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Sand am Main
Die Lese der eiskalten Träubchen
Der König der Weine wird häufig nur zu besonderen Anlässen gereicht, denn er ist sehr kostbar und teuer. Die Weinlese gestaltet sich schwierig: Winzer Mathias Rippstein aus Sand muss den richtigen Zeitpunkt abwarten.
Kein Höhlenforscher, sondern ein leidenschaftlicher Hobby-Winzer: Das Sander Urgestein Rudi Ruß packt bei der Eisweinlese von Mathias Rippstein mit Handschuhen, zwei langen Unterhosen, einem Pullover, zwei Jacken, einer Mütze und Stirnlampe mit an. Bei der Minus 9 Grad kalten Morgenluft ist das auch notwendig..
Foto: René Ruprecht | Kein Höhlenforscher, sondern ein leidenschaftlicher Hobby-Winzer: Das Sander Urgestein Rudi Ruß packt bei der Eisweinlese von Mathias Rippstein mit Handschuhen, zwei langen Unterhosen, einem Pullover, zwei Jacken, ...
René Ruprecht
 |  aktualisiert: 07.12.2016 03:44 Uhr

Es ist still und leise in der schlummernden Gemeinde Sand am Main in der Vorweihnachtszeit. Das Thermometer ist deutlich unter der Null-Grad-Grenze in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch. Während die meisten Menschen unter einer wärmenden Decke schlafen und träumen, steht der Winzer Mathias Rippstein um zwei Uhr Mittwochfrüh auf.

Wie schon in den beiden Nächten am Montag und Dienstag fieberte der Sander Weinmacher nach dem Motto „Jetzt oder nie“ zum dritten Mal der Eisweinlese entgegen: „Das war sehr schwierig heuer, insgesamt habe ich bestimmt 30 Messungen gemacht und war über 20 Mal im Weinberg.“ Nach einer Tasse Tee fuhr Rippstein zu seiner „Eisweinfläche“ am Sander Kronberg und las das Thermometer gegen halb drei ab, es zeigte sechs Grad minus an. Um 4 Uhr der zweite Versuch: die Temperatur sank schon auf minus 6,5 Grad.

Nach über einer Stunde folgte Versuch Nummer drei mit sieben Grad unter dem Gefrierpunkt. Rippstein freute sich schon und war sich zugleich sicher, dass es zumindest eine Beerenauslese dank der Temperatur von minus 7 Grad Celsius wird. Rippstein spielte mit dem Gedanken, die Hälfte seiner „Eisweinfläche“ von 1000 Quadratmeter zu ernten. Aber der Winzer pokerte, wartete noch einmal bis sechs Uhr ab, weil erfahrungsgemäß bei einem sternenklaren Himmel vor der Dämmerung es noch kälter wird: „Es war ein Geschenk Gottes, die Temperatur sank auf neun Grad ins Minus. Ein Schneefall oder eine Wolkenwand hätte alles zunichte gemacht, weil die Temperatur rapide ansteigt.“ Dann ging alles schnell.

Um 7.37 Uhr zeigte das Thermometer am „Eiswein-Rebstock“ knapp minus neun Grad Celsius an.
| Um 7.37 Uhr zeigte das Thermometer am „Eiswein-Rebstock“ knapp minus neun Grad Celsius an.

Die zehn Erntehelfer, die schon seit Tagen in den Startlöchern standen, wurden zur Eisweinlese angerufen. Kurz vor sieben Uhr ging das Abenteuer auf dem Weinberg mit Stirnlampe und Schere los: „Man wartete schon die ganze, teils schlaflose Nacht im Bett darauf, dass das Handy klingelt“, so der erfahrene Erntehelfer Rudi Ruß und fügte hinzu, dass die Eisweinlese „immer wieder ein Highlight ist, auch wenn es sehr kalt ist. Aber wenn man überlegt, dass schon einige Winzer mit den Arbeiten für den Jahrgang 2017 mit dem ersten Arbeitsprozess Weinbergschneiden beschäftigt sind, ist es etwas Besonderes, die letzten Trauben von 2016 für den Eiswein zu lesen.

“ Die Eisweinernte dauerte eineinhalb Stunden, während dieser Dauer bewegte sich kaum das Thermometer. Die spätreife Sorte Silvaner kam nicht ganz ausgefroren in die Presse, weil die gesunden Beeren „zu“ hochgradig mit 97 Öchsle waren. Die fast neun Grad minus über gut drei Stunden reichten nicht aus, um die Silvanertrauben erbsenhart aufzufrieren, aufgrund des überdurchschnittlichen Beerenextrakts. Entscheidend ist neben der Dauer der Frosteinwirkung auch der hohe Traubenzuckergehalt, weil der Zucker wie ein Frostschutz wirkt. „Hätten wir weniger reife Trauben gehabt, dann wären sieben Grad minus ausreichend gewesen“, sagte Winzer Rippstein währen der Pressung. Unreife Beeren frieren schneller, weil der Wasseranteil höher ist. „Wenn man mit knapp 100 Öchsle ins Rennen geht, dann kann man durchaus bis zu 180 Grad Öchsle Mostgewicht erzielen. Ich hätte mir zehn bis elf Grad minus gewünscht, dann wäre es nach 2012 sicherlich wieder ein super Eisweinjahrgang geworden“, sagte der dennoch sehr zufriedene Rippstein, der sich über einen tollen Süßwein in Beerenauslese-Qualität freut.

Gesundes Traubenmaterial der Sorte Silvaner mit zirka 95 Öchsle ist die Voraussetzung für eine Eisweinlese.
| Gesundes Traubenmaterial der Sorte Silvaner mit zirka 95 Öchsle ist die Voraussetzung für eine Eisweinlese.

„Dieser Typ Beerenauslese ist gekennzeichnet von einer hohen Aromatik mit Nuancen gelber und exotischer Früchte“. Obwohl das geerntete Traubenmaterial den gesetzlichen Ansprüchen von 125 Grad Öchsle und der Mindesttemperatur von minus 7 Grad Celsius für einen Eiswein genügen würde, fängt aber für den anspruchsvollen Winzer Rippstein der „große“ Eiswein erst bei 160 bis 180 Grad Öchsle an. Denn Rippstein sieht den Eiswein als absolute Königsdisziplin. „Ein richtig guter Eiswein mit einem extrem ausdrucksstarken süßen Extrakt, einen irren langen Nachhall im Geschmack ähnelt einem 'blonden Gewitter?, und ned bloß a Stürmle“, so Rippstein über die offenbarende Gaumenfreude auf der Zunge. Dass man den Eiswein, aber auch den Süßwein bewusst trinken und sehr schätzen soll, weiß auch Rudi Ruß, weil „beide Weine sehr rar und kostbar sind und deshalb sehr häufig zu besonderen Anlässen gereicht werden. Nur wenige Winzer trauen sich einen Eiswein zu, weil es sehr viel Know-how erfordert und extrem risikoreich zu ernten ist.

“ Nach der Begutachtung des gepressten Süßweinmaterials strahlte Rippstein über sein „flüssiges Gold“. Im Prinzip gibt es keinen Unterschied zwischen Eiswein und Süßwein, weil beides Süßweine sind. „Aber der Eiswein ist einfach der König der Süßweine bis zu 250 Grad Öchsle“, so der philosophische Wein-Visionär aus Sand. Die Ausbeute bei der Eisweinlese liegt bei zehn bis 20 Prozent, bei Windbruch und späterer Lese können es in manchen Jahren nur noch fünf Prozent sein. „Eiswein macht in der Regel niemand, um Geld zu verdienen. Er setzt zusätzlich ein i-Tüpfelchen auf die tolle Weinkollektion eines Superjahrganges, und das ist die Motivation trotz eines hohen Ausfallrisikos mehrerer Jahre.“ Er habe wieder sehr viel gelernt. Das sei es, was ihn am meisten begeistert.

Man müsse an alles denken, auch an die Batterien der Stirnlampen. „Wenn man einen Fehler macht, dann ist es ganz schnell vorbei“, so der Winzer. Die Herstellung eines Eisweines und die gesamten Vorbereitungsmaßnahmen inklusive Weinernte für eine 1000 Quadratmeter große Fläche erfordern zirka 400 Arbeitsstunden – nicht zu vergessen das Risiko um den Ertragsausfall. „Wir haben an einem Rebstock zehn bis 15 Kniebeugen übers Jahr gemacht, an denen tolle Trauben hingen für einen spitzen trockenen Wein.“Aber man denke auch daran, dass man etwas Größeres machen könnte, etwas noch besseres. Aber dafür müsse man das Risiko eingehen. Man müsse in der Lage sein, richtig zu entscheiden. Dabei spielt neben dem gesunden Traubenmaterial und dem Risiko vor allem das Wetter eine große Rolle – ob der Frost zur richtigen Zeit kommt „Entweder hat man Glück oder nicht.“ Die am Rebstock natürlich durchgefrorenen Trauben müssen mit der Hand gelesen werden.

Im August 2010 gab es über 350 Liter Regen-Niederschlag mit 24 Regentagen. „Das war das brutalste, was ich als Winzer je erlebt habe. Überwiegend gab es unreife grüne Trauben, die schon fast das Faulen angefangen haben. Wir konnten noch einiges retten, aber ein Eiswein kam überhaupt nicht in Frage“, sagte Rippstein. Statistisch gesehen kommen sieben Grad Celsius unter Null im November alle zwanzig Jahre vor. „Mein Wetterbericht sieht in der Vorhersage keine tieferen Temperaturen“, so Rippstein, der immer seinen Wetterbericht aufmerksam studiert.

„Hoffentlich haben Kollegen in den nächsten Dezemberwochen noch Wetterglück“, aber Rippstein glaubt nicht, dass noch viele Trauben hängen. „Man muss auch bedenken, dass die letzten Fröste der letzten Tage die Beerenhaut sehr mürbe und dünnhäutig machten. Unsere Beeren waren überreif mit gesundem Fruchtfleisch, daher war die Lese heute zu 99,7 Prozent richtig. Ich kann mir keinen Vorwurf machen, wir haben alles rausgekitzelt was möglich war“, so der selbstkritische Winzer.

„Vielleicht gibt es nach 2009 und 2012 wieder im nächsten oder übernächsten Jahr einen qualitativ großen Eiswein“, so der leidenschaftliche „Eiswein-Winzer“, der sich auf das Ergebnis seiner Eiswein-Beerenauslese im Mai sehr freut.

 
 
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