Schädel-Hirn-Trauma: Seit dem Skiunfall von Formel 1-Rekordweltmeister Michael Schumacher ist dieser Begriff in aller Munde. „Das ist ganz schlimm“, betont Thomas Häußinger aus Augsfeld. Er weiß wovon er spricht, denn der 41-Jährige hat die Reihenfolge „Unfall, Trauma, künstliches Koma und lange Rehabilitation“ selbst mitgemacht. Und er leidet noch immer an den Folgen seines Unglücks.
Doch erst jetzt, nach den Ereignissen im französischen Skigebiet Méribel und der Behandlung in Grenoble, hat auch das „Interesse“ an seinem Schicksal schlagartig wieder zugenommen. Bei ihm löst das große Medien- und Öffentlichkeitsinteresse deshalb eher gemischte Gefühle aus. „Viele Bekannte haben mich mittlerweile gefragt, ob es bei mir auch so schlimm war, wie beim Schumacher“, sagt Häußinger und schiebt die bittere Antwort gleich hinterher: „Ja es war so schlimm – und noch schlimmer.“
Es war der 4. April 2012, an dem sich „mein Leben veränderte“, erzählt der ehemalige Fußballer, der in Holzhausen, in Stettfeld, Hofheim und zuletzt beim FC Augsfeld II als Spieler beziehungsweise Trainer aktiv war. Thomas Häußinger wollte mit seinem Audi morgens um 8.00 Uhr zum nahe gelegenen Bäcker fahren, um für seine damals zweijährige Tochter Maria für den Kindergarten Laugenbrezeln zu holen. Auf dem Rückweg ist es an der sogenannten „Obi“-Kreuzung beim Haßfurter Gewerbegebiet dann passiert: „Von rechts kam plötzlich ein großer Lkw und rammte mit voller Wucht seitlich in mein Auto“, sagt Häußinger, der sich danach allerdings an nichts mehr erinnern kann. Erst von seiner Frau Isolde, von der Familie oder später aus den Zeitungen erfuhr er nach vielen Wochen Näheres über das Unglück: Intubation, Not-Operation im Leopoldina-Krankenhaus Schweinfurt – das volle Programm. Er erlitt ein schweres offenes Schädel-Hirn-Trauma. „Ein Arzt berichtete mir danach, dass in meinem Kopf so ziemlich alles gebrochen war, was man nur brechen kann“, erinnert er sich.
Am Unfalltag selbst war seine Prognose sehr schlecht. „Wenn er es überhaupt überlebt, dann wohl als Pflegefall“, fällt es Isolde Häußinger schwer, an die Aussagen der behandelnden Ärzte zurückzudenken. „Und es kann noch niemand wirklich sagen, wie es weitergeht.“ Knapp vier Wochen lag ihr Ehemann im künstlichen Koma. „Ich habe mich sozusagen ausgeruht und wurde nebenbei zum Nichtraucher, denn ich habe von dieser Zeit ja fast nichts mitbekommen“, sagt Thomas Häußinger. Für seine Familie war die lange Ungewissheit natürlich „sehr heftig“, wie Isolde bestätigt. „Die Ärzte konnten uns nicht sagen, was beim Aufwachen mit Thomas ist. Kann er hören, kann er sehen, ist er geistig behindert, gibt es sonstige Schäden, welche Schäden bleiben, welche gehen wieder vorbei? Es waren unheimlich viele Fragezeichen.“
Es ist deshalb für die Häußingers immer noch ein Wunder, dass die lebensgefährlichen Kopfverletzungen nicht die befürchteten Auswirkungen auf das weitere Leben hatten und haben. Nach der notwendigen zweiten Kopf-Operation, ausgerechnet am dritten Geburtstag seiner Tochter, wurde der Augsfelder direkt zur „Früh-Reha“ nach Bad Neustadt in die neurologische Klinik verlegt – liegend. Erst allmählich konnte er einen Rollstuhl und später einen Rollator benutzen. Riesengroß war die Freude dann, als er sich erstmals wieder ohne Gehhilfe fortbewegen konnte. „Das war nur das körperliche Problem, weil wenn man so lange liegt, ist es nicht selbstverständlich, dass man wieder auf die eigenen Beine kommt“, sagt Thomas Häußinger. Die neurologischen Folgen dauern im Vergleich freilich wesentlich länger. Geduld war angebracht. Viel Geduld. „Dieses Wort konnte ich fast nicht mehr hören“, ging es ihm aber trotz des „unnormal schnellen Fortschrittes“, wie ihm von Fachleuten bestätigt wurde, nicht schnell genug. „Ich wollte einfach wieder heim. Ich wollte wieder auf den Fußballplatz, ich wollte wieder arbeiten.“
Erst nach einem Vierteljahr, Ende Juni 2012, ging dieser Wunsch in Erfüllung und er durfte heim. Damit war sein Martyrium aber längst nicht beendet. Und auch heute nach knapp zwei Jahren bestimmen Arzttermine, tägliche Therapien oder Krankengymnastik den Tagesablauf. „Es war und ist nicht immer leicht. Ich war schnell erschöpft, schnell gereizt, einfach müde. Außerdem habe ich ständig starke Kopfschmerzen.“
Trotz alledem versucht Häußinger, sich wieder ins „richtige“ Leben einzuordnen. Dazu gehört auch der Fußball. „Es war mir wichtig, wieder als Trainer auf den Platz zurückzukehren“, freut er sich deshalb, die Kreisligamannschaft des FC Augsfeld II in der letzten Saison noch vor dem drohenden Abstieg gerettet zu haben. Das habe ihm „gut getan“, auch wenn er sich „öfters aufregen“ musste. Seit Sommer hat er aber eine Fußball-Pause eingelegt. Seine ganze Konzentration gilt jetzt der beruflichen Wiedereingliederung. Es laufe derzeit auch „relativ gut“, gilt sein Dank auch den Kollegen sowie Betriebsarzt Dr. Schneider. Der gelernte Schreiner bedauert nur, seinen bisherigen Beruf als CNC-Dreher in der Fertigung in einer Schweinfurter Fabrik aufgrund der Lautstärke und anderen Faktoren nicht mehr ausüben zu können.
Andere Angelegenheiten dagegen entwickeln sich manchmal nicht so, wie selbst erhofft oder viele glauben. „Ich bin noch längst nicht der Alte und werde es wohl auch nicht mehr werden“, ist aus seinen Worten leichte Resignation zu hören. Die drei Worte „gut schaust aus“ höre er oftmals. „Aber Schmerzen kann man halt nicht sehen.“ Jammern will er deswegen freilich nicht. Und auch wenn es mit zunehmender Dauer immer schwerer fällt, haben sich die optimistischen Momente bei ihm noch nicht ganz verabschiedet: Thomas Häußinger ist weiter ein Kämpfertyp und hat sich schon weit zurückgekämpft.
Selbst drei Kreuzbandrisse haben ihn vor einigen Jahren nicht dazu zwingen können, seine Fußballschuhe an den Nagel zu hängen. „Für die Bezirksliga hat es noch gelangt“, lacht der 41-Jährige. Mittelfristig möchte er wieder als Trainer tätig sein. Die Lizenz soll deshalb bei einem dreitägigen Lehrgang in Oberhaching verlängert werden.
Als „oft noch schlimmeren Kampf“ bezeichnet der Augsfelder derweil die Bürokratie als „Papierkrieg“. „Es ist echt Wahnsinn. Leider werden oft unnötige Steine in den Weg gelegt“, verweist er unter anderem auf eine von der Rentenversicherung abgelehnte MBO-Reha, die erst nach einem Widerspruch genehmigt wurde – dann gleich für fünf Wochen. „Solche Beispiele gibt es leider haufenweise“, ergänzt seine Frau Isolde. Ebenso müssen sich die Eheleute mit dem Autounfall an sich immer noch beschäftigen. „Mich ärgert, dass sich trotz Appelle der Polizei nur eine Zeugin gemeldet hat, und dass obwohl an der Kreuzung zum Unfallzeitpunkt reger Verkehr herrschte“, schüttelt Thomas Häußinger deshalb nur den Kopf. „Das verstehe ich nicht. Aber es ist irgendwie typisch: Keiner will da mit reingezogen werden, auch wenn der Unfall gesehen wurde.“
Der Unfall ist leider längst noch nicht abgeschlossen. Rechtsanwälte und Gericht beschäftigen sich immer noch damit. Bei der ersten Verhandlung im November wurde laut Zeugenaussage allerdings deutlich, dass die Ampel bei ihm „grün“ leuchtete. Aufgrund der Umstellung eine Woche zuvor wurde seines Erachtens „einseitig ermittelt“ und auch „einiges verdreht. Wir sind sicher nicht beim ,Tatort’“, sagt Häußinger. „Aber einiges ist da leider schon seltsam gelaufen, dass der Unfall bisher nicht aufklärbar ist.“ Diese Tatsache belaste ihn zusätzlich und mache ihn mit der Zeit mürbe.
Zurück zu Michael Schumacher. „Ich bin zwar kein echter Formel 1-Fan, aber ich hoffe für Schumi, dass das auch bei ihm klappt und er sich zurück kämpft“, drückt Thomas Häußinger dem Kerpener beide Daumen. Gleichzeitig dankt er allen, „die an mich gedacht, mitgehofft und an mich geglaubt haben. Meiner Familie, meinen Freunden, den Fußballern von Augsfeld, Stettfeld, Holzhausen oder Hofheim, den Ersthelfern und Rettungsdienst, dem Team der Intensivstation Schweinfurt, dem Krankenhausseelsorger Pfarrer Franz Feineis, Diakon Manfred Griebel, und natürlich auch meinen jetzigen Ärzten und Therapeuten.“
Häußinger richtet seinen Blick längst wieder nach vorne. „Schaun mer mal, was die Zeit so bringt“, sagt er abschließend. Dafür braucht er wieder beziehungsweise noch immer, auch wenn er es nicht mehr hören kann und will, viel, viel Geduld.