zurück
SAILERSHAUSEN
Der Stadt wird's bang am Schlittenhang
Martin Sage
 |  aktualisiert: 29.03.2021 10:48 Uhr

Dass der Klimawandel ihnen die Wintersportfreuden zunichte machen könnte, weiß man nicht nur im Mittelgebirge, sondern auch in den Skiparadiesen der Alpen. Im Haßfurter Stadtteil Sailershausen allerdings droht – selbst wenn es schneien sollte wie nie zuvor – etwas ganz anderes dem Spaß auf Schlitten und „Brettln“ ein Ende bereiten: Die Angst vor Haftung und Schadensersatz. Doch das Dorf will für seinen kleinen Skihang kämpfen. Da kommt die Bürgerversammlung an diesem Mittwoch gerade recht.

Seit Generationen gehen die Sailershäuser am Gründleinsberg zum Schlitten- oder Skifahren. Der Hang liegt am südlichen Ortsrand unterhalb von Kindergarten und Spielplatz, im Westen und Süden grenzt er direkt an den Sailershäuser Wald. Die Abfahrt ist nur gut 120 Meter lang, doch in ihrem oberen Abschnitt steil. Wer hier Schuss fährt, bekommt ein ordentliches Tempo.

Liftbetrieb seit 1982

Im Winter 1982/83 hat die Dorfgemeinschaft einen Skilift mehr oder weniger der Marke Eigenbau in Betrieb genommen: Ein Stahlseil, an dem sich Bügel für die Nutzer befinden, wird mittels zweier Antriebsräder zwischen der „Tal-“ und der „Bergstation“ geführt. Diese Antriebsräder werden meist zur Kirchweih Ende November auf betonierte Trägersäulen aufgesetzt und zu Beginn der Fastenzeit wieder abmontiert. Für den Antrieb sorgt ein alter Traktor. So können sich seit über 35 Jahren Wintersportler also bequem den Berg hochziehen lassen, vorausgesetzt, es liegt genügend Schnee.

Beziehungsweise konnten, wenn nicht Sicherheitsbedenken aufgetreten wären. Und zwar deshalb, weil es in der Wintersportsaison vor zwei Jahren einen schwereren Unfall mit einem Kind gab. Das Unglück hatte zwar nichts mit dem Lift zu tun. Doch der Pächter des Gründleinbergs, ein Landwirt, der im Sommerhalbjahr hier seine Rinder weiden lässt, bekam offenbar Bedenken. Er schaltete einen Rechtsanwalt ein, um prüfen zu lassen, wer im Falle eines Falles für Schäden haften muss, erklärte Bürgermeister Günther Werner am Montag dieser Redaktion.

Zwar wurden weder Eltern, die Liftbetreiber, Pächter oder Grundstückseigentümer zur Rechenschaft gezogen, wie der Sailershäuser Ortssprecher Adrian Ort diese Zeitung am Montag wissen ließ. Dennoch ging der Lift im vergangenen Winter nicht mehr in Betrieb. Und zudem richtete sich mit dem Unglück zwangsläufig auch das Augenmerk der Stadt Haßfurt und der Universität Würzburg auf den kleinen Skihang, Denn der Kommune gehört der untere Hangabschnitt, dem Universitätsforstamt Sailershausen der obere. „Und jetzt, wo die Anwälte damit beschäftigt sind, können wir nicht so tun, als gäbe es hier keine Probleme“, stellte der Bürgermeister am Montag fest.

Und das Stadtoberhaupt schilderte der Redaktion die zwei neuralgischen Punkte. Erstens: Der Skilift ist nicht vom Technischen Überwachungsverein (TÜV) abgenommen und auf Nachfrage hätten die TÜV-Experten grünes Licht auch nicht in Aussicht gestellt. Deshalb wird der Lift bis auf Weiteres nicht mehr aufgebaut. Da hilft es auch nichts, dass es – wie Ortssprecher Ort versichert – hier seit 1982 noch nie zu einem Unfall gekommen sei, was auch dem Sicherheitspersonal und der Möglichkeit zur Notabschaltung zu verdanken gewesen sein mag. Obendrein bezeichnet man im Ort den Lift „als kleine Schlepphilfe für Kinder“, die mit alpinen Einrichtungen nicht zu vergleichen sei.

Zweitens endet der Gründleinsberg hangabwärts in einem steilen Graben. Egal ob Schlitten- oder Skifahrer: Wer nicht mehr bremsen kann und an den wenigen Bäumen und Sträuchern vorbei schießt, stürzt unter Umständen mehrere Meter in die Tiefe. So geschehen bei dem Unfall vor zwei Jahren, als ein Mädchen mit einem Teller-Rutscher nicht mehr rechtzeitig zu stoppen vermochte und sich beim Unfall einen Milzriss zuzog.

Einfach zuschütten geht nicht

Das Risiko, dass sich Ähnliches wiederholt, darf laut Bürgermeister Werner nicht unterschätzt werden – gerade durch die Südexposition des Hanges neigt seine untere Partie zur Vereisung, was Brems- und Ausweichmanöver erheblich erschweren kann. Viele Bürger hätten da eine schnelle Lösung im Kopf. Sie würden den Richtung Südwesten zur Wässernach strebenden Entwässerungsgraben gerne verrohren und zuschütten. Doch so einfach ist das nicht, meinte der Rathauschef. Der Graben ist in offiziellen Flurkarten als Gewässer eingezeichnet, weswegen Eingriffe an ihm der Genehmigung der Wasserwirtschaft bedürfen.

Ort und Werner sind sich einig, dass die Sicherheit an erster Stelle steht. Der Ortssprecher, die Dorfgemeinschaft und der Bürgermeister wollen sich aber in jedem Fall für den Erhalt des Rodelhanges einsetzen. Ende Oktober hat die Stadt einen Experten beauftragt, nach Lösungen zu suchen, sein Gutachten liegt noch nicht vor. „Es wäre so schade, wenn unsere Kinder hier nicht mehr rodeln oder erste Skiversuche unternehmen könnten“, sagte eine Frau aus dem Ort am Montag zur Redaktion. Ähnliche Worte wird Bürgermeister Werner am Mittwoch auch in der Bürgerversammlung hören.

Und vielleicht auch die Frage, warum hierzulande immer mehr auf Sicherheitsrichtlinien herumgeritten wird. Ob das nicht alles übertrieben sei – außer den an jedem Schlittenhang üblichen Blessuren sei doch eigentlich nie etwas Schlimmes geschehen am Gründleinsberg (auch das verunglückte Mädchen hat laut Ort den Unfall ohne bleibende Schäden überstanden).

Früher gab's eine Ohrfeige

Dann wird Werner vermutlich antworten, was er auch zu dieser Zeitung gesagt hat, und worin Adrian Ort übereinstimmt. Die Gesellschaft habe sich eben gewandelt. Wo früher ein Unglück einfach ein Unglück war, riefen die Betroffenen heute sofort nach Schadensersatz und wollten die Haftungsfrage geklärt haben. „Wenn wir früher unseren Schlitten kaputt gefahren und uns blaue Flecken geholt haben, gab's zu Hause noch eine Ohrfeige. Das war's.“ Heute fragten nicht nur die Eltern, wen sie verklagen könnten, auch die Versicherungen wollten genau wissen, wo für sie Geld zu holen sei.

Und noch etwas: Jahrzehntelang blühte der Sailershäuser Schlittenhang im Verborgenen, war nur in Haßfurt und Umgebung bekannt. Das hat sich dank sozialer Netzwerke geändert. Nicht nur über den Spaß am Gründleinsberg tauschen sich die Nutzer aus, sondern auch über Unfälle und Gefahren, seien sie echt oder vermutet. So oder so, da können die Behörden nicht mehr wegschauen.

Die Bürgerversammlung in Sailershausen beginnt am Mittwoch, 14. November, um 19 Uhr in der Wanderstube.

Wer „im Tal“ auf Schlitten oder Skiern nicht zum Stehen kommt, droht in diesen steilen Entwässerungsgraben zu fallen.
Foto: Martin Sage | Wer „im Tal“ auf Schlitten oder Skiern nicht zum Stehen kommt, droht in diesen steilen Entwässerungsgraben zu fallen.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Sailershausen
Martin Sage
Günther Werner
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Redaktion
Wintervergnügen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top