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Zeil
Der Letzte seiner Zunft: Es gibt noch einen Ausscheller im Landkreis
In den 1950er-Jahren  rief der Ausscheller Ankenbrand in Prappach zum Arbeitseinsatz auf.
Foto: Archiv Ludwig Leisentritt | In den 1950er-Jahren rief der Ausscheller Ankenbrand in Prappach zum Arbeitseinsatz auf.
Bearbeitet von Ludwig Leisentritt
 |  aktualisiert: 29.03.2021 10:30 Uhr

Die mündliche Verbreitung amtlicher Bekanntmachungen war in den Gemeinden früher die Aufgabe der Gemeindediener. Weil sie fast immer auch eine Glocke mit sich führten, um damit die Bürger auf ihren Weg durch die Straßen aufmerksam zu machen, nannte man sie Ausscheller. In Zeil oblag diese Aufgabe auch zeitweise dem städtischen Polizeidiener.

Ein Ausscheller war eine von einer Gemeinde haupt- oder nebenberuflich beschäftigte Person, die in früheren Zeiten durch laute, mündliche, öffentliche Verbreitung von Bekanntmachungen die Gemeindemitglieder informierte. Mit der Ortsschelle in der Hand machte er seine festgelegte Runde durch seinen Ort. An allen markanten Plätzen blieb er stehen, läutete mit seiner Glocke und verschaffte sich so Gehör. Die Bürger traten vor die Tür und hörten gespannt zu.

Glöckchen auf der Anna-Kapelle

Gemeindeglocke auf Annakapelle in Zeil: Mit dem Glöcken der Zeiler Annakapelle wurden früher die Zeiler zusammengerufen.
Foto: Ludwig Leisentritt | Gemeindeglocke auf Annakapelle in Zeil: Mit dem Glöcken der Zeiler Annakapelle wurden früher die Zeiler zusammengerufen.

Wenn der Zeiler Bürgermeister seine Bürger in den Verkündsaal des Rathauses zusammenrufen wollte, um eine Anordnung bekannt zu geben, Arbeiten an den Wenigstnehmenden zu verstreichen, oder einen gemeindlichen Äcker oder eine Wiese zu verpachten, wurde das Glöckchen auf der Anna-Kapelle geläutet. Das war ein Zeichen, dass die Bürger pflichtgemäß zu erscheinen haben.

1909 erwog Bürgermeister Kraus die Installierung einer Glocke auf dem Dach des Rathauses. Dadurch wollte sich die politische Gemeinde von der Kirchengemeinde unabhängig machen.

"Verlängerter Arm" des Bürgermeisters

Weil das Städtchen nach der Ansiedlung von Fabrikbetrieben sich baulich ausweitete, verlor das Glöckchen allmählich seine einstige weltliche Funktion. Fortan sollte der Gemeindediener mit der Amtsglocke in der Hand, "der verlängerte Arm" des Bürgermeisters sein. In den schlimmen Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, ließ er zum Beispiel durch den Schutzmann Streit bekannt geben, dass auch das Ausstechen von Ringelbüschen als Feldfrevel geahndet werde.

1926 warnte der Ortspolizist Schöpf vor der Verwendung geflickter Sicherungen. Solche haben duch Kurzschluss öfters Brände in den Häusern verursacht. 1928 schaffte Zeil vorübergehend das Ausschellen ab, um Amtstafeln einzuführen auf denen Bekanntmachungen und Anordnungen ausgehängt waren. Der Zeiler Pfarrer Dümler schreibt hierzu in seine Pfarrchronik: „Wie vor 40 Jahren der Stadttürmer zu tuten aufhörte, so verstummt jetzt die Ortsschelle – das Alte stürzt…“

Abgeschafft und wieder eingeführt

Im Dritten Reich wurde das Ausschellen wieder eingeführt. Wegen Überhandnahme von Anträgen auf öffentliche Bekanntmachungen nichtamtlichen Charakters durch die Ortsschelle, ließ 1934 der Bürgermeister den Gebrauch der Ortsschelle nur in ganz besonders wichtigen Fällen zu.

In den Nachkriegsjahren zog der Amtsdiener durch die Gassen, um Verlautbarungen aus dem Rathaus und die Anordnungen der amerikanischen Militärregierung, bekannt zu machen. Doch die US-Amerikaner neigten dazu, den Deutschen ihre Verfügungen schwarz auf weiß in Amtskästen mitzuteilen.

Anschlag in Haßfurt: Ein US-Soldat heftete 1945 eine Anordnung der Militärregierung an das Rathaustor in Haßfurt.
Foto: Archiv Ludwig Leisentritt | Anschlag in Haßfurt: Ein US-Soldat heftete 1945 eine Anordnung der Militärregierung an das Rathaustor in Haßfurt.

Anfangs hefteten die Amis die Befehle der Militärregierung noch selbst an die üblichen Anschlagsstellen, wie ein Foto aus Haßfurt zeigt, wo gerade ein US-Soldat Verfügungen an das Tor des Rathauses befestigte.

Weil sie nicht alle Standorte kannten, hielten Amerikaner in Zeil eines Tages den jungen Robert Kirchner an, der gerade mit seiner Schwester durch die Stadt lief. Robert, der später einmal Stadtrat werden sollte, setzte sich auf den Jeep und zeigte befehlsgemäß den Befreiern die amtlichen Tafeln in Zeil und Schmachtenberg. Der bis dahin übliche Maschendraht an den Zeiler Amtskästen wurde 1967 entfernt und durch ein Kunststoffglas ersetzt.

Amtsblätter frei Haus 

Nach und nach etablierten sich in den Gemeinden und Verwaltungsgemeinschaften amtliche Mitteilungsblätter. Seit 1985 sind das Zeiler Wochenblatt beziehungsweise die Zeiler Nachrichten offizielles Amtsblatt der Stadt Zeil. Seitdem bekommen alle Bürger die Verordnungen und Bekanntmachungen der Stadtverwaltung über dieses Mitteilungsblatt frei Haus geliefert.

Die Amtsschellen aus Zeil und dem Stadtteil Sechsthal im Rathaus.
Foto: Ludwig Leisentritt | Die Amtsschellen aus Zeil und dem Stadtteil Sechsthal im Rathaus.

Die Tätigkeit von  Ausschellern war vor allem in den Landgemeinden noch lange Zeit üblich. Jeden Abend gab in Prappach in den frühen 1950er-Jahren der Gemeindediener Georg Ankenbrand durch die Ortsschelle bekannt, welche Gruppen für den Straßenbau am folgenden Tag zum Einsatz kommen und welche Fuhrleistungen zu erbringen sind.

Aufruf zur Mithilfe

Noch bis in die 1960er-Jahre war die Selbsthilfe hierzulande sehr ausgeprägt. Wenn es galt, kommunale Projekte mit Hilfe der Bürger zu verwirklichen, waren Hand- und Spanndienste an der Tagessordnung. 1965 weilte sogar ein Fernsehteam in Weisbrunn, um dort Aufnahmen von der Gemeinschaftsarbeit zu machen. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass die Bürger nicht erst lange "gebittelt und gebettelt" werden müssten, wenn es um das Zupacken gehe. Es genügte oft ein Zeichen mit der Gemeindeglocke. Jeder wusste dann sofort Bescheid, dass er aufgerufen ist mitzuhelfen.

1962 konnte der Gemeindediener in Wülflingen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr alles ausschellen. So ließ der Gemeinderat zur besseren Orientierung seiner Bürger über gemeindliche Vorhaben, an vier Stellen Bekanntmachungstafeln anbringen.

1964 legte in Fürnbach der Gemeindediener Georg Hornung seinen Posten nieder. Da sich zunächst niemand bereit fand, das Amt zu übernehmen, blieb dem 73-jährigen Bürgermeister Georg Thierstein eine Zeit lang nichts anderes übrig, als selbst die Ortsschelle in die Hand zu nehmen und seine gemeindlichen Bekanntmachungen – die zumeist seinen Namen trugen – höchstselbst bekannt zu geben.

Lautsprecheranlage in Schmachtenberg

Die Ortsschelle, die in Krum Jahrzehnte lang die amtlichen Bekanntmachungen ankündigte, musste 1966 „in Pension“ geschickt werden. Niemand hatte sich mehr bereit gefunden, im Dorf herum zu laufen und die Anordnungen bekannt zu geben. Bürgermeister Alois Mantel informierte seine Krümler daraufhin schriftlich über alles Wissenswerte.

Der Bürgermeister gibt bekannt...
Foto: Archiv Ludwig Leisentritt | Der Bürgermeister gibt bekannt...

Die wohlhabende Gemeinde Schmachtenberg ließ 1960 an sieben Stellen im Dorf eine moderne Ortslautsprecheranlage von Siemens installieren. Sie ersetzte die Ortsschelle, was – wie man später bei der Grenzöffnung vielerorts sehen konnte – in den Gemeinden der DDR üblich war. Dieser Schritt war notwendig geworden, weil sich niemand im Ort mehr bereiterklärte, als Gemeindediener zu fungieren und die Bekanntmachungen auszuschellen.

Es war die einzige Anlage dieser Art in den 67 Gemeinden des damaligen Landkreises Haßfurt. Erstmals wandte sich Bürgermeister Jobst von Zanthier am Silvesterabend mit einer Neujahrsansprache an die Einwohnerschaft.

Zwei Stunden zu Fuß unterwegs

Willibald Viering verkündet in Stettfeld schon seit über 50 Jahren Bekanntmachungen.
Foto: Ludwig Leisentritt | Willibald Viering verkündet in Stettfeld schon seit über 50 Jahren Bekanntmachungen.

Wer einen Ausscheller noch sehen und hören möchte, braucht nur nach Stettfeld zu gehen. Dort ruft der 76-jährige Willibald Viering bereits seit über 50 Jahren die Bekanntmachungen der Gemeinde, der Kirche, der Vereine und Verbände aus. Bei seinem Gang durch den Ort hält er an rund 60 verschiedenen Stellen. Hierfür benötigt er zu Fuß zwei Stunden und mit dem Fahrrad die Hälfte der Zeit.

Auf der Strecke gibt es so manche Gelegenheit für eine Unterbrechung und ein Schwätzchen. Einmal war er von 18 bis 23 Uhr unterwegs, was allerdings von einigen Leuten als Störung ihrer Bettruhe empfunden wurde.

Kurioses und Anekdoten rund um den Ausscheller

"Denn morgen wird gebraut":  Die enorm Wasser verbrauchenden Brauereien durften früher die öffentlichen Brunnen gewöhnlich nicht benutzen. Ob der Ausscheller aber tatsächlich einmal ausgerufen hat: „Hiermit wird bekannt gemacht, dass niemand in den Bach rein macht, denn morgen wird gebraut!“, weiß die Geschichtsforschung nicht definitiv. Nur eines steht fest: Göllers Vorgänger Weinig hat 1874 eine Wasserleitung vom Bach aus zu seinem Brauhaus legen lassen.
Preiskrieg: Häufig verkünden die Ausrufer auch Bekanntmachungen privater oder geschäftlicher Natur. Zwei Knetzgauer Landwirte ließen 1926 über die Ortsschelle verlauten, dass sie zwei fette Schweine ausgehackt hätten, weil ihnen das Gebot der hiesigen zwei Metzger zu niedrig war. Darauf schickte einer der Metzger den Gemeindediener im Ort herum mit der Nachricht, dass er das Pfund Fleisch statt für eine Mark für 95 Pfennige verkaufe. Einer der Landwirte unterbot diesen Preis noch einmal und ließ das ebenfalls ausschellen. 
Bereits frühmorgens um 7 Uhr ließ 1931 der Holzwarenhändler Peter Oppelt in Neuschleichach durch die Ortsschelle bekannt geben, er werde das Pfund Schweinefleisch für 65 Pfennige abgeben. Nach einer halben Stunde schritt der Gemeindediener ein weiteres Mal durch das Dorf mit der Nachricht, der Metzgermeister Josef Zech, habe den Preis gar auf 50 Pfennige gesenkt.
Danksagung: Der Gutspächter einer im Raum Haßfurt liegenden Gemeinde ließ 1928 eine recht ungewöhnliche Bekanntmachung ausschellen. Er bat nämlich den unbekannten Bauer, der seine Hebegewichte an der Sämaschine gestohlen hat, diese wieder zurückzugeben.Tatsächlich fanden sich anderntags die Gegenstände vor dem Anwesen des Gutsverwalters. Daraufhin setze dieser den Ausscheller erneut in Bewegung um dem unbekannten Täter auf diesem Weg seinen Dank auszusprechen. 
1935 ließ ein Landwirt in Obertheres, dem die schönsten Kraut- und Gemüseköpfe vom Acker gestohlen wurden, durch die Ortsschelle den Dieb auffordern, er möge doch auch noch den übrigen Teil holen, damit sein Acker ganz leer werde.
Bürgermeister ernannt: Als am 25. Juli 1945 der Landwirt Wilhelm Zieg in Schönbrunn von der Arbeit kam, erfuhr er von seinen Mitbürgern, dass die Militärregierung in Haßfurt ihn zum Bürgermeister ernannt hat und dies bereits durch die Ortsschelle bekannt geben ließ. Dabei hatte Zieg bei einer Vorladung im Beisein von Landrat von Zanthier den Amis einen anderen Einwohner des Ortes vorgeschlagen.
Gutgläubig: Auf eine ganz infame Art riss sich 1951 ein fremder „Altmetallhändler“ in Appendorf, unweit von Stettfeld, ein fremdes Eigentum unter den Nagel.“ Er borgte sich beim Gemeindeamt die Ortsschelle aus, um selbst seine Anwesenheit bekanntmachen zu können. Der gutgläubige Gemeindediener entsprach der Bitte, doch die Schelle aus Messing hat er nie wieder gesehen. Der Händler verschwand mit ihr auf Nimmerwiedersehen.
Bierstreik: In Kirchlauter und Neubrunn kamen 1954 offenbar einige Stammgäste nicht mehr mit ihrem Taschengeld zurecht. Sie ließen alle Biertrinker mit der Ortsschelle zu einem Bierstreik aufrufen, um die Wirte zu zwingen, die Bierpreiserhöhung zurück zu nehmen.
Gefunden: In Stettfeld hatte ein Mann einmal seinen Autoschlüssel verloren. Seinen Verlust ließ er durch den Ausscheller Willibald Viering ausrufen. Nach einer Weile kam ihm bei seiner Tätigkeit eine Person entgegen mit der erfreulichen Nachricht, dass er das dass er das Ausschellen abbrechen könne, da der Finder den Schlüssel beim Besitzer bereits abgegeben habe.
Pro und kontra: Mit fast der ganzen Gemeinde legte sich 1922 der Dorfschulmeister von Karbach an. Er hieß Ungemach und machte – nomen est omen – solches in vielfältiger Form. Ohne die tief eingewurzelten Gefühle der Bewohner zu achten, schaffte er eines Tages den christlichen Gruß („Grüß Gott!“) und die Schulgebete ab. Als Begründung gab er an, er habe im Prinzip nichts gegen das Beten, könne jedoch die vom Pfarrer den Kindern angelernte „Gebetsleiern“ nicht mehr hören.
Die tiefgläubigen Eltern versuchten den störrischen Schulmeister mit einem Schulstreik in die Knie zu zwingen, indem sie ihre Kinder vom Unterricht fernhielten. Zu einer Provinzposse weitete sich der Streit aus, als nach langen Verhandlungen der erste Bürgermeister durch den Amtsboten ausschellen ließ, der Herr Lehrer habe sich bereit erklärt, wieder beten zu lassen, die Kinder sollen daher wieder zur Schule geschickt werden.
Doch der zweite Bürgermeister wollte, dass der Schulmann versetzt wird. Er begleitete den Ausscheller bei seinem Gang durch das Dorf. Jedes Mal, wenn dieser mit seiner Bekanntmachung fertig war, kommentierte er diese mit lauter Stimme: „ICH schicke meine Kinder nicht in die Schule!“
(ll)
 
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