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Zeil
Einstige Auswanderer sind heute integrierte Amerikaner
Eine Bronzeplastik einer jungen Familie steht als Auswandererdenkmal an der Wesermündung in Bremerhaven (Bremen). Über Bremen sind zum Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine große Anzahl von Europäern in die Neue Welt aufgebrochen.
Foto: Ingo Wagner, dpa | Eine Bronzeplastik einer jungen Familie steht als Auswandererdenkmal an der Wesermündung in Bremerhaven (Bremen). Über Bremen sind zum Ende des 19. und zu Beginn des 20.
Ludwig Leisentritt
 |  aktualisiert: 04.03.2022 02:23 Uhr

In den Auswanderungszahlen spiegelt sich immer auch die jeweilige wirtschaftliche Situation wider. So ließ die Bereitschaft, die Heimat zu verlassen, merklich nach, als es in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts zu einer konjunkturellen Belebung kam. Im Raum Zeil gingen die Auswanderungen noch einmal spürbar zurück, nachdem sich 1890 mit der Weberei erstmals im Bezirksamt Haßfurt ein größerer Industriebetrieb etablierte und einigen hundert Menschen zu Arbeit und Brot verhalf. Ebenso fanden viele Männer vor allem in der Steinindustrie Arbeit und Brot.

Auswanderer erwiesen sich für die deutschen Verwandten in Zeiten der Not als willkommene Wohltäter. Pakete und Dollarscheine aus Amerika waren nach den zwei verlorenen Kriegen für viele ein Glücksfall. Ähnlich unterstützen heute viele Emigranten in Deutschland ihre zurückgebliebenen Angehörigen. Manche Auswanderer betätigten sich als Wohltäter für kommunale und kirchliche Einrichtungen in ihren Heimatgemeinden.

1921 stifteten ehemalige Mitbürger aus Deusdorf Glocken für die Dorfkirche. Wie in vielen Orten war das Geläute während des Krieges eingeschmolzen worden. Die Gemeinde Knetzgau erhielt von dem in Chicago lebende Theodor Schenk ebenfalls neue Glocken spendiert, wofür ihn seine Heimatgemeinde das Ehrenbürgerrecht verlieh. In Ermershausen wurde in den 20er Jahren der Bau der Kleinkinderschule durch eine Spende aus den USA unterstützt.

Jedem Kind eine Bratwurst mit Semmel spendiert

Bei einem Kinderfest in Königsberg brachten 1928 Schüler Hochrufe auf den Wohltäter August Schneider aus Brooklyn nebst Fräulein Tochter aus, die schon des Öfteren bei Besuchen jedem Kind eine Bratwurst mit Semmel spendiert hatten.

Bei der Abschiedsfeier des Deutschamerikaners Würtele in Weisbrunn, erhielten 1932 die Kinder einen extra großen Weck, Schreibzeug und Hefte. Aus Dankbarkeit sangen die Kinder vor der Wohnung ein Abschiedslied.

Eine Stiftung von über 1000 Dollar machten 1932 Ausgewanderte für die Kirche in Lohr bei Ebern. Für den Betrag wurden nach dem Willen der Spender einige Heiligenfiguren angeschafft. Der Rest wurde für den Kirchenumbau verwendet.

Bäcker Johann Müller, der sich 50 Jahre zuvor aus Schönbach bei Nacht und Nebel nach Amerika abgesetzt hatte, bedachte seine Heimatgemeinde 1952 mit einer Spende von 3000 Dollar, was damals mehr als 12 000 Mark waren. Damit konnte die wirtschaftlich schwache Gemeinde ihre Ortsstraße bis zur Schönbacher Mühle erneuern und Verbesserungen im Friedhof und an der Orgel vornehmen. Außerdem schaffte die Gemeinde noch eine neue Viehwaage an.

Um 1900 hatte sich der in Eltmann tätige Bäcker und Konditor Johann Müller nach Hamburg abgesetzt und nach Amerika eingeschifft. Zuvor hatte er seine gesamte bewegliche Habe verkauft, um die Überfahrt bezahlen zu können.

Finanzielle Unterstützung für das Eltmanner Kinderheim

Nach dem Ersten Weltkrieg erhielt das Eltmanner Kinderheim für die Waisenkinder immer wieder finanzielle Unterstützung aus Amerika, wo sich Auswanderer der Not in ihrer alten Heimat annahmen. Dem neu gegründeten Diakonie-Verein Holzhausen überwies 1921 eine in Amerika lebende Gönnerin eine namhafte Summe. Das Geld ermöglichte dem Verein die Pläne für eine Kinderbewahranstalt zu finanzieren.

Mit 16 Jahren war der Dankenfelder Andreas Fößel in die Welt hinausgezogen. Er kam auf seiner Wanderschaft bis in die entlegensten Erdteile. Als Bäckermeister in New Jersey spendete er 1922 bei einem Besuch seiner Heimatgemeinde Geld für die Reparatur der Orgel und für die Beschaffung von Lernmittel für die Schule.

Die in Amerika ansässigen Bürger aus Sand sammelten nach dem 1. Weltkrieg zur Verteilung an Bedürftige 4000 Mark. Ein Teil wurde für spätere Verwendung auf die hohe Kante gelegt.

Die Kirchenverwaltung in Weißbrunn bekam 1951 von ehemaligen Auswanderern 300 Mark zur Renovierung der Filialkirche. Für den geplanten Kindergarten sammelten 1955 die in Amerika lebenden Knetzgauer 840 Dollar für die Außenrenovierung der Heimatkirche.

Nach den zwei Weltkriegen die Verwandten besucht

Viele Auswanderer hatten Heimweh und besuchten nach den zwei Weltkriegen die Verwandten in der alten Heimat. Der 1856 in Zeil geborene Korbmacher und Bader Heinrich Steigner wollte für immer in seine alte Heimat zurückkehren. Doch seine Familie weigerte sich, ihm zu folgen. Er nahm sich daraufhin aus Heimweh das Leben.

Manche kehrten Amerika den Rücken, um – wie Karl Barth – in ihrer alten Heimat zu sterben. Der ehemalige Steinbacher lebte schon 60 Jahre in New York, wo er sich als Kaufmann eine Existenz geschaffen hatte. Barth, der in Steinbach noch Verwandte hatte, nahm 1957, nur einen Tag nach seiner Rückkehr, an einer frohen Wiedersehensfeier mit Bekannten teil. Als er am nächsten Tag nicht zum Mittagessen erschien, fand man ihn in seinem Zimmer röchelnd über dem Bett liegend. Die Ärzte in einem Bamberger Krankenhaus konnte dem 77-Jährigen nicht mehr helfen. Dass sein Wunsch so schnell in Erfüllung ging, war für Tage Gesprächsstoff.

In Haßfurt entzogen sich 1911 acht junge Leute der Militärpflicht durch Auswanderung. 1961 ahnte der Schreinergeselle Herbert Böhm wohl, dass ihn die Musterungskommission für untauglich befinden wird. Denn drei Tage danach reiste der Knetzgauer mit dem Flieger nach Chicago ab, wo bereits seine beiden Brüder auf ihn warteten.

1883 im Angebot des Agenten: Matratze, Trink- und Essgeschirre frei.
Foto: Repro Ludwig Leisentritt | 1883 im Angebot des Agenten: Matratze, Trink- und Essgeschirre frei.

Über den Militärdienst sind so manche Auswanderer unversehens wieder in ihre alte Heimat zurückgekehrt. Als US-Soldat traf der 19-jährige Lothar A. Schenk im Jahr 1957 für acht Tage überraschend bei seinen Eltern in Knetzgau ein. Er war gut zwei Jahre zuvor nach Amerika ausgewandert und hatte seine zweijährige Dienstzeit bei der US-Army in Italien abzuleisten. Marlene Schöpplein kam 1965 mit ihrem amerikanischen Ehemann wieder nach Zeil, da dieser in der US-Garnison Schweinfurt seinen Militärdienst absolvierte.

Im Zusammenhang mit den gegenwärtig großen Problemen bei der Integration ausländischer Mitbürger sei daran erinnert, dass es im 19. Jahrhundert Auswanderer aus unserer Heimat gab, die in Amerika ihre landsmannschaftlichen Sitten und Gebräuche pflegten und sogar noch heute kultivieren.

Deutsche Vereine in vielen Städten in den USA  gegründet

In vielen Städten bildeten sich deutsche Vereine. So haben sich schon sehr früh die im Raum Chicago ansässigen Knetzgauer zu einem eigenen Club zusammenschlossen. Große Verdienste um die deutsch-amerikanische Gemeinschaft und die Aufrechterhaltung der deutschen Kultur erwarb sich Georg Böhm. Hierfür erhielt er sogar das Bundesverdienstkreuz. Als er 1998 in seiner Heimatgemeinde weilte, erzählte er von der Tätigkeit der schon 1877 gegründeten Vereinigung, in der rund 600 Mitglieder aus 60 deutschen Vereinen in Chicago organisiert sind.

Nach dem Krieg gab es in den 50er und 60er Jahren noch einmal eine Auswanderungswelle in die Staaten, aber auch nach Kanada und Australien. Schließlich fehlten im kriegszerstörten Deutschland Wohnungen und Arbeit. Zeitweise gab es spezielle Einwanderungsquoten für Flüchtlinge, wenn es sich um Landwirte handelte, die über Fachkenntnissen in der Milchwirtschaft verfügten. Von 1950 bis 1955 wanderten aus dem damaligen Kreis Haßfurt 37 heimatvertriebene Familien mit zusammen 97 Personen aus. Das Haßfurter Volksbildungswerk veranstaltete 1954 sogar Englischkurse für diesen Personenkreis.

Die Briefe der Auswanderer ermunterten viele Leute, es ebenfalls in Amerika zu versuchen. Oft berichtete die Presse von dem schnellen Wohlstand im "Dollarland". So schilderte sie 1952, wie der ehemalige Zweiter Bürgermeister Harry Tonn von Rentweinsdorf – ein Heimatvertriebener aus Südosteuropa – innerhalb weniger Jahre sein bescheidenes Glück in Kanada gemacht habe. "Wir sind nicht die einzigen von den Einwanderern, denen es gut geht", schrieb Tonn nach Rentweinsdorf. Und: "Die meisten Siedler haben schon ein Haus oder Auto oder beides."

Sieben aus der Ukraine stammende Flüchtlinge wanderten nach Kalifornien aus. Ihnen wurde dort ein Monatslohn von umgerechnet 725 Mark in der Landwirtschaft in Aussicht gestellt. Insgesamt waren aus Rentweinsdorf zwischen 1950 und 1952 15 Leute nach Amerika und 21 nach Kanada ausgewandert. 1951 genehmigten die Behörden auch drei Familien aus Hafenpreppach die Auswanderung.

Die Nachfahren der einstigen Auswanderer haben kaum noch Bindungen zu der alten Heimat ihrer Eltern, Groß- und Urgroßeltern. Sie fühlen sich heute großteils nicht mehr als Deutsch-Amerikaner. Ganz so wie es einmal Präsident Roosevelt gefordert hat: "Ein guter Amerikaner ist Amerikaner und sonst nichts."

Geschichten rund ums  Auswandern

Stiftung: Die 9. Station des imposanten Kreuzweges zum Zeiler Käppele wurde 1878 von Zeiler Auswanderern gestiftet. Sie verbanden damit den Wunsch auf eine gute Überfahrt.
Rettung: Zusammen mit weiteren sieben jungen Zeilern wanderte 1928 die 17-jährige Frieda Goger nach Amerika aus. Sie kam jedoch nach ein paar Jahren wieder zurück nach Zeil. Als 1945 die Amerikaner die Stadt einnahmen, stellten sie in der Langgasse eine Kanone auf, um die Bergkapelle zu beschießen. Sie vermuteten, dass sich dort eine SS-Einheit verschanzt hatte. Der linke Turm war bereits beim Beschuss der Stadt in Mitleidenschaft gezogen worden. Geistlicher Rat Rüdenauer – des Englischen nicht mächtig – fürchtete um das Marienheiligtum und ließ die in nächster Nähe wohnende Frieda herbeiholen. Sie gab dem Offizier zu verstehen, dass sie in Amerika gelebt habe. Zufällig sprach sie auch noch denselben Slang. Der Captain glaubte ihren Beteuerungen und der Beschuss unterblieb.
Der Wilderer: Der junge Drechsler Kaspar Hofmann hatte vor dem Ersten Weltkrieg an seiner Drehbank in der Zeiler Speiersgasse immer einen Stutzen stehen. Einmal wilderte der Kaspar im Wald und legte dabei auf den plötzlich auftauchenden Gendarmen an. Weil dieser ihn erkannt hatte, flüchtete Hofmann aus Zeil und setzte sich nach Amerika ab. Im "Dollarland" kaufte er sich als erstes ein Gewehr. Arbeit fand er als Heizer auf einer Eisenbahnlok. Einmal berichtete er stolz nach Zeil, dass die Gattin des Präsidenten Roosevelt in seinem Zug gesesessen habe. In Amerika gibt es noch heute Nachfahren des Wilderers. Bei den Weinfesten 2001 und 2004 war einer der Abkömmlinge zu Besuch. Kevin Knuth, der Ur-Ur-Enkel konnte jedoch kein Wort Deutsch. Er ist in Kalifornien bei der NASA tätig und freute sich bei seinen Besuchen, auf den Spuren seines Ur-Ur-Großvaters zu wandeln.
Sportförderung: Mehrere ehemalige Zeiler suchten als Deutsch-Amerikaner in den letzten Kriegsjahren bei den deutschen Gefangenen in Amerika gezielt nach Landsleuten aus dem Raum Zeil. Sie spendierten ihnen neben Zigaretten und Schokolade, Lederbälle und Sportdresse für den Lagerfußball. Toni Pottler war nach seiner Rückkehr ein hervorragender Mittelfeldspieler, der sogar eine Zeit lang beim VfB Coburg spielte. Später wechselte er wieder zum FC 08 Zeil, wo er noch mit 45 Jahren eine Stütze des Clubs war.
Schutzengel: Millionen von Menschen rund um die Welt sahen am 11. September 2001, wie die beiden Türme des World Trade Centers (WCT) in Manhattan in sich zusammenstürzten. Einer, der in einem der Zwillingstürme sein Büro hatte, war Erich, der Sohn des 1954 ausgewanderten Knetzgauers Lothar Schenk. Dass Erich an diesem Tag nicht das Schicksal von mehr als 3000 Menschen teilen musste, verdankt er einem glücklichen Zufall. Vor dem Aufbruch in die U-Bahn rief er noch kurz seine Nichte Katharina und den Neffen Alexander in Knetzgau an. An diesem 11. September hatten die beiden ein ungewöhnliches Mitteilungsbedürfnis. Eine gute halbe Stunde redeten sie mit ihrem Onkel, der es hinnahm, einmal etwas später zur Arbeit zu kommen. Der Verkehr war bereits zusammengebrochen. Er konnte noch sehen, wie der zweite Flieger in eines der Hochhäuser flog. Und zwar auf Höhe seines Büros. Sein spontaner Anruf am Morgen war wohl die beste Entscheidung seines Lebens.
(ll)
In neun Tagen von Bremen nach Amerika: Inserat im Haßfurter Amtsblatt 1884
Foto: Repro Ludwig Leisentritt | In neun Tagen von Bremen nach Amerika: Inserat im Haßfurter Amtsblatt 1884
 
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