Die Suche nach dem perfekten Alterssitz ist für viele Menschen die letzte große Entscheidung ihres Lebens. Die meisten ziehen es zwar vor, in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben. Doch manche machen sich auf die Suche nach dem ganz besonderen Ort, an dem sie ihren Lebensabend verbringen möchten. Zwei dieser „Wegzieher“ verschlug es dabei in die Haßberge.
„Es war ganz einfach Fügung“: Die beiden Damen teilen diese Überzeugung. Eine gute Fügung sei es gewesen, die sie beide nach Königsberg führte und neben einer neuen Heimat auch eine wertvolle Freundschaft bescherte. Auf der Suche nach einem neuen Wohnort unterlagen Barbara May und Veronika Seidel dem Charme der romantischen Kleinstadt und dem Reiz der sie umgebenden Landschaft.
Fast zwanzig Jahre pflegte Barbara May eine Wochenendbeziehung mit Königsberg. Unter der Woche unterrichtete sie am musischen Gymnasium in Erlangen als Musiklehrerin. Das Wochenende verbrachte sie in der unterfränkischen Fachwerkstadt. Ihr Bruder Michael hatte das Städtchen auf einem Ausflug mit der evangelischen Kirchengemeinde Bamberg besucht. Er schwärmte seiner Schwester von dem beschaulichen Ort vor. „Ich hielt in dieser Zeit schon Ausschau nach einem Alterssitz“, erinnert sich May, die noch ihr Elternhaus in Erlangen bewohnte. „Der Ort erschloss sich mir als sehr schön“, ein altes Haus reizte die Mittelfränkin besonders.
1987 kaufte sie das Fachwerkanwesen in der Marienstraße. Von da an verbrachte sie die Wochenenden und Ferien dort, richtete in liebevoller Kleinarbeit vieles selbst her und lebte lange Zeit auf einer Baustelle. „Ich wollte die schöne Bausubstanz erhalten und nach historischen Gesichtspunkten renovieren.“ Deshalb ließ May auch keine Heizung installieren, sondern heizt ihre Räume nur mit Holzöfen.
Nach der Pensionierung vor acht Jahren machte May Königsberg zu ihrem Hauptwohnsitz und Lebensmittelpunkt. Doch ganz brach sie ihre Zelte in Erlangen nicht ab: „Ich habe dort noch meinen Musikkreis und betreue auch Musikgruppen.“ Deshalb macht sie sich jede Woche mit Violine oder Cello auf den Weg nach Mittelfranken, wo ihr das ehemalige Elternhaus im Bedarfsfalle noch immer Unterschlupf bietet.
Die ursprünglich aus Thüringen stammende Veronika Seidel lebte 20 Jahre im Mühlviertel in Oberösterreich. Während ihr Mann dort eine kleine Landwirtschaft betrieb, unterrichtete sie als Lehrerin an einer Grund- und Hauptschule im nahe gelegenen Niederbayern. Nach der Pensionierung sei ihr schnell langweilig geworden. „Im Mühlviertel liegen die Höfe sehr vereinzelt“, erklärt Seidel, „mir fehlten die Menschen um mich herum.“ Etwas urbaner sollte das Wohnen im Alter sein, wünschten sich die Eheleute. Eine Besichtigungstour führte sie auch nach Königsberg, wo sie bei einer Bank Häuserangebote hängen sahen. Zwar war nicht sofort etwas Geeignetes dabei, aber über die Verteilerliste erhielten sie bald ein passendes Angebot. 2002 zogen sie in das teilrenovierte Fachwerkshaus in der Manggasse und richteten es nach ihren Vorstellungen her.
„Die hügelige, weiche Landschaft gefiel uns gut“, beschreibt die 76-Jährige ihre Eindrücke. Barbara May stimmt ihr zu: Es sei zwar hügelig, aber nicht steil und deshalb auch für ältere Menschen gut geeignet. „Als ich damals herkam war hier noch Zonenrandgebiet. Das Verschlossene hat mir schon auch zugesagt.“ Spürbar sei dies auch bei den Menschen in der Gegend, „die öffnen sich nicht so leicht“, sagt May. Und ländlich sei es auch nach der Grenzöffnung geblieben. „Die Stadt ist nicht übersiedelt mit Wochenendbesuchern und Touristen“, verbucht May auf der positiven Seite.
Mit der Integration im Stadtleben hatte die ehemalige Musiklehrerin May keine Probleme. „Man muss auf die Leute zugehen.“ Bereits in der zweiten Periode ist sie im Kirchenvorstand tätig. „Wenn Not am Mann ist, helfe ich in den Kirchen in Königsberg und Umgebung an der Orgel aus“.
Auch Veronika Seidel beteiligte sich zusammen mit ihrem Mann aktiv am Stadtgeschehen: sie wurden Mitglieder bei der Schlossberggemeinde und im Kirchenchor. In Österreich habe ihr immer eine evangelische Gemeinde gefehlt. „Außerdem waren wir schon rein sprachlich dort immer fremd“, sagt Seidel. „Ich habe hier zum ersten Mal im Leben ein Gefühl von Heimat.“ Seit dem Tod von Günter Seidel vor drei Jahren wurde die Freundschaft zwischen den beiden ehemaligen Lehrerinnen enger. „Wir können uns über vieles austauschen“, sagt Seidel. „Wäre ich ein Mann und wir beide noch jung, würde ich Barbara glatt heiraten“, lacht sie. Die beiden unternehmen gemeinsame Studienreisen, treffen sich bei Gottesdiensten, besuchen zusammen mit anderen Damen kulturelle Veranstaltungen in Bamberg, Coburg oder Meininigen. „Garten, Haus, Musik, Computer, Literaturkreis und Französischkurs - uns reicht meistens die Zeit nicht“, beschreibt Seidel den Alltag.
Von der guten Nachbarschaft sind die „Zugezogenen“ ebenfalls begeistert. Barbara May zeigt eine handvoll säuberlich aus Feinstrumpfhosen zugeschnittener Ringe. „Die gab mir gerade meine Nachbarin. Zum Anbinden der Rosen sind die ideal.“ Man könne wirklich von jedem etwas lernen, folgert May. Die beiden Damen vermissen in Königsberg nichts – „höchstens ein schönes Kaffeehaus, mit leckeren Kuchen und Eisbechern“, lacht Seidel. „Was ich hier nicht bekomme, bringe ich mir aus Erlangen mit“, sagt May.
Beide wollen solange wie möglich in ihren wunderschönen Fachwerkhäusern bleiben, ihre Rosen pflegen und die Gärten bewirtschaften. „Da die Vorbesitzerin und auch später mein Mann im Rollstuhl saßen, ist meine Wohnung bereits altersgerecht“, sagt Seidel. Solange sie mobil sei, könne sie problemlos in ihrem Haus wohnen, ist May überzeugt. „Ich werde heuer 70. Für das Alter plane ich nicht vor. Ich entscheide, wenn es soweit ist.“
Einen gemeinsamen, großen Wunsch äußern die beiden dann doch: Die Orgel in der Marienkirche müsse dringend erneuert werden. „Wir sammeln schon seit Jahren“, sagt Barbara May.
Alttag in den Haßbergen
Der Bote vom Haßgau beschäftigt sich in dieser Serie mit Fragen zum demografischen Wandel und zum Altern. Wie sieht er aus, der „Goldene Herbst“ im Landkreis? In loser Folge werden die Wohn- und Lebenssituationen älterer Menschen geschildert.
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