsse sogar aufpassen, dass man mit einem etwaigen Verbot nicht der Stadt schade, denn das Landratsamt als Aufsichtsbehörde könne in einem solchen Fall nicht nur den Antrag nachträglich genehmigen, sondern sogar der Stadt eine Strafe aussprechen.

Zuvor hatte Günter Feiler, Suchtberater der Caritas Haßberge, aus seinem reichen Erfahrungsschatz über Suchterkrankungen referiert. In Haßfurt selbst habe man mit Spielsüchtigen weniger zu tun, dies trete häufiger in Städten mit Spielcasinos auf. Die Symptome seien ähnlich wie bei anderen Suchterkrankungen, ebenso die Folgen wie die immer stärkere Verschuldung des Süchtigen, die soziale Isolation durch letztlich den Verlust der Familie. Feiler warnte jedoch davor, die Spielautomaten an sich zu verteufeln.

Marion Oehrl griff den Gedanken von Feiler auf, der Staat mache sich mitschuldig, da er ja Steuern aus den Automatenumsätzen einnehme, weshalb auch der Staat den Suchtkranken Hilfestellung biete. Das erinnere sie an die Einnahme von Medikamenten mit immer neuen Nebenwirkungen, statt das Übel grundsätzlich zu verhindern.

Roswitha Krauser erinnerte daran, dass bei seinem Besuch in Haßfurt Bahnchef Rüdiger Grube zugesagt habe, es werde keine Spielhalle im Haßfurter Bahnhof gebaut. Dies habe er offensichtlich schnell vergessen. Und Schneider ergänzte, dass hinter dem Ganzen offenbar ein System stehe, denn die Bahn baue derzeit bayernweit in allen Bahnhöfen Kombinationen aus Bäckereien, Spielhallen und Reisebedarfsläden.

Andreas Müller überlegte, ob es einen Sättigungsgrad beim Bau von Spielhallen gebe, denn dies sei in Haßfurt schon die dritte ihrer Art, zudem gebe es zwei Tankstellen mit Spielautomaten. Stephan Schneider erläuterte in diesem Zusammenhang, dass die Automatenbetreiber eine starke Lobbyarbeit betrieben und eine Art Saubermann-Image erreicht hätten durch den Umstand, dass es in Spielhallen keinen Alkohol gebe und sauber zugehe. Müller regte an, am Bahnhof Aufklärungsaufsteller zu installieren, die auf das Risiko beim Spielen hinweisen.

Nachdem sich die Anwesenden darüber einig waren, dass man die Spielhalle wohl nicht mehr werde verhindern können, ging's ans Pläneschmieden, welche Ziele man in Angriff nehmen, wie man doch noch öffentlichen Druck auf die Bahn ausüben könne.

Roswitha Krauser zeigte sich zuversichtlich, im Stadtrat durchsetzen zu können, dass zumindest strengere Kontrollen in der Spielhalle durchgeführt werden, ob das Einlassalter eingehalten wird. Dazu wolle man auf die Bahn einwirken, das Eintrittsalter auf 21 Jahre hochzusetzen.

Stephan Schneider hält einen Familienbeauftragten der Stadt Haßfurt, „der diesen Posten auch mit Leben erfüllt“, für notwendig. Dies werde er auch zum Gegenstand des Kommunalwahlkampfes machen. Wichtig sei auch, das Informationssystem für die Bürger zu verbessern, da dieses Vorhaben Spielhalle zu spät bekannt geworden sei.

In vier bis sechs Wochen wollen sich alle Teilnehmer an dem Bürgergespräch wieder treffen, um ein erstes Fazit zu ziehen, was bereits zur „Abmilderung des Schandflecks“ unternommen werden konnte.

Günter Feiler, Suchtberater der Caritas Haßberge, berichtete im Bürgergespräch aus seinem reichen Erfahrungsschatz.
Foto: HT-Sandler | Günter Feiler, Suchtberater der Caritas Haßberge, berichtete im Bürgergespräch aus seinem reichen Erfahrungsschatz.
Insgesamt 15 Besucher – darunter vier Stadträte – konnte SPD-Ortsvorsitzender Stadtrat Stephan Schneider (links) zu einem Bürgergespräch zum Thema Spielhalle am Haßfurter Bahnhof im Saal der Gaststätte „Zum Hirschen“ begrüßen.
Foto: HT-Sandler | Insgesamt 15 Besucher – darunter vier Stadträte – konnte SPD-Ortsvorsitzender Stadtrat Stephan Schneider (links) zu einem Bürgergespräch zum Thema Spielhalle am Haßfurter Bahnhof im Saal der Gaststätte ...
 
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