Sie alle haben einen gemeinsamen Traum: Sie wollen das optimale Instrument bauen. Während die meisten der Amateurgitarrenbauer die eine, perfekt auf sie persönlich zugeschnittene Gitarre im Auge haben, werden andere vom Erfinderfieber gepackt und tüfteln immer weiter am vollendeten Klang, an der größtmöglichen Lautstärke oder der ergonomischsten Form.
Und noch etwas eint die Ruhestands-, Feierabend- und Urlaubsgitarrenbauer: „Ein bisschen verrückt muss man schon sein“, lacht Hermann Gräfe. „Sie opfern ihren Urlaub oder ihr Wochenende, holen sich beim Schleifen Blasen an den Händen und stehen sich die Beine in den Bauch – alles, um sich selbst ein Instrument zu bauen.
Zusammen mit dem Kultur e.V. hat der Lendershäuser Gitarrenbauer zum zweiten Mal zu „Saitenblicke“, einem offenen Forum für den Amateurgitarrenbau, in den Schüttbau nach Rügheim eingeladen. Unter Gräfes Anleitung sind in der Gitarrenbauwerkstatt in Lendershausen zahlreiche individuelle „Trauminstrumente“ in Einzelkursen gefertigt worden.
Die „Saitenblicke“ holt die „Baumeister“ aus der ganzen Republik zusammen. Stolz präsentieren sie nun in einer Ausstellung ihre Werke und bestaunen die ihrer Kollegen. Die alten Hasen, die schon beim ersten Forum dabei waren, freuen sich über ein Wiedersehen. Die Neulinge beobachten interessiert, wie die Tische nach und nach mit Modellen bestückt werden, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.
Unter die klassischen Vertreter der Konzert-, Steelstring- und E-Gitarren mischen sich zierliche historische Nachbauten, brasilianische Cavaquinhos und Bandolims und einige andere außergewöhnliche Exoten. Es wird fachgesimpelt, inspiziert, angespielt und heiß diskutiert.
Dazwischen Vorträge, unter anderem von Gunter Ziegenhals, Institut für Musikinstrumentenbau in Zwota, der die Gitarre als schwingfähiges System von der physikalischen Seite her betrachtet. Die Qualität einer Gitarre objektiv zu messen, sei ein schwieriges Unterfangen, so sein Fazit, da vielfältige, nicht messbare Faktoren die Ergebnisse beeinflussen. Klar sei: „Möglichst leicht gebaute Gitarren sind schön laut und sprechen schnell an.“
Mancher der angereisten Amateurbauer zeigt sich glücklich und zufrieden mit dem ersten und einzigen Instrument, das durch seiner Hände Arbeit entstanden ist.
Andere dagegen sind vom Gitarrenbaufieber gepackt. Wie Helmut Frisch, dem der Gitarrenbau im Ruhestand zur Passion wurde. Vor vier Jahren verkaufte der Firmeninhaber seinen Betrieb im Bayerischen Wald. Zum Abschied schenkte die Belegschaft dem leidenschaftlichen Gitarrenspieler einen Gitarrenbaukurs in den Haßbergen.
Mit akribischen Vorberechnungen und Plänen machte sich der Ingenieur auf den Weg nach Lendershausen. Für Helmut Frisch wurde die Werkstatt von Hermann Gräfe zur Wiege seiner neuen Berufung. Sein ehrgeiziges Ziel: Klang und Lautstärke von Gitarren verbessern.
Doch bis die Saiten auf eine Gitarre aufgezogen werden können, braucht es viel handwerklichen und zeitlichen Einsatz. Die Frage, „wie kann ich schnell Gitarren bauen, um mich auf die Optimierung der Lautstärke konzentrieren zu können?“, trieb Frisch um. Die Lösung: Ein CNC-gefräster Rahmen. Auf das Gerüst aus Schichtholz werden Boden, Zargen und Decke der Gitarre einfach aufgeleimt. „Das geht ohne größeren Aufwand quasi am Küchentisch.“
36 Gitarren hat der vor Energie sprühende 67-Jährige inzwischen gebaut. An seinen Erkenntnissen ließ er die Besucher des Forums mit einem Vortrag teilhaben. Vom Treffen mit anderen Amateurgitarrenbauer ist er begeistert. „Wir tauschen Erfahrungen aus und es gibt endlos viele neue Ideen.“ Mittlerweile sind einige der Kursteilnehmer gut miteinander vernetzt und sinnen und spinnen gemeinsam über die perfekte Gitarre.
Einer von ihnen ist Lutz Splettstösser aus Pasewalk im nord-östlichen Zipfel Deutschlands gelegen. „Ich bin ,Wiederholungstäter'“, schmunzelt er. Seinen ersten Kurs schenkte ihm seine Frau vor vier Jahren zum Geburtstag. Seit dem zog es ihn Jahr für Jahr wieder in die Werkstatt nach Lendershausen. „Ich bin richtig süchtig nach dieser Arbeit“, gibt er zu. Holz sei als Möbel oder am Bau eine Selbstverständlichkeit, aber „dass man aus einem Stück Holz ein Instrument fertigen kann – das ist die Krone für mich."
Der Apotheker nutzt seine chemischen Kenntnisse beim Beizen und Färben verschiedener Hölzer und bei der Lackherstellung.
Auch einige Amateurbauer, die ihre Instrumente nicht in einem Kurs, sondern in Eigenregie entwickelten, fanden den Weg nach Rügheim. Darunter Alexander Lawrenz, dessen bizarre E-Gitarren ins Auge stechen. Oder Marcus Heyer, dem die herkömmlichen E-Gitarren zu schwer sind und der sich deshalb an die Fertigung mit dem 3D-Drucker machte.
Ob die futuristisch anmutenden Kunststoffinstrumente die Gitarrengeschichte neu schreiben werden? „Spielbar sind sie bis jetzt noch nicht“, räumt der IT-Manager ein, „es mangelt noch an der Festigkeit des Halses.“
Weitere Exoten unter den Ausstellungsstücken sind auch die ungewöhnlich geformten Gitarrenkörper von Industriedesigner Jakob Frank. Für seine Abschlussarbeit an der Hochschule Pforzheim experimentierte er mit einem Gemisch aus Hanffasern und Wasser, sogenanntes „Hempstone“. Sein Ziel sei eine angenehme Form, weg vom „Kastigen“ der klassischen Gitarre, gewesen.
„Das Material war eine Herausforderung“, blickt der 29-Jährige auf die lange Versuchsphase zurück. Die Mischung besteht zu 90 Prozent aus Wasser und wird auf eine Form aufgesprüht. Trocknet sie, wird sie fest wie Hartholz, zieht sich allerdings durch die Verdunstung des Wassers entsprechend stark zusammen.
Stabilisiert wird die Schale deshalb durch einen Holzrahmen, mit dem der Gitarrenhals und die Holzdecke verbunden werden. Herausgekommen ist das Gitarrenmodell „canna“, angelehnt an den wissenschaftlichen Namen für Hanf.
Am Abend kamen dann die besaiteten Klangwunder selbst zu Wort. Unterhaltsam moderiert von Stefan Sell, stellten die Amateurbauer ihre Werke vor und ließen sie in verschiedenen Ensembles erklingen. Brasilianische Choros, Jazzstandards, Klassik und Rock – als ebenso vielseitig wie die Instrumente selbst, erwiesen sich deren Einsatzmöglichkeiten und Klangfarben. Bis weit in die Nacht machten die Gitarrenliebhaber das, was die eigentliche Triebfeder ihres Tuns ist: Musik.