Mit dem Bau der deutsch-deutschen Grenze wurden nicht nur verwandtschaftliche Kontakte, Freundschaften und Wirtschaftsbeziehungen durchtrennt: Örtliche Straßenverbindungen und jahrhundertealte Handelswege endeten nun beiderseits des Todesstreifens. Das galt auch für die Straße zwischen Allertshausen und Hellingen. Diese Verkehrsverbindung wiederherzustellen, war alles andere als einfach. Rückblick auf ein spannendes Kapitel der Wiedervereinigung.
„Es hat die Menschen, die damit beschäftigt waren, sehr geprägt“, sagt Fritz Wagner heute. Er selbst war einer von ihnen, als Leitender Baudirektor des Straßenbauamtes Schweinfurt maßgeblich beteiligt an dem nicht alltäglichen Projekt im Winter 1989/90. Schon die zeitlichen Eckdaten beeindrucken: Mauerfall am 9. November, Kreistagsbeschluss zum Bau der Straße am 13. November, Grenzöffnung zwischen Allertshausen und Hellingen am 2. Dezember, erstes Sondierungsgespräch und Begehung am 4. Dezember, Unterzeichnung der Vereinbarung am 13. Dezember, Baubeginn am 14. Dezember, Eröffnung des Grenzübergangs am 26. Januar.
Dabei machten die politischen Umstände schon die Vorbereitungen schwierig. Waren doch Arbeiten jenseits der Grenze nötig. „Die DDR war seinerzeit in Auflösung begriffen, es gab keinen Ansprechpartner, mit dem man Verträge abschließen konnte“, beschreibt Wagner die Schwierigkeit für die Vorbereitungen.
Der Zustand der einstigen Reichsstraße in dem etwa 3,8 Kilometer langen Abschnitt auf Thüringer Seite war durch jahrelange Vernachlässigung „miserabel“, erinnert sich Fritz Wagner. „Man konnte nicht von einer Straße reden, eher von einem Feld- oder Waldweg.“
Wegen des Zeitdrucks – ursprünglich wollte man den Grenzübergang der Bevölkerung zuliebe schon zu Weihnachten eröffnen – wurden die Arbeiten freihändig vergeben, also ohne Ausschreibung. Allerdings war dieses ungewöhnliche Vorgehen mit der obersten Baubehörde und Staatssekretär Peter Gauweiler abgestimmt. Die Bauarbeiten ab Mitte Dezember hatten es ebenfalls in sich, bei milden Temperaturen, aber strömendem Regen. „Man konnte in die Baustelle kaum reinfahren, die Fahrzeuge sind förmlich versunken. Trotzdem ist gearbeitet worden unter widrigsten Bedingungen, jeder hat sich eingesetzt bis zum Geht-nicht-mehr.“
Fritz Wagner spricht von einer Art Pioniergeist, der damals herrschte. Der Funke war offensichtlich auf die Arbeiter übergesprungen.
Um schon im Vorfeld die Wege zu ebnen, hatte Walter Keller keine Mühen gescheut. Der damalige Landrat des Haßbergkreises legte sogar eine Nachtschicht ein, als er die Vereinbarung mit dem Kreis Hildburghausen aufsetzte. Von vornherein war die Sache für ihn so außergewöhnlich, weil er zunächst „keinen Auftrag für nichts“ hatte. „Ich war keiner, der Verpflichtungen für den Staat eingehen konnte ohne eine gesetzliche Grundlage oder die Rückendeckung der Staatsregierung“, schildert Keller seine Situation.
Den Anstoß für eine direkte Verbindung vom respektive ins Heldburger Unterland, das wie eine Spitze nach Bayern hineinragt, hatte Otto Welz gegeben, seinerzeit Bürgermeister des Marktes Maroldsweisach und Kreisrat.
Er hatte viele Jahre Kontakte nach Thüringen gepflegt und war sich nach eigenem Bekunden bereits Ende der 60er sicher gewesen, dass die DDR früher oder später „bankrott“ sein würde, allein schon wegen der Kosten für den Unterhalt der Grenze und die Grenzsoldaten.
Bei der Sitzung der SPD-Kreistagsfraktion am 10. November – eigentlich sollte es um den Haushalt gehen – brachte Welz seine Idee vor und der Grenzübergang wurde das Thema des Abends. „In den Haushaltsplan haben wir gar nicht geguckt“, erinnert sich Welz, der auch den Antrag ans Landratsamt stellte. Während der Vorbereitungen für das Projekt fungierte er mehrfach als Bote, da Kontakte per Telefon schwierig waren und der Postweg zu lange gedauert hätte.
Bei ihrem Gegenüber auf Thüringer Seite waren Ottomar Welz und Walter Keller auf große Offenheit gestoßen. Das Miteinander mit Hans Müller, Vorsitzender des Rates des Kreises Hildburghausen, sei „sehr vertrauensvoll und kooperativ gewesen“, sagt Keller. Dabei war das Risiko für Müller zunächst noch viel höher. „Ich muss alles auf meine eigene Kappe nehmen. Suhl schweigt und Ost-Berlin auch“, zitiert Keller seinen Amtskollegen. Und es sei ja völlig offen gewesen, wie es politisch weitergeht.
Zudem musste Müller eingestehen, dass weder vom Bezirk Suhl, dem die Straße gehörte, noch von der Regierung in Ost-Berlin finanzielle Mittel zu erwarten seien. Also musste der Freistaat Bayern das Projekt zunächst alleine finanzieren, in der Hoffnung auf Unterstützung durch den Bund. Im Eilverfahren wurden denn auch auf Bundes- und Landesebene die Weichen gestellt und finanzielle Mittel zugesagt, was das Projekt überhaupt erst möglich machte. Eine schriftliche Bestätigung für ihre Unterschrift auf der Vereinbarung bekamen aber weder Walter Keller noch Hans Müller.
Zur Freigabe der Straße und des Grenzübergangs am 26. Januar 1990 kamen etwa 3000 Menschen. Für Walter Keller war diese Freigabe „nicht nur ein Grenzspektakel“. Er spricht von einem Motivationsschub und einem Signal für die „gemeinsame Weggefährtenschaft der alten und neuen Bundesländer“.
Zum Weiterlesen: Walter Keller, Rainer Freiherr von Andrian-Werburg, „Grenzöffnung und Straßenbau zwischen den Landkreisen Haßberge und Hildburghausen zur Jahreswende 1989/90“. Schriftenreihe des Historischen Vereins Haßberge, Heft 7.
ONLINE-TIPP
Noch ein paar Impressionen von der Grenzöffnung finden Sie im Internet unter www.bote-vom-hassgau.de