Es ist ein Freitagnachmittag, 16 Uhr Bamberger Ortszeit, im Dezember 2020. In New York beginnt eine Online-Auktion. Professorin Bettina Wagner, Direktorin der Staatsbibliothek Bamberg, hat sich eingeloggt, wartet gespannt auf den Aufruf Nummer 4 in der Reihenfolge: eine Psalterhandschrift vermutlich aus dem 15. Jahrhundert, in der sich auf einer Seite die Darstellung des heiligen Kaiserpaares Heinrich II. und Kunigunde befindet.
Ein Mindestgebot von 6000 bis 8000 US-Dollar ist fällig. Bettina Wagner will mitsteigern. Weiß natürlich nicht, wer ihre Mitkonkurrenten sind, denn die melden sich – wie sie selbst – offline. „Schon beim dritten Aufruf bekam ich den Zuschlag!“, freut sich die Direktorin noch heute über ihren gelungenen Coup. Sie führt ihren Erfolg auf die Tatsache zurück, dass diese Handschrift, die 30 Blätter umfasst, nicht vollständig und neu gebunden ist. „Die erste Hälfte ist leider verloren gegangen“, bedauert Professorin Wagner. Es sei jedoch möglich, dass dieser Teil „eines Tages wiederentdeckt wird“.
Wahrscheinlich ein Andachtsgebetbuch
Für die Staatsbibliothek ist dieser Neuzugang, der vor einigen Tagen nun auch in Bamberg ankam, ein „Glücksfall“, wie die Direktorin sagt. Die Psalterhandschrift im Kleinformat, die wahrscheinlich das Andachtsbuch einer Frau für den Privatgebrauch gewesen sei, „ist natürlich nicht vergleichbar mit unseren Reichenauer Klosterhandschriften, die wir im Bestand haben“, räumt Bettina Wagner ein. Doch das neue Objekt „ist hochwertig und begeistert durch seine aufwändige Gestaltung der Seiten“.
Diese sind durchgehend mit Malereien verziert, mit Bordüren aus Blumen und Ranken versehen. Auch Wappen von Adelsfamilien oder Städten verschönern die Blätter und können einen Aufschluss über den Entstehungsort geben: „Es deutet alles darauf hin, dass die Handschrift im österreichischen oder norditalienischen Raum entstanden ist“, erklärt die Professorin. Also dort, wo das Bistum Bamberg Besitzungen hatte, und was auch die Abbildung des Kaiserpaares erklärt.
Kriminologischer Spürsinn
Nun macht sich eine Kunsthistorikerin der Staatsbibliothek mit „kriminologischem Spürsinn und kleinteiliger Recherchearbeit“ an die Arbeit, um der Psalterhandschrift ihre letzten Geheimnisse zu entlocken. Und zwar im Rahmen eines Projektes, in dem alle Handschriften aus dem Bamberger Bestand wissenschaftlich katalogisiert werden. „Die Buchmalerei des 15./16. Jahrhunderts ist jetzt an der Reihe“, so Wagner.
Ihr internationales Netzwerk an Kollegen der Fachwelt hat es überhaupt ermöglicht, dass sie auf die New Yorker Versteigerung aufmerksam wurde. Vor einiger Zeit waren Antiquare aus England und Amerika zu Gast in Bamberg. Eine Frau aus dieser Delegation arbeitet in dem fernen Auktionshaus und machte Bettina Wagner auf die Psalterhandschrift mit Bamberg-Bezug aufmerksam. Die Ernst-von-Siemens-Kunststiftung sagte zu, 50 Prozent der Kosten zu übernehmen, die andere Hälfte der Finanzierung stammt aus dem Budget der Staatsbibliothek.
Wann das neue Prachtstück der Öffentlichkeit präsentiert werden kann – zusammen mit weiteren Neuerwerbungen wie zum Beispiel Barockzeichnungen des Kaisersaals in der Neuen Residenz – hängt vom weiteren Verlauf der Corona-Pandemie ab. Doch Liebhaber bibliophiler Kostbarkeiten können sich zumindest schon einmal das komplett digitalisierte Objekt im Internet.
Die Neuerwerbung ist zu sehen unter www.staatsbibliothek-bamberg.de