Weltweit spricht man davon, dass der Krieg gegen die Drogen verloren ist. In Südamerika verwalten schon Drogenkartelle ganze Gebiete. Hier in Zentraleuropa spricht keiner von einem Krieg. Jahrelang wurde Wegschau-Politik betrieben und mit Verboten versucht, Cannabis, Kokain und Co. aus den Taschen und so auch aus den Köpfen der Menschen zu wischen. Doch der Konsum von Drogen – illegal oder legal – gehört in unserer Gesellschaft schon fast zur Normalität.
Diskussionsrunde in Kleinaugsfeld
„Jeder Vierte hatte schon mal Erfahrung mit Cannabis.“ Burkhard Blienert ist drogenpolitischer Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion und stellvertretendes Mitglied im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages aus dem Wahlkreis Paderborn. Auf Einladung von Sabine Dittmar, MdB, sprach er in Kleinaugsfeld über seine Agenda. Blienert fordert ein Umdenken in Deutschland, möchte eine moderne Drogenpolitik.
„Unser Bedarf an Drogen hier ist verantwortlich für die Situation in Südamerika“, sagte er vor der Diskussionsrunde, zu der knapp 25 Besucher aus der näheren Umgebung gekommen waren, darunter Vertreter der Jugendorganisation der SPD (Jusos) im Unterbezirk Rhön-Haßberge, Substitutionsmediziner, Sozialarbeiter und Psychotherapeuten.
Mythos Cannabis
„Der größte Mythos herrscht beim Cannabis", sagte Blienert und stieß damit die Diskussionsrunde an. Die aktuelle Entwicklung im Legalisierungsprozess von Cannabis stand im Fokus. Trotz des anwesenden Fachpersonals wollten einige Besucher zu Beginn eine Grundsatzfrage zum Cannabiskonsum klären. So fragte Frank Hofmann, langjähriger Abgeordneter für den Wahlkreis Schweinfurt/Kitzingen: „Machen das heute alle Jugendlichen?“
Nach der persönlichen Einschätzung eines Abiturienten „kiffen“ längst nicht alle seiner Mitschüler. Ob Streber oder Wackelkandidat – der Konsum ginge durch alle Leistungsschichten. Die Droge hilft beim Runterkommen. Die „Chiller“ nehmen sie, um noch besser chillen zu können.
Es ist normal geworden, an einem Joint zu ziehen und Marihuana auszuprobieren. Ob die jungen Menschen dann „hängen bleiben“, warf Inge Reichert-Deurer ein, hängt davon ab, ob ihre Persönlichkeit gefestigt ist oder nicht. Laut der Ärztin für psychosomatische Medizin und Psychotherapie spielt das Umfeld und das Elternhaus eine große Rolle dabei.
Auch Christian Fenn vom Verein „Kidro“, der sich in der niederschwelligen Drogenhilfe engagiert, tut sich schwer mit Verallgemeinerungen. Nicht alle Jugendlichen konsumierten heute Drogen. Frage man einen regelmäßigen Kiffer nach seiner Einschätzung, sagt der, dass alle seine Freunde das mehr oder weniger machen. Eine ganz andere Antwort bekomme man zum Beispiel bei Ministranten in einer kleinen Stadt.
Unbestreitbar ist jedoch: Die Entkriminalisierung von Cannabis ist ein Thema, das unter Jugendlichen heiß diskutiert wird. Deshalb fordern die Jusos einen einheitlichen Standpunkt zu dem Thema von der SPD.
Thema nicht abwürgen
„Es gibt nichts Schlimmeres, wenn Schüler mit einem Abgeordneten diskutieren wollen und dann vor den Kopf gestoßen werden, weil dieser nach zehn Minuten das Thema wechseln will“, sagte Felix Schwarz, Vorsitzender der Jusos im Unterbezirk Rhön-Haßberge.
Das Drogenthema zum Wahlkampfthema zu machen, stieß auf das Unbehagen einiger anwesenden SPDler. Frank Hofmann warf ein, es würde doch „eh nur die Ü-50-Generation zur Wahl“ gehen. Diese Menschen würden von dem Thema abgeschreckt. Inge Reichert-Deurer entgegnete, dass viele 68er jetzt diese Generation ausmachen und die größtenteils schon Kontakt mit der Droge haben. Auf dem Land sei das laut Dittmar anders. „Ich scheue mich nicht vor diesem Thema.“
Und Informationen zu diesem Thema hatten sich Dittmar und Blienert zusammen mit Konrad Spiegel vom SPD-Ortsverein zuvor beim Besuch der Fachklinik für die Behandlung Drogenabhängiger in Eichelsdorf geholt. Leiter der Fachklinik Schloss Eichelsdorf ist Robert Soto-Löwenthal. Zusammen mit seinen Mitarbeitern Manfred Richter, Peter Hedinger und Gerda Engel schilderte Soto-Löwenthal, wie sehr sich ihre Arbeit in den vergangenen Jahren gewandelt hat.
Wellen legaler und illegaler Drogen
Mit den Folgen der verschiedenen Wellen legaler und illegaler Drogen ist die Fachklinik in den vergangenen vier Jahrzehnten konfrontiert worden. Immer jünger sind die Klienten, die in der Fachklinik behandelt werden. Und auch die Motivation, Drogen zu nehmen, hat sich verändert: die Klienten sind oft leistungsorientiert, nutzten Drogen als Doping, um Leistungsdruck standzuhalten. Und auch die Wege, um an Drogen zu kommen, haben sich verändert: „Wir haben Klienten, die haben noch nie einen Dealer gesehen“, so Soto-Löwenthal. Da kämen die Drogen per Versandhandel. Und da würden erlaubte Drogen ins Haus geliefert, die „viel, viel stärker sind, als verbotene“.
Unter wirtschaftlichen Zwängen
Was beim Gespräch von den Mitarbeitern der Fachklinik immer wieder zum Ausdruck gebracht wurde: die wirtschaftlichen Zwänge, unter denen Einrichtungen wie die Eichelsdorfer Klinik arbeiten müssten. Für Soto-Löwenthal ist dies eine „Verwirtschaftlichung des Systems“, allerdings „verändern sich die Drogen schneller, als sich das System anpassen kann“.
Wie beim Gespräch in der Fachklinik erklärte Dittmar auch bei der Diskussion in Kleinaugsfeld, sie wolle etwas voranbringen. Der Beschluss der SPD von 1994, dass die Partei für eine moderne Drogenpolitik und für die Legalisierung von Cannabis steht, müsse zwanzig Jahre später endlich angepackt werden. Ein bisschen was sei in dieser Legislaturperiode schon geschafft worden.
Es besteht Handlungsbedarf
Einige Erleichterungen besonders in der Rechtssicherung für behandelnde Ärzte hat die Bundesfraktion schon auf den Weg gebracht. Mit dem Neue-Psychoaktive-Substanzen-Gesetz versucht man dem Problem „Designerdrogen aus dem Internet“ Herr zu werden. Zu Beginn fragte Sabine Dittmar: „Sind die Wege, die wir in der Drogenpolitik gehen, wirklich noch die richtigen?“
In der Diskussionsrunde kristallisierte sich keine deutliche Antwort heraus. Einig waren sich die Anwesenden jedoch darin: Es besteht Handlungsbedarf.